"Angestellte haben es besser"

Viele Angestellte träumen davon, ihr eigener Chef zu sein. Ein Großteil von denen, die es versuchen, scheitert. Denn der Traum vom glücklichen Selbständigen hat oft nur wenig mit der Realität zu tun.

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Lesezeit: 14 Min.
Von
  • Marzena Sicking

Personalberater Conrad Pramböck glaubt nicht an das Bild vom glücklichen Selbstständigen. "In der Karibik trinken nach wie vor nicht reich gewordene Selbständige Caipirinhas, sondern Angestellte, die ihren Urlaub konsumieren", so einer seiner Thesen. In seinem Buch "Jobstars: Mehr Glück, mehr Erfolg, mehr Leben als Angestellter", erklärt er, warum das Bild vom glücklichen Selbständigen mehr mit einer klischeehaften Darstellung und der aktuellen Arbeitsmarktpolitik als mit der Realität zu tun hat. Und warum Angestellte besser beraten wären, wie Selbstständige zu denken, statt tatsächlich welche zu werden. Wir trafen den Autor, der nicht an den Traum von der Selbstständigkeit glaubt, zu einem Exklusiv-Interview.

Warum entpuppt sich der Traum von der Selbstständigkeit Ihrer Ansicht nach oftmals als Albtraum?

Pramböck: Es ist ein Mythos, dass alle Selbständigen automatisch freier, reicher und glücklicher sind als Angestellte. Ich rate jedem davon ab, sich selbständig zu machen, der sich nicht auch der Schattenseiten bewusst ist. Selbständige müssen viel härter arbeiten, brauchen zumindest in den ersten Jahren einen finanziellen Polster und müssen sich neben ihrem eigentlichen Geschäft mit langweiligen und beängstigenden Dingen herumschlagen, wie Rechtsverträgen, Steuern und Finanzierungen. Angestellte sollten ihre Energie für ihre eigenen beruflichen Ziele einsetzen, statt nur vom grüneren Gras auf der anderen Seite zu träumen.

Dr. Conrad Pramböck ist Gehaltsexperte bei Pedersen & Partners. Er berät seit über 10 Jahren Unternehmen weltweit zum Thema Gehälter. In seinem neuen Buch "Jobstars" vertritt er die These, dass Angestellte ihre beruflichen Ziele besser erreichen können, und gibt Tipps, was sie von Selbständigen lernen sollten, um auch in Zukunft erfolgreich zu sein.

Aber die Zahl der Unternehmen in Deutschland wird auf fast vier Millionen beziffert, die meisten davon sind kleine und mittelständische Unternehmen. Die können doch nicht alle irren?

Pramböck: Unternehmertum ist wichtig, weil es Arbeitsplätze schafft. Allerdings sind über die Hälfte der Firmen Ein-Personen-Unternehmen, die nur für sich selbst arbeiten. Das Risiko, als Unternehmer zu scheitern, ist sehr hoch: Ein Drittel der Selbständigen geht innerhalb der ersten drei Jahre in Konkurs, 70 Prozent der Familienunternehmen sterben bei der Übergabe an die nächste Generation. Ich habe von fast allen Selbständigen, mit denen ich für mein Buch gesprochen habe, die Aussage gehört, dass gerade in der Anfangsphase eines Jungunternehmers auch sehr viel Glück dazugehört. Eine einzige verspätete Zahlung eines wichtigen Kunden kann den Unterschied zwischen Pleite und Fortbestehen der Firma ausmachen. Ich halte es für Wahnsinn, einer breiten Bevölkerung zu empfehlen, die eigene Existenz und jene der Familie in weiten Teilen dem Glück zu überlassen. Unternehmer sollen jene werden, die bereit sind, ein hohes Risiko einzugehen und es auch zu tragen, wenn es kritisch wird.

Dennoch: Laut einer Umfrage von TNS Emnid halten die meisten Deutschen die Selbstständigkeit für attraktiv, weil sie selbstbestimmt, von Zuhause aus arbeiten und eigene Ideen verwirklichen können. Wenn die Sehnsucht danach so groß ist, ist es dann nicht geradezu ein Muss, es mal zu versuchen?

Pramböck: Ich möchte mit meinem Buch die Angestellten ermutigen, ihr Glück als Angestellte zu finden und nicht unbedacht das Wagnis der Selbständigkeit einzugehen. Zahlreiche Unternehmen – wie etwa mein eigener Arbeitgeber – ermöglichen ihren Mitarbeitern schon heute, von zu Hause aus und mit flexiblen Dienstzeiten zu arbeiten. Diese Flexibilität ist gerade für Familien mit Kindern ein unschätzbarer Vorteil, um Berufs- und Familienleben besser miteinander zu verbinden. Als Mitarbeiter würde ich dieses Thema jedenfalls bei meinem Chef ansprechen. Nicht bei jedem Job wird es möglich sein, ganz auf feste Arbeitsorte und geregelte Dienstzeiten zu verzichten. Unternehmen sollten aber dem Trend folgen und ihren Mitarbeitern mehr Freiheiten hinsichtlich Ort und Zeit ihrer Arbeitsleistung geben. Die Kontrolle sollte sich auf Ergebnisse und nicht auf bloße Anwesenheit konzentrieren. Allein dadurch würde die Sehnsucht vieler Mitarbeitern deutlich sinken, den riskanten Sprung in die Selbständigkeit zu wagen.

Aber wer sein eigener Chef ist, der hat nicht nur mehr Freiheiten, sondern auch mehr Geld...

Pramböck: Es ist ein Irrglaube, dass Selbständige automatisch mehr verdienen als Angestellte. Die Statistiken zeichnen ein anderes Bild: 90 Prozent der Angestellten verdient mehr als die Selbständigen. Es ist zwar richtig, dass selbst gut bezahlte Angestellte, wie Vorstände oder Investment Banker, niemals ein Milliardenvermögen wie erfolgreiche Unternehmer à la Bill Gates oder Warren Buffett aufbauen werden. Aber die Chancen, mit dem eigenen Geschäft unermesslich reich zu werden, sind auch für Selbständige geringer als ein Haupttreffer im Lotto.

Wenn die Welt der Unternehmer und Selbständigen für die meisten gar nicht so rosig ist, warum sehnen sich so viele Menschen dann danach?

Pramböck: Die Medien stellen ein einseitiges Bild von den Vorzügen und Möglichkeiten der Selbständigkeit dar. Von erfolgreichen Unternehmer lesen alle gerne, von den vielen Gescheiterten spricht niemand. Die Eröffnung eines neuen Werks eines bekannten Konzerns ist eine Schlagzeile wert. Dass dahinter viele Jahre Aufbauarbeit stehen, wird häufig vernachlässigt. Es ist einfach nicht sexy zu schildern, wie sich Jungunternehmer in den ersten Wochen vor allem mit Papierkram, Steuerfragen und Verhandlungen mit Banken auseinandersetzen müssen. Vom Erntedankfest berichten viele, die Aussaat im Frühjahr und die schweißtreibende Arbeit im Sommer ist keine Schlagzeile wert.

Haben die Angestellten ein Problem damit, ihre Situation objektiv einzuschätzen?

Pramböck: Wenn Angestellte meinen, dass sie ihr Glück erst in der Selbständigkeit finden, verkennen sie, dass es Licht und Schatten in allen Lebenskonzepten gibt. Sie hängen dem Traum vom Schlaraffenland nach, einem Leben mit unbegrenzten Ressourcen ohne Arbeit und ohne Probleme. Doch gerade ihre Einstellung zum Lösen der Probleme bildet einen gewaltigen Unterschied zwischen erfolgreichen Menschen und dem Rest. Stolz auf sich und seine Arbeit kann nur jener sein, der Probleme löst, und nicht jener, der sie vermeidet. Selbständige wissen, dass zahlreiche Herausforderungen auf sie warten. Viele Angestellte gehen Problemen lieber aus dem Weg und untergraben damit systematisch ihr Selbstbewusstsein.

Sie sagen, dass es den Mitarbeitern an Begeisterung und Motivation für ihren Job mangelt und die Chefs auch nicht besser sind, weil die darauf mit mehr Druck und schärferen Kontrollen reagieren. Wer ist denn nun eigentlich schuld an der Misere?

Pramböck: Viele Angestellte befinden sich in einer Negativspirale, weil sie für die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes zu zahlreichen Kompromissen bereit sind. Die Angst vor Fehlern, die den eigenen Job kosten könnten, treibt sie in die Defensive. Es fehlt ihnen an Selbstbewusstsein, weil sie erkennen, dass es nirgendwo einen sicheren Arbeitsplatz mehr gibt. Die Unternehmen haben in den letzten Jahrzehnten die Loyalität zu den Mitarbeitern aufgekündigt und aus betriebswirtschaftlichen Gründen viele Arbeitsplätze gestrichen oder in andere Länder verlagert. Die Angestellten klammern sich an eine längst vergangene Welt voller Sicherheit und Stabilität. Es ist notwendig, dass die Angestellten ihre Einstellung zur Arbeit ändern, wenn sie ein erfülltes Berufsleben führen wollen.

Sollen Angestellte sich also lieber wieder auf die positiven Seiten ihres Angestelltendaseins besinnen, statt den Sprung in die Selbstständigkeit zu wagen?

Pramböck: Die erfolgreichen Angestellten der Zukunft sollten sich mehr so verhalten wie die Selbständigen heute. Angestellte finden eine solide Basis vor, auf der sie ihre Existenz aufbauen können. Aus dieser Position heraus sollten sie für sich erkennen, welche Leistung sie für ihren Arbeitgeber erbringen möchten, den sie besonders gut und besonders gern tun. Ein Bekannter von mir schlug seinem Chef etwa vor, im Bereich Social Media aktiv zu werden und stellte ihm Nutzen und Kosten seiner Pläne vor. Sein Geschäftsführer erkannte den Wert der Maßnahmen für das Unternehmen und betraute ihn noch im selben Gespräch mit dieser Aufgabe.

Was können denn Unternehmer tun, um ihre Angestellten bei Laune zu halten? Und woran erkennen sie, dass diese es nicht mehr sind?

Pramböck: Die Initiative für ein erfülltes Berufsleben muss jedenfalls vom Angestellten selbst ausgehen, nicht vom Unternehmen. Die Wirkung gut gemeinter Motivationsprogramme vom Management und ihren Beratern verpufft ansonsten innerhalb kurzer Zeit. Unternehmen sollten den Vorschlägen der Angestellten aufmerksam zuhören, sie verbessern und die Umsetzung in die Verantwortung des Ideengebers zurückübertragen. Sie sollten erwünschtes Verhalten belohnen und im Unternehmen öffentlich machen, um Nachahmer zu inspirieren. Und sprechen wir es offen an: Es gibt so viele schlechte Führungskräfte, die Status, Macht und Gehalt verteidigen, indem sie die Ideen und guten Leistungen ihrer Mitarbeiter abblocken, um selbst gut dazustehen. Es ist entscheidend, wie das Top Management mit diesen Führungskräften umgeht.

Sie zitieren eine Studie, nach der erfolgreiche Gründertypen in der Regel Narzissten, Machiavellisten und subklinische Psychopathen sind. Kann als Unternehmer nur erfolgreich sein, wer nicht ganz dicht ist?

Pramböck: Unternehmensgründer grundsätzlich als Soziopathen zu bezeichnen, ist natürlich Unfug. Selbständige zeigen laut der Studie von Kramer und Schwarzinger jedoch ein geringeres Maß an Gewissen und Achtsamkeit, die für ein friedliches Miteinander wichtig sind. In Steve Jobs‘ Biografie wird beschrieben, wie rücksichtlos er unzählige Male bei Apple mit seinen Angestellten umging, wenn es um die Verwirklichung seiner Vorstellungen ging. Seine Leidenschaft für die eigenen Ideen bewerte ich als positiv, und seine Selbstüberschätzung war gewiss hilfreich, um große Probleme aktiv anzugehen. Problematisch finde ich es, wenn der persönliche Erfolg nur auf Kosten anderer Menschen, der Umwelt oder der eigenen Gesundheit erzielt werden kann. Auch wenn Apple eines der profitabelsten Unternehmen unserer Zeit ist, möchte ich heute jedenfalls nicht mit Steve Jobs tauschen.

Um bei dieser Studie zu bleiben: Bedeutet das nicht, dass ich als Angestellter erst recht der Verlierer bei der Geschichte bin? Denn mein Chef ist ja vielleicht ein Narzisst, Machiavellist oder subklinischer Psychopath. Denn die netten Selbstständigen haben ja selten soviel Erfolg, dass sie sich Angestellte leisten können....

Pramböck: Eine entscheidende Herausforderung der Angestellten liegt in der Wahl ihres Umfelds. Leider gibt es zu viele schlechte Führungskräfte, und die Verlockung ist groß, für ein gutes, sicheres Gehalt Kompromisse beim Chef einzugehen. Doch Angestellte sind gut beraten, die Qualität ihrer Vorgesetzten streng zu beurteilen. Der persönliche Vorgesetzte und das Top Management der Firma bilden den Boden, auf den die guten Ideen der Mitarbeiter fallen. Auf einem kargen Boden kann einfach kein großer, gesunder Baum wachsen.
Der "Kampf um die Talente", von dem Sie sprechen und bei dem Mitarbeiter mit lukrativen Angeboten gelockt werden, betrifft doch nur einen Bruchteil der Angestellten, die Masse der Mitarbeiter kann doch froh sein, wenn sie für den Chef mehr als nur eine kleine Nummer ist. Malen Sie die Welt des Angestelltseins da nicht zu rosig?
Pramböck: Es ist heutzutage viel leichter möglich, als Angestellter beruflich erfolgreich zu sein als noch in unserer Elterngeneration. Eine Führungsposition vor 40 Jahren zu erreichen, war damals undenkbar. Heute sitzen schon einige junge Manager ab Anfang 30 als Bereichsleiter in großen Konzernen. Die Anforderungen der Unternehmen sind deutlich gestiegen, aber ebenso die Chancen. Wer sich hingegen nicht einsetzt und sich weiterentwickeln will, steht auch als Akademiker auf tönernen Füßen und riskiert einen Abstieg aus der Mittelschicht. Es ist nicht verwerflich, wenn ein Mensch andere Prioritäten setzt als den beruflichen Erfolg. Aber es wäre ein fataler Fehler zu meinen, dass diese Menschen in der Selbständigkeit besser aufgehoben wären.

Nun sind viele Selbstständige gar nicht selbstständig, weil sie es so toll finden, ihr eigener Chef zu sein. Sondern weil sie keine andere Option hatten. Welchen Tipp haben Sie denn für diese Ex-Angestellten?

Pramböck: Die Schere in unserer Gesellschaft geht auseinander. Auf der einen Seite verlagern die Unternehmen zahlreiche Arbeitsplätze ins Ausland, auf der anderen Seite sind qualifizierte, leistungsbereite Mitarbeiter so gefragt wie noch nie. Wer nur einen Job sucht und auf ein sicheres Einkommen ohne größere Arbeitsbelastung hofft, wird zunehmend enttäuscht werden. Wer seine eigene Leistung festlegt und seinen Beitrag erkennt, sucht keinen Job, sondern ein Unternehmen, in dem seine Fähigkeiten optimal zur Geltung kommen. Diese Einstellung zur Arbeit gilt unabhängig vom Alter. Die entscheidende Frage sollte lauten: „Welche Leistung möchte ich erbringen, für die jemand bereit ist, mich das ganze Jahr hindurch zu bezahlen?“ Für Personen mit einem solchen klaren, attraktiven Angebot gibt es immer einen Platz.

Immer mehr Unternehmen setzen auf eine kleine Kernmannschaft und viele freie Mitarbeiter. Ist das Loblied auf das Angestelltendasein da nicht schon eine Art Nachruf auf die „gute alte Zeit“? Wäre es nicht realistischer, sich darauf einzustellen, dass eine komplette Karriere im Angestelltenverhältnis heutzutage fast schon eine Illusion ist?

Pramböck: Ein Leben lang als Angestellter wird auch in Zukunft für viele von uns Realität sein, nur eben nicht in einem stark geschützten Umfeld und nicht immer beim selben Arbeitgeber. Die Angestellten sind hierzulande die am schnellsten wachsende Berufsgruppe. In den letzten zehn Jahren ist die Zahl der Angestellten um 50 % gewachsen, jene der Selbständigen nur um rund 15 %. Die Rahmenbedingungen haben sich für die Angestellten durch Globalisierung, Outsourcing und Wirtschaftskrisen deutlich verschärft. Gerade Branchen, die wirtschaftlich zu kämpfen haben, wie etwa die Medien, setzen stark auf freie Mitarbeiter. Das geht leider in vielen Fällen zulasten der Qualität. Sicherheit, Stabilität und gegenseitige Verbundenheit sind nicht nur für Angestellte das Fundament für den Aufbau ihrer Existenz, sondern auch die Grundlage für erfolgreiche Unternehmen. Jeder gute Unternehmer weiß, dass er nichts ist ohne seine Angestellten. (masi)