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Was war. Was wird.

Es lässt sich empirisch beweisen, behauptet Hal Faber, dass Heise-Forentrolle ihr Habitat überall haben, wo es zur Sache geht - und überkommene Reflexe gefragt sind.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Eigentlich darf das hier nieman lesen, ohne einen Taler am Kassenhäuschen entrichtet zu haben. Denn die nackte Anarchie beginnt schon, wenn jemand beim Lesen aus meiner kostbaren Wochenschau, ein, zwei Gedanken in seinen Langzeitspeicher schaufelt und dann weiter verwendet. Enteignet bin ich dann von blitzgescheiten Worten, ein armer Schlucker und darf mit Christian Lindner über die "Anarchie des freien Kopierens" jammern und die kulturelle Verlanzung der Welt. Aber hier steht kein Kassenhäuschen. Bestenfalls könnte man von einem Teller sprechen, auf dem die Leser ein paar Cent lassen wie nach dem Besuch eines WC. Auch dieser Vergleich hinkt im Sanifair-Zeitalter mit Zahlschranken und Bonus-Bons. Die hohe Schule des Jammerns zeigte dieser Woche Sven Regener, der einen Wutausbruch am WC hatte und Sanifaire-Zutrittsregelungen auch bei seiner Kunst sehen will: "Man pinkelt uns ins Gesicht" heißt es auf Youtube, das klingt wirklich unfein nach Verrohung der WC-Kultur und nach einem kriminellen Element. Für seinen Wutanfall hat Regener höchstes Lob geerntet, mit dem spitzen Hinweis, das bisher jeder Rock 'n Roll, Punk, Reggae usw. ohne Kultursubvention ausgekommen ist. Der Gegenwind war auch nicht zu verachten, wie Netzpolitik mit Ausschnitten und einer kleinen Linksammlung dokumentiert: Wer gegen den Wind pinkelt, sollte keine hohen Bögen versuchen, sonst geht es ins Gesicht.

*** Was viele in der Aufregung, dass Regener mit der GEMA den Lieblingsfeind aller Internet-Versteher verteidigt, vergessen, ist die Basis deren Existenz. Schließlich ist die Urheberrechtgspauschale u.a. auf Leermedien und zum Kopieren geeignete Geräte, mit der das beliebige private Kopieren von urheberrechtlich geschützten Werken abgegolten ist, eine Art Minimalform der Kulturflatrate. Was viele ebenfalls vergessen: Eine Haltung, die den Künstlern das Recht auf eine Honorierung abspricht, auf das Verdienen des Lebensunterhalts mit ihrer Kunst, macht sich allzu wohlfeil unter einer falsch verstandenen "neuen Zeit des Digitalen" breit. Was viele darüber hinaus ignorieren: NIMBY als Herangehensweise an eine grundsätzlice Überarbeitung des Urheberrechts, das in den letzten Jahren allzusehr zu einem reinen Verwerterrecht verkommen ist, ist keine gute Idee.

*** Interessanterweise können solche Diskussionen über Aufregerthemen ganz locker als empirischer Beweis dienen, dass Heise-Forentrolle ihr Habitat überall haben. Jedenfalls überall da, wo Aufregerthemen mit überkommenen Reflexen bedient werden und dem gemeinen Troll ungeahnte Aufmerksamkeit bescheren. Ach, selige Welt der Online-Foren: Willkommen in der schönen neuen Welt der Social Networks, in der er mittlerweile weltweit erschallt, der Ruf aller Mitdiskutanten: "Don't feed the troll!" Oder, etwas prosaischer: Geh sterben[...]

*** Aber was sind schon Troll-Reflexe und Rants eines Musikers gegen die Winkelzüge der Content-Industrie? Von wegen ACTA ad acta. Obwohl es die Europapolitiker nicht wahrhaben wollen, weht ihnen ein ganz heftiger Wind ins Gesicht, drauf und dran, ein großer Orkan zu werden, der Lobbyisten entwurzelt und für Dachschäden sorgt. Die im letzten WWWW erwähnte Spendenkampagne gegen die Geheimnistuerei der Regierung hat bisher 7000 Euro für den Klageweg eingesammelt, bei dem das Transparenzversprechen des Informationsfreiheitsgesetzes einem Lackmus-Test unterzogen wird. Derweil geben sich die ACTA-Befürworter unerschütterlich, auch wenn es an Verbesserungswünschen nicht mangelt. Der oberste ACTA-Befürworter, EU-Kommissar de Gucht, sieht eine aggressive pan-europäische" Kampagne gegen ACTA laufen, die vor Cyber-Angriffen auf europäische Institutionen nicht zurückschreckt. So stehts in einem Geheimprotokoll, das gerade in mehreren deutschen Ministerien zirkuliert. 22 europäische Staaten hätten ACTA unterzeichnet, die übrigen fünf seien zur Unterzeichnung verpflichtet: Die Zangsargumentation mit europäischen Pflichten kennen wir von der Vorratsdatenspeicherung. Bekanntlich ist Herr de Gucht davon überzeugt, dass der europäische Gerichtshof ACTA durchwinken wird, weil alles höchst wunderbar EU-rechtskonform abgelaufen sei. Geistiges Eigentum ist Eigentum, was gegen die Grundrechte des freien Informationszuganges verteidigt werden muss! Wer dem Druck der Internetgemeinde nachgebe, gefährde ganz Europa! Und überhaupt: Die Glaubwürdigkeit Europas werde von einer diffusen Internetgemeinde mit ihren vollkommen unbegründeten inhaltlichen Einwirkungen zerstört.

*** Die Reaktion auf solcherlei Schwarzweißmalerei kann nur lauten: dann zerstören wir mal, als mündige Bürger Europas. Bekanntlich haben wir in dieser Woche offiziell einen neuen Bundespräsidenten bekommen, der in seiner Rede dem "Demokratiewunder" dank des Engagements der 68er-Generation in Ost wie West einen höheren Stellenwert einräumt als Autos, Kühlschränke und dem neuen Glanz einer neuen Prosperität:

"Neben den Parteien und anderen demokratischen Institutionen existiert aber eine zweite Stütze unserer Demokratie, die aktive Bürgergesellschaft. Bürgerinitiativen, Ad-hoc-Bewegungen, auch Teile der digitalen Netzgemeinde ergänzen mit ihrem Engagement, aber auch mit ihrem Protest die parlamentarische Demokratie und gleichen Mängel aus."

In diesem Sinne muss auch die von Europa angedrohte Strafzahlung wegen der Vorratsdatenspeicherung gesehen werden. Ein paar Millionen Euro sollten uns der Erhalt der Bürgerrechte wert sein, in einer Zeit, in der Millarden zur Rettung des Finanzsystems zirkulieren. Zudem steht eine Debatte über Quick Freeze an, die das Zeug hat, die Bundesregierung zu zerlegen. Eine Regelung, bei der die CDU einlenkt, wie gefordert, ist nicht in Sicht. Es ist ein traurige Anlass, gehört aber zur Diskussion: Dass Frankreich die EU-Regeln der Datenspeicherung befolgt und dennoch ein den Diensten bekannter Homegrown-Terrorist zuschlagen konnte, offenbart die Fruchtlosigkeit des gesamten Überwachungskonzeptes und das polizeiliche Gefasel über Schutzlücken. Ja, man hatte schnell den Computer seiner Mutter ausfindig gemacht, ohne dass reagiert wurde, doch erst ein Motorradhändler brachte die Ermittler auf die Spur. Die klassische Ermittlungsarbeit funktionierte, wie in vielen vergleichbaren Fällen. Man muss nur lesen können (PDF-Datei). Wenn nun in Frankreich ein Besuchverbot für islamistische Webseiten folgt, hätten wir die Totalüberwachung. Die Republik zieht ein Monster groß, aber schuld ist das Internet? Europa, im 21. Jahrhundert.

Der Computer ist
auf dem allerneusten Stand
Da ist noch Pfand auf den Flaschen,
die in der Küche steh'n,
da will ich bald mal Scherben seh'n
Und der Bücherwand,
für die ein halber Wald einmal starb,
schlägt die letzte Stunde bald

Bring' den Vorschlaghammer mit,
wenn du heute Abend kommst,
dann hauen wir alles kurz und klein
Der ganze alte Schrott muss 'raus
und neuer Schrott muss 'rein
bis Morgen muss der ganze Rotz verschwunden sein. (Kriminelles Element)

Was wird.

Wird der ganze Rotz verschwunden sein? Oder wird er, einmal ausgerotzt, eintrocknen und verkrusten, als Festpopel am Arm dazu benutzt werden können, einen Vibrationsalarm unter die Haut schicken, auf dass wir keinen Anruf mehr verpassen? Achja, was Anrufe anbelangt, so stehen die offiziell der syrischen Regierung gehörende Syrian Telecommunication Establishment wie die Syriatel von Rami Makhlouf, dem Cousin von Bashar al-Assad, nicht auf der erweiterten Sanktionsliste der EU. Die Familie darf nicht mehr shoppen gehen, doch Software für die Überwachung des aufmüpfigen Volkes darf nach wie vor nach Syrien verkauft werden. Ein Verbot des Exports von TK-Überwachungstechnik wird es nicht geben. Über den Rest kommt ein blaues Mäntelchen der Verschwiegenheit.

Wie war das noch mit dem Taler am Kassenhäuschen? Ganz für Umme, in dieser verkackten Kostenloskultur im Internet ist ein Artikel von Albert Camus aus dem Jahre 1939 aufgetaucht, in dem er die vier Gebote des Journalismus für freie Journalisten vorstellt und erläutert, wie unter den Bedingungen der Zensur gearbeitet werden kann. Er sollte im Le Soir Républicain erscheinen, einer Tageszeitung in Algier, die unter der französischen Zensur stand. So tröstlich seine Überlegungen sind, so trostlos ist es, dass sich 1939 nicht viel geändert hat: "Un journaliste libre, en 1939, est donc nécessairement ironique, encore que ce soit souvent à son corps défendant. Mais la vérité et la liberté sont des maîtresses exigeantes puisqu'elles ont peu d'amants. -- Ein freier Journalist bedient sich unvermeidlich der Ironie, wenn auch oft widerwillig. Doch Wahrheit und Freiheit sind anspruchsvolle Geliebte, die nur wenige Liebhaber haben." Wo die Wahrheit unter den Tisch gekehrt werden, ist es schon ein kleiner Sieg der Ironie, wenn Starbucks für Aufklärung sorgt: Die Tatsache, dass sich chinesische Untergrundgewerkschafter in solch einem Setting treffen, um Informationen auszutauschen, machte niemanden stutzig. Früher aufgestanden als ein Hahn, später Feierabend als eine Nutte, und dann zu Starbucks? (jk)