Vom Krümel zum Kuchen

Staatliche IT-Projekte enden oft im Desaster. Ist Privatisierung das Mittel der Wahl, oder sind statt der Eigentumsverhältnisse ganz andere Faktoren erfolgsentscheidend?

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Von
  • Christian Kirsch

Staatliche IT-Projekte scheitern häufig im ersten Anlauf oder nach jahrelanger Arbeit. Eine fast vergessene Episode dieser Geschichte ist „FISCUS“. Das sollte der ganz große Wurf werden, der allen Bundesländern eine einheitliche Software für die Steuerverwaltung beschert – topmodern mit Java und IBMs Framework „San Francisco“. Heraus kamen nach 13 Jahren Entwicklungszeit und Ausgaben von rund 900 Millionen Euro im Wesentlichen: ein bisschen Stammdatenverwaltung und das Eintreiben der Versäumniszuschläge zur Grunderwerbssteuer in Schleswig-Holstein. Auch die vier Jahre vor dem endgültigen Aus erfolgte Gründung einer privatwirtschaftlichen Entwicklungs-GmbH hatte FISCUS nicht retten können.

Dass private Auftragnehmer nicht unbedingt besser arbeiten als der Staat selbst, zeigte sich außerdem am grandios gescheiterten Berliner Projekt „BASIS3000“ für die zentralisierte Sozialhilfevergabe, das Oracle und die PSI AG gemeinsam verantworteten und nicht zum Abschluss brachten. Ähnliche, wenn auch teurere Fehlleistungen lieferten das Toll-Collect-Konsortium und T-Systems (Software für das Arbeitslosengeld II).

Wie es anders und besser gehen könnte, demonstriert seit Jahren das Bayerische Finanzministerium. Es betreut ELSTER, das ursprünglich nur die elektronische Einkommensteuererklärung ermöglichte. Über die Jahre haben die dortigen Programmierer immer mehr Funktionen integriert, sodass es heute Lohn- und Umsatzsteueranmeldungen, Kapitalertragsteuern und einige andere Unternehmensabgaben verarbeitet.

Ähnlich wie die Bayern bei ELSTER geht die Deutsche Bahn mit ihrem Touch&Travel-System vor. Der Pilotversuch startete mit ein paar Tausend Teilnehmern in der Region Berlin und Potsdam, die allesamt spezielle Handys benötigten und Vodafone- oder Telekom-Kunden sein mussten. Inzwischen gibt es Apps für Android und iOS, ab März können alle D-Netz-Nutzer das System verwenden. Tickets gibt es damit nun für die Fernstrecken der Bahn sowie die Verkehrsverbünde in Berlin, Potsdam und dem Rhein-Main-Gebiet.

Gemeinsam ist dem mobilen Ticketsystem und ELSTER die Entscheidung für ein inkrementelles Modell statt für ein allumfassendes Großsystem. Dadurch entsteht frühzeitig ein zumindest rudimentäres Produkt, das sowohl Erfahrungen liefert als auch einen Ausgangspunkt für weitere Entwicklungen. Von Perfektion bleiben diese Programme weit entfernt – wie die meisten. Aber zumindest erfüllen sie ihre Zwecke, und nach ein paar Jahren Betrieb wissen die Betreiber vermutlich, wie sie das Ganze am besten neu bauen können. ELSTER jedenfalls hat sich bei neuen Teilprojekten schon vom bisherigen betriebssystemabhängigen Formularsystem ab- und Webanwendungen zugewandt, und die Verkehrsbetriebe dürften auf absehbare Zeit mit Apps weiter kommen als mit der Nahfunktechnik NFC.

Schrittweises Verbessern ist jedoch kein Allheilmittel. Beim schon zweimal gescheiterten zentralen Zulassungsverfahren für die deutschen Hochschulen etwa hülfe nur der große Wurf. Das richtige Vorgehen ist jedenfalls allemal wichtiger als die Eigentumsverhältnisse.

(ck)