"Einfältig und dumm"

Engpässe bei Bandbreite und Konnektivität hemmen den Fortschritt, meint der ehemalige BT-Forschungschef Peter Cochrane im c’t-Gespräch: Die Lösung heißt Glasfaser, nur habe die Branche das noch nicht begriffen.

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Von
  • Richard Sietmann

Finanzmärkte mögen keine Risiken, aber auch langfristige Investitionen in die Infrastruktur strafen sie ab: Ende Januar stufte die Rating-Agentur Fitch die Kreditwürdigkeit der holländischen Telekom KPN herunter, nachdem diese im Zuge der landesweiten Breitband-Ausbaustrategie die Mehrheit an dem Glasfasernetzbetreiber Reggefiber erworben hatte. Das vorherrschende, auf schnelle Profitabilität gerichtete Denken kritisierte Peter Cochrane in seiner Keynote auf der Jahrestagung des FTTH Councils Europe, der Branchenvereinigung von rund 150 Netzwerkausrüstern, die „Fiber to the Home“ voranbringen wollen. c’t sprach mit dem ehemaligen Forschungschef und CTO der British Telecom über die Erfordernisse und Hindernisse des Glasfaserausbaus in den Zugangsnetzen.

c’t: Seit drei Jahrzehnten gehört Glasfaser-Hausanschlüssen die Zukunft. Wenn man sich in Europa umschaut, werden sie auch die Zukunft bleiben. Warum geht es mit FTTH nicht richtig voran?

Cochrane: Die Modelle, mit denen die Wirtschaftlichkeit berechnet wird, sind falsch. Und ich meine, nicht nur ein bisschen falsch, sondern gewaltig. Ich muss das mal so platt ausdrücken: Die ökonomischen Analysen sind unglaublich einfältig und dumm, weil Entscheidungen offenbar nur anhand der Erstellungskosten getroffen werden. Dabei sind die Gesamtkosten, die Cost of Ownership, bei weitem der wichtigste Parameter, den man sich anschauen sollte – die mit FTTH mögliche Verringerung des Platzbedarfs durch die um 90 Prozent kleineren Netzknoten, der um 70 Prozent geringere Personalbedarf, die um mehr als 90 Prozent höhere Zuverlässigkeit usw. usw. Statt dessen wurden erst ADSL, dann VDSL eingesetzt. Jetzt wird als weitere Technik zum Ausschöpfen der begrenzten Kapazität das sogenannte Vectoring in Betracht gezogen, um immer noch ein Stückchen Bandbreite aus den vorhandenen Leitungen zu knautschen. Die Bandbreite des Kupferkabels ist begrenzt, die der Glasfaser praktisch nicht. So einfach ist das. Nur scheinen das Entscheidungsträger nicht zu begreifen.

c’t: Die Zurückhaltung wird eher damit begründet, dass es an der Marktnachfrage fehlt. Bei der Deutschen Telekom heißt die Devise, „sell first, build later“ – erst die Kundenverträge, dann wird verlegt.

Cochrane: Also ich kenne niemanden, der ein Stagnieren oder Abnehmen des Verkehrsvolumens voraussagt. Die Präsentation des Netzausbaus in München war auf dieser Tagung doch interessant: Da wird die neue Infrastruktur aufgebaut, und die Deutsche Telekom ist nicht dabei. Ich würde sagen, sie ist moribund, dem Untergang geweiht. Wenn sie sich nicht bewegt, entgleitet ihr der Markt. In Wirklichkeit sieht es doch so aus: Videokonferenzen werden kaum genutzt, weil es an Bandbreite und Konnektivität fehlt. Aus demselben Grund lassen sich weniger als sieben Prozent der Smart-TV-Geräte mit dem Internet nutzen. Dabei sind internetfähige Fernseher zurzeit der große Renner; die Leute kaufen sie, stöpseln sie ein – und können nichts damit anfangen. Zu wenig Bandbreite und Konnektivität, das sind die Engpässe, die den Fortschritt hemmen.

c’t: Das müsste eigentlich auch Entscheidern klar sein. Doch ausgerechnet die einst in der Glasfaserentwicklung führenden Länder England und Deutschland liegen heute beim Einsatz weit hinten. Woran liegt das?

Cochrane: Die Kupfer-Leute wollen ihren Job behalten. Was sind denn die größten Herausforderungen einer Industrie? Ihre Geschichte, festgefahrene Denkweisen, alte Modelle, der laufende Betrieb, Partikularinteressen – kurz, der Wandel. Alte Denkmuster und Partikularinteressen sind am schlimmsten. Das größte Problem besteht darin, dass die Telcos nicht sehen, wie sie nur mit dem Bit-Transport Geld machen können. Meine Antwort ist, sie müssen Diensteanbieter werden.

c’t: Deshalb wollen die Betreiber ja den Endkundenzugang bei den Inhalte- und Diensteanbietern vermarkten. Dann ist aber Schluss mit dem Grundsatz der Netzneutralität, dass ein Kommunikationsnetz jeden mit jedem verbindet.

Cochrane: Nicht unbedingt. Der Gesetzgeber kann bestimmen, dass das Netz offen zu sein hat.

c’t: Das tut er aber nicht. Ist nicht zu befürchten, dass künftig jeder Betreiber in Paketen bündelt, welche Inhalte und Dienste in welcher Qualität erreichbar sein werden und welche nicht, und so das Kabelfernseh-Modell Oberhand gewinnt?

Cochrane: Nein, nein, nein, vergessen Sie die Kabelfernseh-Branche. Diese Denke finde ich ziemlich zurückgeblieben. Netzneutralität ist absolut notwendig. Ich stelle Ihnen jetzt mal ein Rätsel: Wenn die Regulierer mächtig genug sind vorzuschreiben, wie wir den freien Raum, das Funkspektrum nutzen dürfen – wie kommt es dann, dass ihnen die Macht fehlt, uns vorzugeben, was wir mit den Wellenlängen auf den Glasfasern und den Leitungskanälen da draußen machen?

c’t: Weil sich Politiker die Glasfasernetze nicht als optischen Äther vorstellen können.

Cochrane: Genau. Und das wird sich ändern. Uns ist auf diesem Planeten ein Medium von praktisch unbegrenzter Bandbreite gegeben. Open Software, Open Networks, Open Access, Open Hardware werden die Entwicklung, Verbreitung und Innovation treiben. Kreativität entsteht an den Rändern der Netze – unkontrolliert, offen und verteilt. Und sie ist konnektivitäts- und bandbreitenhungrig. Das heißt, die Elektronik geht, und alles wird optisch. Es ist frustrierend, dass wir wahrscheinlich 50 Jahre brauchen, um dahin zu gelangen, wo wir auch in 10 Jahren sein könnten. (vbr)