US-Wirtschaftsaufsicht sucht Kompromiss im Streit um die Netzneutralität

Die Kartellwächter der FTC wollen Internet-Anbietern Anreize für Innovation lassen und eine gesetzliche Festschreibung des Prinzips des offenen Internet vermeiden, solange Mauthäuschen im Breitbandnetz die Ausnahme bleiben.

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Die US-Handelsaufsicht Federal Trade Commission (FTC) will Internet-Anbietern Anreize für Innovation lassen und eine gesetzlich Festschreibung des Prinzips des offenen Internet vermeiden, solange Mauthäuschen im Breitbandnetz die Ausnahme bleiben. Dies ist der bisherige Tenor auf einem Workshop der US-Kartellwächter in Washington zum Thema Wettbewerbspolitik im Breitbandbereich, bei dem die Frage der Aufrechterhaltung der Netzneutralität im Vordergrund steht. "Viele von uns suchen nach einem dritten Weg", erklärte Kommissar Jon Leibowitz. "Es sollte Breitband-Anbietern Raum bleiben, sich gegenseitig in einer Weise Konkurrenz zu machen, wie sie es wollen", zeigte er sich skeptisch gegenüber pauschalen staatlichen Eingriffen in den Markt zur Absicherung eines allen etwa bei der Zugangsgeschwindigkeit unterschiedslos zur Verfügung stehenden Netzwerks. Einige Einschränkungen bei den Möglichkeiten, Preise für abgestufte Zugangsformen zu verlangen, könnten aber wichtig sein.

Die FTC hat im August eine Arbeitsgruppe zur Netzneutralität eingerichtet, die im Rahmen des Workshops Stellungnahmen von Befürwortern und Gegnern einer gesetzlichen Verankerung des offenen Netzprinzips für die Ausarbeitung eines eigenen Empfehlungsberichts sammeln will. Schon damals war die FTC-Vorsitzende Deborah Platt Majoras der Ansicht, dass ein Eingreifen der Aufsichtsbehörde oder des Gesetzgebers momentan nicht erforderlich sei. Man dürfe das Internet nicht kaputt regulieren, solange es keinen Nachweis für einen Schaden für die Verbraucher gebe, stieß sie nun in das gleiche Horn. Man wolle wettbewerbsfeindliches Verhalten im Breitbandsektor aber auf jeden Fall bekämpfen.

Leibowitz bezeichnete die vor allem in den USA hitzig geführte Debatte um die Netzneutralität als eine "Schlacht weit von der Realität entrückter Welten", in denen beide Seiten die Folgen oder das Ausbleiben einer entsprechenden Regulierung aufbauschen würden. Die Politik sollte nach einem Kompromiss suchen, "auch wenn dieser nicht alle Interessensgruppen glücklich macht". Hauptsache sei, die schlimmsten Befürchtungen beider Seiten auszuräumen und eine für die Verbraucher akzeptable Lösung zu finden. Als Vorbild könne die Selbstverpflichtung von AT&T im Rahmen der BellSouth-Übernahme dienen, wonach der US-Telekommunikationsgigant zwei Jahre auf die Einführung einer Breitband-Maut verzichten will.

Zuvor hatten Vertreter beider Lager sich einen rhetorischen Schlagabtausch geliefert. Großen US-Breitbandanbietern und einigen europäischen Carriern wie der Deutschen Telekom geht es seit längerem darum, für den Aufbau ihrer Hochgeschwindigkeitsnetze Inhalteanbieter für die zugesicherte oder besonders rasche Übertragung von Daten zur Kasse zu bitten. Verfechter strenger gesetzlicher Netzneutralitätsregeln wie Amazon.com, eBay, Google, Microsoft oder Yahoo fürchten dagegen, dass neue Geschäftsmodelle durch ein Mehr-Klassennetz behindert und innovativen jungen Netzfirmen Steine in den Weg gelegt werden sollen. Google hätte gar nicht entstehen können, wenn die zwei studentischen Gründer erst eine "Armee von Anwälten" gebraucht hätten, um Netzwerkvereinbarungen mit Providern in der ganzen Welt abschließen zu müssen, betonte etwa Alan Davidson, Politikberater bei dem Suchmaschinen-Primus, während der FTC-Anhörung.

Auch Gigi Sohn, Präsident der zivilgesellschaftlichen Organisation Public Knowledge, rief die staatlichen Regulierungsbehörden auf, den Telcos und Netzprovidern stärker auf die Finger zu schauen und Behinderungen einzelner Inhalteanbieter zu verhindern. Generell sollten Breitbandbetreiber zur Offenlegung ihrer real angebotenen Bandbreiten für einzelne Geschwindigkeits- und Tarifklassen verpflichtet werden. So könne man besser sehen, ob wirklich alle Kunden gleich behandelt würden. Jegliche Regulierung habe selbst ihren Preis, warnte dagegen Bob Pepper, Technologie-Manager bei Cisco Systems. Die Errichtung von Netzwerkinfrastrukturen sei extrem teuer, sodass die Kosten wieder hereingeholt werden müssten. Sollte es dabei tatsächlich zu Wettbewerbsverstößen kommen, sollten diese fallbezogen behandelt werden.

Der "Vater" des World Wide Web, Tim Berners-Lee, machte sich derweil Anfang der Woche auf dem 3GSM-Kongress in Barcelona für einen Erhalt des offenen Internet auch im Breitbandzeitalter stark. Netzneutralität sei eine derart fundamentale Eigenschaft des Internet, dass die Netzwerkpioniere "nicht einmal einen Namen dafür hatten". Allen sei in der Frühzeit des Internet und des World Wide Web klar gewesen, dass das Netzwerk allen zu gleichen Bedingungen zur Verfügung stehen müsse. Jegliche Einschränkung dieses Prinzips etwa mit proprietären Systemen würde sich dagegen wie eine "Glasdecke" auswirken und "die Innovation einschränken".

Zum Thema Netzneutralität siehe auch:

(Stefan Krempl) / (jk)