Für eine Handvoll Dwolla

Ein US-Start-up will den Markt für mobile Bezahlsysteme aufmischen - und nebenbei auch noch die 40 Jahre alte Infrastruktur für Banküberweisungen modernisieren.

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Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Jessica Leber

Ein US-Start-up will den Markt für mobile Bezahlsysteme aufmischen – und nebenbei auch noch die 40 Jahre alte Infrastruktur für Banküberweisungen modernisieren.

Rocker-Bart, Wollmütze, Intellektuellenbrille – wie ein Banker sieht Ben Milne wahrlich nicht aus. Und doch hat sich der Uni-Abbrecher nicht weniger vorgenommen, als unser Geldsystem neu zu erfinden. Und die Banken hören ihm dabei zu: Obwohl Milne selbst keinen Hintergrund in Finanztheorie hat, interessieren sich schon einige der größten Geldhäuser der Welt für sein Konzept – Dwolla.

Das ist umso erstaunlicher, als das gleichnamige Start-up aus Des Moines im US-Bundesstaat Iowa Kreditkarten überflüssig machen will. Mehr noch, Milne will auch gleich die technische Infrastruktur, über die seit 40 Jahren alle finanziellen Transaktionen in den USA abgewickelt werden, das Automated Clearing House (ACH), einmotten.

Das kann auf den ersten Blick größenwahnsinnig erscheinen. Dwolla hat derzeit ganze 20 Mitarbeiter und 80.000 Nutzer, während über ACH jährlich Geld im Wert von 34 Billionen Dollar bewegt werden. Vier Billionen entfallen auf Kredit- und Debitkarten – letztere entsprechen unseren EC-Karten –, 30 Billionen auf Banküberweisungen. Der Haken daran: Weil ACH die Transaktionen nur stapelweise verarbeitet, dauert ein Geldtransfer mehrere Tage.

Es gebe keinen Grund, diese „völlig abgedrehte Ineffizienz“ nicht durch ein extrem schnelles, sicheres Echtzeit-System zu ersetzen, sagt Milne, der zuvor einen Online-Audiodienst betrieben hatte. „Die Leute, die das Übertragen von Werten kontrollieren, sitzen alle in Banken. Aber wo ist das ganze Gold geblieben? Es handelt sich nur noch um Zahlen.“

Zwar gehen alle IT- und Finanz-Beobachter davon aus, dass mobile Bezahlsysteme mit dem Handy oder Smartphone sprunghaft zunehmen werden. Aber noch hat sich kein System etablieren können, ja nicht einmal die nötigen Standards sind klar. Einzelhandelsketten, Banken, Kreditkartenfirmen, Netzbetreiber und Internetkonzerne wie Google haben alle ihre eigenen, konkurrierenden Konzepte.

Das schert Dwolla – eine Wortschöpfung aus „Dollar“ und „Web“ – nicht. Das System funktioniert im Prinzip wie eine Debitkarte mit aufgeladenem Guthaben: Ein Nutzer überweist von seinem Bankkonto Geld auf sein Dwollar-Konto, aus dem es zum Beispiel mittels einer Smartphone-App an andere Nutzer überwiesen wird. Es genügt, Email-Adresse, Telefonnummer oder Twitternamen des Empfängers einzugeben, und schon wechselt das Geld den Besitzer.

Die Dwolla-App: Links die Optionen, rechts die Auswahl, ob Geld vom eigenen Konto nachgeladen oder von Dwolla geliehen werden soll.

(Bild: Dwolla)

Helfen könnte Dwolla, dass seine Transaktionskosten niedriger sind als bei anderen Bezahlsystemen. Dwolla berechnet für Überweisungen bis zehn Dollar nichts, bei höheren Beträgen pauschal 25 US-Cent pro Transaktion. Das ist deutlich weniger als die zwei bis drei Prozent des Betrags, die Kreditkartenfirmen oder Paypal verlangen.

Larry James Jr., Inhaber des Mars Café in Des Moines, hat sich auf Dwolla eingelassen. Sein Laden ist ein Treffpunkt der sogenannten Silicon-Prairie-Szene aus Iowa. James ermutigt seine Kunden gar, Dwolla zu nutzen. Die Ersten bezahlen ihren Caffe Latte schon mittels Dwolla und sparen damit einige Cents, die für die US-übliche Kreditkartenzahlung anfallen würde. Bei regem Kartengebrauch können diese Cents sich am Ende eines Monats auf eine ansehnliche Summe addieren.

Kreditkartenfirmen wie American Express beobachten die Versuche von Dwolla und anderen Firmen aufmerksam. „Es passiert gerade eine Menge in der Bezahl-Industrie. Wenn man morgens aufsteht, sind schon wieder fünf bis zehn neue Start-ups gegründet“, sagt Dan Schulman, der die Enterprise Growth Division von Amex leitet und mit Serve ein eigenes digitales Bezahlsystem angeschoben hat. Gerade die kleinen Firmen würden das Feld von ganz unten neu durchdenken, erkennt Schulman an.

Bis Dwolla mit seinen 80.000 Nutzern einem Riesen wie Amex das Wasser reichen kann, muss noch einiges passieren: 50 Millionen American-Express-Karten sind zurzeit im Umlauf. Viele Dwolla-Nutzer setzen das System allerdings für Überweisungen unter Freunden oder für privates Fundraising ein. Im Bundesstaat Iowa akzeptieren immerhin schon 8.000 Einzelhändler Dwolla.

Die Firma will ihre Reichweite nun durch Kooperationen mit Software-Unternehmen vergrößern. Shopify, Anbieter von Online-Shopsystemen, hat kürzlich Dwolla als Bezahloption in sein Produkt aufgenommen. Milne hofft, dass auch ein Riese wie Apple dazukommt. Die Kalifornier könnten in ihrem iTunes-Store eine Menge Geld sparen, wenn sie auf Dwolla-Transaktionen statt Kreditkartenzahlungen setzen würden, betont Milne und fügt, nicht unbescheiden, hinzu: „Unser Ziel ist, die allgegenwärtige Bezahlplattform zu werden, die jeder nutzen kann.“

Während die Transaktionen innerhalb des Dwolla-Systems in Echtzeit erfolgen, dauert das Nachladen des Dwolla-Kontos aus dem Bankkonto wegen des ACH-Systems noch lange. Das schreckt potenzielle Nutzer ab. Dwolla hat deshalb im Dezember begonnen, seinen Nutzern einmonatige Kredite in Höhe von 500 Dollar einzuräumen, wenn die plötzlich nicht genug Geld auf ihrem Digitalkonto haben und nicht schnell genug nachladen können. Für den Service berechnet das Start-up eine Gebühr von drei Dollar.

Nun will Dwolla das ACH-System in Angriff nehmen. Und hier lauere die „wahre Innovation“ seiner Firma, verkündet Milne. Bei 16 Kredit-Firmen aus dem Mittleren Westen hat Dwolla die webbasierte Software FiSync installiert. Sie arbeitet nicht stapelweise wie ACH, sondern direkt. Nun versucht Milne, die großen Banken für die Modernisierung zu gewinnen. „Wenn man die im Boot hat, ist man ein unverzichtbarer Teil des Systems. Man wird quasi dessen Internet-Verbindung“, sagt Milne.

Allerdings muss er noch eine Menge Überzeugungsarbeit leisten. Marianne Crowe, Vizepräsidentin der Federal Reserve Bank of Boston, bezweifelt, dass ein Start-up mit so wenig praktischer Erfahrung in Finanzgeschäften das zugrundeliegende Transaktionsnetz verbessern kann. Mit FiSync dupliziere Dwolla nur die Infrastruktur der Banken untereinander, kritisiert sie. „Ich glaube, die haben nicht unbedingt verstanden, worum es dabei tatsächlich geht.“ Milne hält dagegen, dass Vertreter anderer Federal-Reserve-Banken (die gemeinsam den US-Dollar herausgeben) bereits Dwolla besucht hätten.

Zumindest in Des Moines sind Milne und seine Mitstreiter Lokalhelden. Die Regierung des Bundesstaats ließ im Februar Kekse als Glückwunsch schicken, nachdem Dwolla von Union Square Ventures eine neue Finanzierung über fünf Millionen Dollar bekommen hatte. Union Square Ventures hat unter anderem bereits in Twitter investiert. Er sei fasziniert von der Entschlossenheit und den eigenen Ansichten von Milne, sagt Albert Wenger, Partner beim Investor. Er selbst bezahlt inzwischen den Nachhilfe-Unterricht seiner Kinder über Dwolla. Gefragt, ob die fünf Millionen von Union Square Ventures auch über das Dwolla-System geflossen sein, ist Wenger allerdings für ein paar Sekunden perplex. Und schiebt dann nach: „Das wäre eine gute Idee gewesen.“ (nbo)