Vorratsspeicherung von TK-Verbindungsdaten: Drei Monate sollen reichen

Aus dem Industrieausschuss des EU-Parlaments kommt ein erster Kompromissvorschlag zur umstrittenen Pauschalüberwachung der Nutzer von Telekommunikationsdiensten, der zahlreiche Änderungen am Kommissionsentwurf vorsieht.

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Erste Stimmen aus dem EU-Parlament machen sich für umfassende Änderungen am heftig umstrittenen Entwurf der EU-Kommission für eine Richtlinie zur Vorratsspeicherung von Telefon- und Internetdaten stark. So sieht der Entwurf für eine Stellungnahme der Abgeordneten aus dem mitberatenden Industrieausschuss, der heise online vorliegt, insbesondere eine generelle Verkürzung der Fristen zur Vorhaltung der begehrten Verbindungs- und Standortdaten auf drei Monate vor.

Prinzipiell geht es bei den Plänen von Rat und Kommission um die Speicherung der Verbindungs- und Standortdaten, die bei der Abwicklung von Diensten wie Telefonieren, SMS, E-Mailen, Surfen oder Filesharing anfallen. Mit Hilfe der Datenberge sollen Profile vom Kommunikationsverhalten und von den Bewegungen Verdächtiger erstellt werden. Die Kommission hatte eine einjährige Speicherfrist im Telefon- sowie eine sechsmonatige Frist im Internetbereich ins Spiel gebracht. Zudem soll die Liste der zu archivierenden Daten verkürzt werden. Für eine nachträgliche Änderung des Katalogs hält das Papier im Gegensatz zur Kommissionsvorlage eine erneute Befassung des Parlaments unbedingt für erforderlich.

Generell begrüßt die Verfasserin der Änderungsanträge, die Ausschussberichterstatterin Angelika Niebler, zwar den Vorstoß zu einer Richtlinie, da hierbei die Abgeordneten im Gegensatz zum ebenfalls noch im Raum stehenden entsprechenden Rahmenbeschluss des EU-Rates ein Mitspracherecht haben. Aus Sicht der CSU-Politikerin gibt es jedoch "eine Reihe von gewichtigen Kritikpunkten". Diese seien insbesondere vom Industrieausschuss aufzugreifen, "um den besonderen Aspekten der Kommunikations- und Informationsgesellschaft" im Gesetzgebungsverfahren gerecht zu werden.

Mit Argusaugen beobachtet Niebler vor allem, dass die Kommission ähnlich wie die Mitgliedsstaaten "nur sehr pauschal" einen Nachweis führt, dass durch die vorgeschlagenen Maßnahmen tatsächlich zu einer Verbesserung der Verbrechens- und Terrorbekämpfung kommen würde. Die einem schweren Eingriff in die Grundrechte gleichkommende Vorratsspeicherung aller Informationen über Ort, Zeitpunkt, Dauer und Gesprächspartner von Telefongesprächen, Fax, E-Mail, SMS sowie anderen übers Internet-Protokoll abgewickelten Diensten und die davon verursachten "erheblichen Auswirkungen und Belastungen für Bürger und Unternehmen" seien so nur schwer zu rechtfertigen.

Für die betroffenen Unternehmen bedeutet der Vorschlag laut Niebler, "dass sie verpflichtet werden, eine unvorstellbare Menge an Daten abzuspeichern." Um das Volumen zu archivieren und nutzbar zu machen, seien teure Systemanpassungen notwendig. In der Praxis der Strafverfolgung zeige sich aber, dass die durch die Sicherheitsbehörden abgefragten Daten in der Regel nicht älter als drei Monate sind. "Daher sollten die gesetzlichen Speicherungsfristen den tatsächlichen Bedürfnissen entsprechend angepasst werden", begründet Niebler ihren Kernvorschlag. Längere Aufbewahrungsperioden seien unverhältnismäßig und praxisfremd.

Vor dem gleichen Hintergrund sei auch der Umfang der zu speichernden Daten zu reduzieren. Hier stemmt sich die Berichterstatterin hauptsächlich gegen die Aufzeichnung erfolgloser Verbindungsversuche, da diese zu erheblichen Mehraufwendungen führen würde, ohne die Verbrechensbekämpfung zu verbessern. Ähnliches gelte für die Speicherung der Handy-Gerätekennung IMEI, der MAC-Adresse von Netzwerk-Karten von PCs oder die Standortdaten während beziehungsweise bei Beendigung eines Mobilfunktelefonats. Diese Informationen sollen nach dem Willen Nieblers aus dem Katalog der vorzuhaltenden Daten gestrichen werden. Zudem drängt sie darauf, dass den Unternehmen die anfallenden Kosten "vollständig" ersetzt werden, während der Kommissionsentwurf allgemeiner gefasst ist.

Generell sind die Vorschläge weit von den Forderungen der britischen Ratspräsidentschaft entfernt, die diese kürzlich als Vorbedingung für Verhandlungen mit dem Parlament ausgegeben hat. Über dem ganzen von der Kommission eingeleiteten Verfahren schwebt so weiter das Damoklesschwert, dass der Rat doch an der Verabschiedung seines -- allerdings auch in den eigenen Reihen umstrittenen -- Rahmenbeschlusses festhalten könnte. Auf einem Lobby-Abend der European Internet Foundation in Brüssel fiel in diesem Zusammenhang vergangene Woche von EU-Abgeordneten bereits das Wort "Erpressung". Niebler hält nun fest, "dass sich das Parlament in dieser für den Bürger sehr sensiblen Frage nicht drängen lassen darf". Auch wenn der Wunsch, das Gesetzgebungsverfahren möglichst schnell abzuschließen, verständlich sei, müsse Wert auf sorgfältige Beratungen gelegt werden. Im "Interesse der Glaubwürdigkeit der Europäischen Union" gelte es eine Situation zu vermeiden, in der "gleichzeitig an zwei fast inhaltsgleichen Rechtsakten mit gleicher Intention gearbeitet wird", liest die Vertreterin der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) dem Rat die Leviten.

Über das weitere Vorgehen und die tatsächlich einzubringenden Änderungsanträge entscheidet nun der federführende Ausschuss für Bürgerrechte, Justiz und Inneres unter seinem Berichterstatter Alexander Alvaro. Der FDP-Politiker hatte den Entwurf für einen Rahmenbeschluss bislang scharf kritisiert und dürfte die Vorschläge aus dem Industrieausschuss größtenteils befürworten. Noch ist jedoch unklar, ob sich die Abgeordneten überhaupt auf den engen, vom Rat diktierten Zeitplan mit einer Verabschiedung der Richtlinie noch in diesem Jahr einlassen.

Auf einer Behandlung der Überwachungsmaßnahme mit ruhiger Hand pocht auch die Gesellschaft für Informatik (GI): "Wir erwarten bei einem solch sensiblen Thema eine sorgfältige Abwägung zwischen den Strafverfolgungsinteressen der Staaten und dem Grundrechtsschutz der Bürger", betont GI-Präsident Matthias Jarke. Seiner Ansicht nach ist eine über drei Monate hinaus gehende Speicherfrist abzulehnen. Aufenthalts- und Inhaltsdaten dürften generell nicht erfasst werden. Darüber hinaus warnt Jarke vor einer Verteuerung der Telekommunikation durch eine ausufernde Vorratsdatenspeicherung: "Auch wenn das Papier der Kommission eine Kostenerstattungsklausel enthält, werden diese doch auf den Nutzer oder den Steuerzahler abgewälzt."

Zur Auseinandersetzung um die Vorratsspeicherung sämtlicher Verbindungs- und Standortdaten, die bei der Abwicklung von Diensten wie Telefonieren, E-Mailen, SMS-Versand, Surfen, Chatten oder Filesharing anfallen, siehe auch:

(Stefan Krempl) / (jk)