Im Westen nichts Neues

Es ist schon über zehn Jahre her, als auf der US-Elektronikmesse CES mit der Xbox von Microsoft ein echter Knaller präsentiert wurde. Vor fünf Jahren konnte die Karawane der enttäuschten CES-Beobachter immerhin noch während der Messe von Las Vegas zum spektakulären Launch des ersten iPhones nach San Francisco weiterziehen. In diesem Jahr wird der Weg aus der Wüste zur rettenden Oase länger dauern.

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Von
  • Christoph Dernbach

Die Consumer Electronics Show in Las Vegas scheint ihre besten Tage weit hinter sich gelassen zu haben. Kaum jemand kann sich an die Zeiten erinnern, als die Unterhaltungselektronik-Industrie auf der CES die maßgeblichen Meilensteine setzte. 1970 wurde in Las Vegas der erste kommerziell verfügbare Video-Kassettenrekorder gezeigt, 1981 der erste Camcorder und 1988 das "Nintendo Entertainment System". Vor 15 Jahren eroberte von Las Vegas aus die DVD die privaten Haushalte.

Damals, im Januar 1996, legte Apple übrigens auf der CES einen seiner wenigen Total-Flops hin, die gemeinsam mit dem Spielzeughersteller Bandai entwickelte Konsole Pippin. Das seinerzeit ohnehin sehr glücklose Apple-Management unter der Führung des gebürtigen Berliners Michael Spindler glaubte, die Konsole für 600 Dollar auf dem US-Markt etablieren zu können. Dabei hatten Sony mit der Playstation und Sega mit der Saturn-Konsole das Marktsegment bereits erobert und konnten den halbherzig vorgetragenen Apple-Vorstoß locker abwehren.

Nach zwei weiteren CES-Hits, dem Digitalen Videorekorder 1999 und der Xbox im Jahr 2001, warteten die Messe-Besucher in der Wüstenstadt dann wieder jahrelang vergeblich auf wegweisende Produktvorstellungen. Auch die Premieren von Windows Vista (2007) und webOS (2009) wurden nicht von dem Erfolg gekrönt, den sich Microsoft und Palm damals versprochen hatten.

Auch in diesem Jahr gehen von der CES keine entscheidenden Impulse aus. Microsoft-Chef Steve Ballmer verabschiedete sich mit einer extrem langweiligen Keynote von der Messe, in der nur alte Präsentationen von Windows Phone und Windows 8 aufgewärmt wurden. Es ist nur konsequent, dass der Software-Gigant in den kommenden Jahren auf CES-Auftritte verzichten möchte. Vermissen wird sie kaum jemand. Aber auch die anderen Aussteller hatten Mühe, die Beobachter zu überzeugen. "'Es ist ein iPad, nur besser, weil …' ersetzt in diesem Jahr den Satz 'Es ist ein iPhone, nur besser, weil …', der früher lautete 'Es ist ein iPod, nur besser, weil …'", fasste Gartner-Analyst Michael Gartenberg auf Twitter seine Eindrücke aus den CES-Präsentationen zusammen.

Es gehört zur seltsamen Tradition der CES, dass in allen Messehallen über Apple gesprochen wird, obwohl das Unternehmen aus Cupertino seit vielen Jahren nicht mehr auf der Messe vertreten ist. Dabei geht es nicht nur um iPhone-Hüllen oder iPod-Docking-Stationen, die in Las Vegas allgegenwärtig sind. Vielmehr fragen sich die Aussteller und Besucher der CES, welches nächste große Ding in der Unterhaltungselektronik Apple nach dem Tod von Steve Jobs in petto hat.

Ein Anhaltspunkt für die Agenda bei Apple bietet das Buch von Walter Isaacson über Jobs, das die meisten CES-Besucher inzwischen gelesen haben dürften. Isaacson berichtet in seiner Biografie: "Jobs hatte viele andere Ideen und Projekte, die er zu entwickeln gehofft hatte. Er wollte die Schulbuchbranche zerschlagen und die Rücken der armen Schüler schonen, die sich mit Rucksäcken abschleppen mussten, indem er elektronische Texte und Lehrmaterialien für das iPad erstellte." Es gibt nun handfeste Indizien, dass Apple noch im Januar in New York diese Textbook-Initiative starten wird, die allerdings vor allem in den USA Wirkung zeigen wird.

In seinem Buch spricht Isaacson auch von revolutionären Verbesserungen bei der Kamera des iPhone, die Steve Jobs geplant habe. Zusammen mit seinem Freud aus dem Ur-Macintosh-Team, Bill Atkinson, habe er "an neuen Digitaltechnologien auf Pixel-Ebene" getüftelt, mit denen man großartige Fotos mit dem iPhone machen konnte, sogar bei nur wenig Licht. Es ist nicht bekannt, was von dieser Arbeit noch in das aktuelle iPhone 4S eingeflossen ist oder ob in den künftigen iPhone-Modellen ein Qualitätssprung zu erwarten ist, der auf die Arbeit von Jobs und Atkinson zurückzuführen wäre. Das iPhone wurde immerhin schon jetzt von der legendären Fotografin Annie Leobovitz als die beste Schnappschuss-Kamera empfohlen . Und beim Online-Fotodienst Flickr führen die iPhone-Modelle 4, 4S, 3G und 3GS einsam die Liste der populärsten "Cameraphones" an.

Die größten Schlagzeilen hat aber Isaacsons Bemerkung zu einem möglichen Einstieg von Apple in das Geschäft mit TV-Geräten gemacht. "(Jobs) wollte auch für Fernsehgeräte das erreichen, was ihm für Computer, Musik-Player und Telefone gelungen war: Sie sollten einfach und elegant sein." Isaacson zitierte den ehemaligen Apple-Chef: "Ich möchte ein integriertes Fernseh-Set entwickeln, das ganz einfach zu bedienen ist. Es wäre vollständig mit allen anderen Geräten und mit iCloud synchronisiert." Der Nutzer müsste sich nicht mehr mit komplizierten Fernbedienungen für DVD-Player und Kabelkanäle herumschlagen. "Es wird die einfachste Bedienoberfläche haben, die man sich nur vorstellen kann. Ich habe endlich herausgefunden, wie es geht."

Seitdem spekuliert die ganze Branche, ob und wann Apple ein iTV präsentieren wird und wie es aussehen könnte. Apple-Mitbegründer Steve Wozniak heizte im Vorfeld der CES die Gerüchteküche mit der Bemerkung an, er erwarte von Apple einen Versuch in diese Richtung. "Ich gehe davon aus, dass das Wohnzimmer ein Zentrum der Familien-Unterhaltung bleiben wird. Und das berührt alle Gerätekategorien für Konsumenten, die Apple bereits herstellt." Allerdings sind die Zeiten, zu denen "Woz" sich bei seinen Prognosen auf exklusive und Apple-interne Informationen stützen konnte, längst vorbei.

Es spricht vor diesem Hintergrund einiges dafür, dass von Apple zumindest kurzfristig kein iTV zu erwarten ist. Zum einen ist es an der Front der Komponenten-Hersteller aus Asien, die längst Großaufträge von Apple erhalten haben müssten, verdächtig still. Außerdem ist es keine banale Aufgabe, Kabelnetzwerk-Betreiber, Film-Studios und TV-Sender in aller Welt für dieses Projekt zu gewinnen. Die Geschichte von iTunes und der Settop-Box Apple TV hat gezeigt, wie kompliziert es ist, die geeigneten Partner vertraglich zu binden. Was für die USA noch als machbar erscheint, dürfte in der zerklüfteten europäischen TV-Landschaft zur Herkules-Aufgabe geraten.

Bei der Bedienung des iTV könnte sich Apple auf Komponenten des iOS-Universums stützen, die schon vorhanden sind. iPad, iPhone oder iPod touch würden eine nette Bedienoberfläche für eine virtuelle Fernbedienung bieten. Außerdem könnte die Spracherkennung Siri eine wichtige Rolle spielen, sich von anderen Digital-TV-Konzepten abzusetzen.

Möglicher "iTV"-Wettbewerber: Yoon Boo-keun, Präsident der Unterhaltungselektroniksparte von Samsung, präsentierte auf der CES-Pressekonferenz seine Vision eines SmartTV.

(Bild: Handout Samsung)

Wettbewerber wie Samsung, LG Electronics, Vizio und Sony verbünden sich unterdessen mit Google, um einen möglichen Apple-Angriff schon im Vorfeld zu unterbinden oder zumindest die Durchschlagskraft zu nehmen. Einen ersten, bislang wenig erfolgreichen Vorstoß in diese Richtung haben bereits Sony und Logitec unternommen. Sie kündigten schon vor zwei Jahren die ersten Versionen von "Google TV" an. Die Bedienoberfläche des Google-Fernsehens war allerdings so grottig geraten, dass selbst Google-Fans das Interface als quasi unbedienbar kritisierten. Außerdem hatte Google keine Kooperation mit den Inhalte-Anbietern geschlossen, sondern darauf gesetzt, dass die TV-Sender ihre Online-Mediatheken bereitwillig ausplündern lassen. Das stellte sich jedoch als Irrtum heraus. Nachdem etliche Anbieter den Google-TV-Client kurzerhand aussperrten, sahen viele Besitzer eines Google-TV buchstäblich in die Röhre. Unterdessen hat Google jedoch systematisch das Video-Angebot auf YouTube ausgebaut, sodass ein zweiter Anlauf in Sachen Google TV nicht aussichtslos erscheint.

Microsoft setzt bei seinen TV-Plänen auf die Xbox und sein Fuchtelsystem Kinect, das sich nicht nur als Bewegungssteuerung nutzen lässt, sondern auch gesprochene Sprache erkennen kann. Auch Samsung, LG und Lenovo haben ihren TV-Geräten inzwischen das Zuhören und Zusehen beigebracht. "Der Fernseher hört, sieht – und tut, was du tun willst, ohne dass du jemals eine Fernbedienung berühren müsstest", sagte Yoon Boo-keun, Präsident der Unterhaltungselektroniksparte von Samsung, auf der CES-Pressekonferenz.

Apple kann sich deshalb nicht ewig Zeit lassen, sein iTV auf den Markt zu bringen. Es kommt allerdings nicht vorrangig auf die zeitliche Reihenfolge der Markteinführung an. Der iPod war nicht der erste MP3-Player auf dem Markt, das iPhone nicht das erste Smartphone und das iPad nicht der erste Tablet-Computer. Wenn ein iTV einen so überzeugenden Eindruck hinterlässt wie die anderen i-Geräte bei ihrer Premiere, wird sich der Erfolg von alleine einstellen. (se)