BKA-Chef hält Online-Durchsuchungen für dringend erforderlich

"Das Internet ist das Tatmittel der Zukunft", betonte Jörg Ziercke und bezeichnete den "gläsernen Bürger", den Datenschützer durch solche Maßnahmen heraufziehen sehen, als eine "Mär".

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Von
  • Jürgen Kuri
Der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), Jörg Ziercke, hat nach dem vom Bundesgerichtshof (BGH) verhängten Verbot heimlicher Online-Durchsuchungen von Computern eine schnelle Rechtsgrundlage gefordert. Die Polizeipraxis benötige zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus und der organisierten Kriminalität auch die Online-Durchsuchung, sagte Ziercke am heutigen Dienstag im Deutschlandradio Kultur: "Wir müssen mit dem technischen Fortschritt Schritt halten können, wenn skrupellose Kriminelle ins Internet ausweichen und dort ihre Anschlagsplanung, ihre kriminelle Handlung vorbereiten."
Der Bundesgerichtshof hatte am gestrigen Montag entschieden, dass heimliche Online-Durchsuchungen von privat oder geschäftlich genutzten PCs durch die Polizei unzulässig sind. Die Durchsuchung der im Computer eines Beschuldigten gespeicherten Daten sei nicht durch die Strafprozessordnung gedeckt. Diese erlaube nur eine offene Durchsuchung. Es fehle an der für einen solchen Eingriff erforderlichen Ermächtigungsgrundlage. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble hat ebenfalls gestern bereits angekündigt, schnell eine gesetzliche Grundlage zu schaffen, damit heimliche Online-Durchsuchungen durch die Strafverfolgungsbehörden möglich werden; diese Maßnahme sei unverzichtbar.
"Es ist nicht so, dass die Menschen in Deutschland davor Angst haben müssen, jetzt durch den Staat in einer Weise überwacht zu werden, die nicht den Rechtsgrundsätzen entspricht. 99,9 Prozent der Menschen werden von dieser Maßnahme überhaupt nicht betroffen sein", sagte der BKA-Chef nun. "Die Online-Durchsuchung ist unerlässlich für die Strafverfolgung", sagte Ziercke. "Wir finden heute im Internet Bombenbauanleitungen, Aufträge für die Durchführung von Anschlägen, die Rekrutierung junger Menschen zum Dschihad. Das Internet ist das entscheidende Kommunikationsmittel des internationalen Terrorismus, und die Szene arbeitet hoch konspirativ, das heißt sie arbeitet verdeckt, sie verschlüsselt, anonymisiert." Für die polizeiliche Arbeit sei heute das Eindringen in die Milieus mit verdeckten Ermittlern "fast unmöglich".
Der BKA-Präsident betonte, dass das Internet nicht nur eine wichtige Rolle bei der Terrorabwehr spiele, sondern auch für den Bereich der Kinderpornografie, der rechtsextremen Propaganda, der Wirtschaftskriminalität oder den Bereich des Menschenhandels: "Wir haben im Internet eine dramatische Entwicklung. Ich glaube, die Öffentlichkeit hat das noch gar nicht so richtig wahrgenommen", beschrieb Ziercke die Situation aus seiner Sicht und verwies dabei auf das immer weiter zunehmende Auftreten von Trojanern und Viren, auf Phishing-Angriffe und auf Botnetze: "Das Internet ist das Tatmittel der Zukunft. Es ist es jetzt schon im Grunde!"
Ziercke hob hervor, dass aus seiner Sicht eine gesetzliche Regelung der Online-Durchsuchung von PCs datenschutzgerecht zu realisieren sei und verwahrte sich dagegen, die Maßnahme sei ein weiterer Schritt hin zum gläsernen Bürger: "Ich bin der Meinung, das ist eine Mär. Wir setzen diese Instrumente sehr gezielt ein." Das BKA wolle eine Rechtsgrundlage, "die es einem Richter erlaubt, mir diese Ermächtigung zu geben. Nicht die Polizei aus eigener Vollkommenheit möchte das." Es sei selbstverständlich, dass durch den Richter, durch den Staatsanwalt und durch die Polizei die Bürgerrechte geschützt werden, und der Datenschützer kann diese Maßnahmen selbstverständlich überprüfen."
Abseits der datenschutzrechtlichen und kriminologischen Aspekte ging Ziercke nicht weiter darauf ein, wie ohne versteckte und nicht durch Patches geschlossene Hintertüren in Betriebssystemen und Anwendungen die Online-Durchsuchung beziehungsweise ein Bundestrojaner ausgerechnet gegen diejenigen realisiert werden soll, die das Internet und seine Technik für ihre kriminellen Zwecke professionell einsetzen. Zudem dürften alleine schon angesichts der heutzutage gegen kriminelle Machenschaften von Viren- und Trojanerschreibern sowie Botnetzbetreibern empfohlenen Schutzmaßnahmen für Internetnutzer die Entwickler des Bundestrojaners mit einigen Schwierigkeiten zu kämpfen haben, eine Online-Durchsuchung zu realisieren. Terroristen und Cyberkriminelle sind schließlich nicht dafür bekannt, sich völlig naiv im Web zu bewegen, jede mit Trojaner-Installern verseuchte Website zu besuchen oder willenlos jeden Mailanhang anzuklicken.
Das vollständige Interview veröffentlicht Deutschlandradio Kultur auch auf seiner Website:
  • Zur Überwachung von Internet-Nutzern und der Datensammelei im Web siehe auch den Schwerpunkt "Deine Spuren im Netz" in der aktuellen Ausgabe von c't: