Wieder und wieder

Warum Computer eigentlich vollkommen verrückt sind und Menschen zugleich immer dasselbe und ständig etwas Neues wollen

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Von
  • Peter Glaser

„Ich war stets erstaunt über das weit verbreitete und spontane Auftreten regelmäßig sich wiederholender Handlungen“, schrieb ein befreundeter Psychologe an den Kulturphilosophen Lewis Mumford. „Es ist dem magischen und dem religiösen Ritual verwandt, liegt aber noch tiefer. Man findet es beim Kleinkind, das eine Geschichte in genau den gleichen Worten wiederholt haben will – es ist die elementarste Form der Mechanisierung und steht im Gegensatz zur Unberechenbarkeit des Impulses“. Ist es eine Art von Narkose, die von der Wiederholung ausgeht? Ein gefährliches Behagen, das uns betäubt, während wir uns in Maschinen verwandeln?

Die Fähigkeit zur Wiederholung ist Ausdruck einer vitalen Lebendigkeit. Herzschlag, Sex, Ritual, Refrain – im „wieder" schwingt ein Geheimnis. „Do it again", sagte Marilyn Monroe. „Wieder" ist Zukunft. Warum werden manche Zeitgenossen nervös, wenn Dinge sich wiederholen? Und worin besteht eigentlich diese manchmal geradezu körperliche Lust an der Wiederholung – daran, zum dreiunddreißigsten Mal „Casablanca“ zu sehen und zum vierundvierzigsten Mal bei Facebook zu checken, ob jemand etwas Neues gepostet hat? Und das in einer Zeit, in der Neuigkeiten immer massiver auftreten und und das Leben aus Abwechslung bestehen soll, einem endlosen Fluss des nie Gehörten, Überraschenden, nie Gesehenen. In der das Neue der Todfeind der Wiederholung zu sein scheint.

Exzessive Wiederholung gehört zu den Grundlagen der Computerei. Schleifen („Loops“) sind Kernelemente jeder Programmiersprache. An ihnen kann man erkennen, dass Computer eigentlich vollkommen verrückt sind. Sie befinden sich in einem ständigen Zustand der Raserei, in dem Bits unaufhörlich herumfahren und auf ein Signal warten, das diesen Rundlauf beendet. (Die Ringstraße um die sechs Hauptgebäude des Hauptquartiers der Firma Apple im kalifornischen Cupertino heißt nicht ohne Ironie „Infinite Loop”.)

Wenn man Programmiersprachen mit anderen künstlerischen Sprachen vergleicht, wird deutlich, dass Loops eine sehr alte Form sind. Schon die frühesten Epen der Menschheit - das Gilgamesch-Epos, die Ilias, die Odyssee - ähneln in Struktur und Entstehungsprozess den digitalen Monumentalwerken unserer Zeit, den großen Programmierprojekten mit ihren Abermillionen Codezeilen. Der Loop findet sich unter der Bezeichnung Refrain schon in den frühesten Formen. Bei beiden Schöpfungen waren Generationen namenlos gebliebener Autoren am Werk.

Mir gegenüber wohnt ein Studentenpärchen, nette Leute, leider haben sie ein Klavier. Er, der Student, übt seit Monaten „The Entertainer", dieses Ragtime-Stück. Er sagt, er spielt. Ich sage, er übt. Das einzige, was das Stück spannend macht, ist die Frage, an welcher Stelle er hängenbleiben wird. Ich sitze, jedenfalls akustisch, neben dem Klavier und versuche zu arbeiten, das heißt, etwas Neues zu denken und aufzuschreiben. Das geht aber nicht. Jeder Ideenfunke wird von den Anschlägen auf der Klaviatur ausgelöscht. Und die Zeit bleibt stehen. Vielmehr: es ist nie welche vergangen. Höre ich den „Entertainer", so wird mir schmerzlich bewusst, dass ich mich wieder eine Weile der Illusion hingegeben habe, die Zeit würde vergehen. Sie steht aber. Wenn er, der Student, nach drei klavierlosen Wochen wieder in die Tasten holzt, ist alles, was ich in diesen drei Wochen erlebt habe, wie nie gewesen. Ich finde mich wieder an dem selben Punkt wie zuvor – gefangen in der immer gleichen, unveränderlich festgeschraubten, mumifizierten Minute des „Entertainers“.

Im Klang dieser musikalischen Gebetsmühle zerfällt jeder Glaube an Entwicklung und Fortschritt zu Staub. Ein solches fundamentales Wiederholungsereignis nenne ich eine Zeitschleife. In den „Sterntagebüchern" von Stanislaw Lem berichtet der Weltraumfahrer Ijon Tichy von einer Reise, die in eine Zeitschleife führt. Erst umkreist ein angebranntes Steak, das er hinaus ins All geschmissen hatte, das Raumschiff und bringt die Navigation durcheinander, da es Sonnenfinsternisse verursacht. Dann geht eine Vorrichtung kaputt, zu deren Reparatur zwei Leute gebraucht werden; Tichy aber ist allein. Er schafft es, seine Rakete in die Nähe eines Gravitationsstrudels zu dirigieren, um - hier ist sie - in eine Zeitschleife zu gelangen. Die besonderen Verhältnisse in einer Zeitschleife machen es möglich, als derjenige von heute auch sich selbst von gestern zu begegnen. Womit die Reparatur des Raumschiffs kein Problem mehr gewesen wäre. Natürlich geht der Ärger dann erst richtig los. Am Ende ist das Raumschiff gedrängt voll mit streitenden Tichy's aller Altersstufen vom Säugling bis zum Greis.

Zeitschleifen sind kein Science-Fiction-Phänomen. In der Realität reichen sie weit über das schattenhafte Wiedererleben eines Deja Vu hinaus. Mit jeder weiteren Zeitschleife, in die man gerät, tut sich neuerlich ein Abgrund in dem auf, was man für die Gegenwart hält. Denn nicht „Alles schon mal dagewesen” muss es heißen. Sondern “Alles ist immer noch da”.

(wst)