Web 2.0 macht Investoren wieder risikofreudig

Im vergangenen Jahr wurde wieder mehr Geld in neue Unternehmen und neue Ideen investiert. Web 2.0 inspiriert die Risikokapitalgeber und ruft Erinnerung an früher wach.

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Viel Geld kann eine Inspiration sein, viel inspirierender ist aber die Aussicht auf noch mehr Geld. Die milliardenschweren Übernahmen von Internetbuden wie Youtube und Myspace oder Diensten wie Skype sind die herausragenden Anzeichen für den zweiten Frühling risikofreudiger Investitionen, wie sie vor weniger als einer Dekade schon einmal in der Größenordnung ganzer Volkswirtschaften in einer Börsenblase versenkt worden waren. Auch über Europa hatte der Internet-Hype verbrannte Erde und zahlreiche Prekariatsexistenzen in Berlin-Mitte hinterlassen. Der Markt war unten, bis Web 2.0 kam.

Im vergangenen Jahr floss so viel "Venture Capital" in europäische Unternehmen wie seit 2002 nicht mehr, hat eine Erhebung der Beratungsunternehmen Ernst & Young und der Marktforscher Dow Jones VentureOne ergeben. Nach 3,93 Milliarden 2005 hat die Branche jetzt die 4-Milliarden-Marke geknackt: Insgesamt 4,12 Milliarden Euro stellten die Kapitalgeber 2006 für Unternehmen zur Verfügung. Nicht alles davon floss ins Web 2.0. Insgesamt sind Investitionen in den IT-Sektor zwar nicht mehr so beliebt, bei den neuen Netzunternehmen steht dagegen eine Zunahme des Investitionsvolumen von über 30 Prozent zu Buche.

Die Investoren sind überzeugt von den Möglichkeiten des "Internets der Konsumenten". Und das bereits zum zweiten Mal. Denn die Heilsversprechen sind die gleichen wie schon zur Jahrtausendwende: Content (gerne auch User Generated), Communities, Commerce war damals ein Credo. Selten ist einer von den damals Beteiligten in die Verlegenheit gekommen, den vielleicht etwas zu simplen Dreisatz zu Ende rechnen zu müssen. Auch heute ist wieder viel von Communites zu hören, nur das sie jetzt "Social Networks" heißen. Sogar gutbürgerliche Old-Media-Giganten investieren in Internetprojekte, die sich mehr oder weniger clevere Leute irgendwo abgeschaut haben. In Deutschland nahm das Investitionsvolumen um 36 Prozent auf 269,4 Millionen Euro zu, die Anzahl der Engagements ging aber um ein Viertel zurück.

Den neuen Boom erklärt Graham O'Keeffe vom Londoner Kapitalgeber Atlas Venture gegenüber dem Wall Street Journal mit Web 2.0 und dem "Internet der Konsumenten". Immerhin kann sich der Finanzexperte noch daran erinnern, dass das schon mal "alles schiefgegangen ist". Doch jetzt, dank des "Google-Effekts", ist das alte Mojo wieder da. "Das Auftauchen von Web 2.0 und sozialen Netzwerken hat viele Investoren begeistert". Bei aller Freude über die vielen Möglichkeiten wird allerdings gerne übersehen, dass selbst YouTube und MySpace vor allem Geld kosten.

Vielleicht sind die Investoren auch deshalb wählerischer geworden. Das viele Geld wird auf weniger Unternehmen verteilt, 2006 verteilte sich das viele Geld auf 867 Unternehmen, über 300 weniger als im Vorjahr. Die Anzahl der abgeschlossenen Finanzierungen sank von 329 auf 193. Doch den Rückgang will O'Keeffe nicht als Abschwächung des gerade erst angelaufenen Trends verstanden wissen. "Das ist nur eine kleine Pause, um Luft zu holen". Im Schnitt erhielt jedes geförderte Unternehmen rund 2,2 Millionen Euro, das ist der höchste Durchschnittswert seit 1999, als alles schon einmal begann.

Doch immer wenn Venture Capitalists irgendwo ihre Backen aufplustern, stehen an der Ecke die Mahner mit ihren "Blase 2.0"-Schildern. Seit Anfang 2006 haben sie auch im Internet wieder Posten bezogen. (vbr)