Google-Forscher: Menschenrechtsschutz besser im Internet verankern

Die von Google unterstützte Denkfabrik "Collaboratory" hat erste Ergebnisse ihrer laufenden Initiative rund um Zugang, Freiheit und Kontrolle vorgestellt. Menschenrechte sollen das Rückgrat jeder künftigen Netzregulierung bilden.

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Die von Google unterstützte Denkfabrik "Collaboratory" hat am Dienstag in Berlin erste Ergebnisse ihrer laufenden Initiative rund um Zugang, Freiheit und Kontrolle vorgestellt. Menschenrechte sollen das Rückgrat jeder künftigen Netzregulierung bilden, erklärte Matthias Kettemann vom Institut für Völkerrecht der Universität Graz. Der zum Expertenkreis zählende Forscher erläuterte, das Internet mache beim Schutz von Grundrechten "nicht alles neu, aber vieles besser".

Kettemann verglich das Internet mit einem Brennglas, das menschliche Empörung und Engagement fokussiert. Derzeit seien netzbasierte soziale Medien der schnellste und flexibelste Massen-Informationskanal der Welt, aber auch anfällig für Zensur und Manipulation. Daher müsse technischer Schutz wie ein unabhängiges Identitätsmanagement von einer speziellen kompetenten Stelle angeboten und überwacht werden.

Der Menschenrechtsschutz müsse von allen Usern täglich praktiziert werden, da auch soziale Normen in einem Prozess der Selbstregulierung Grundrechte im Netz sehr effektiv schützen könnten, meinte Kettemann. Widerstand gegenüber Unrecht im Internet sei nicht nur das Recht, sondern in Form zivilen Ungehorsams sogar Pflicht des neuen Online-Citoyens. Das Internet sei ein guter Weg, um die Menschenrechte in den Entwicklungsländern zu stärken. Westliche Diskurse etwa zu Datenschutz und Urheberrechten dürften dabei aber nicht einfach übertragen werden, in den Schwellenregionen gehe es stärker um Informationszugang, weltweite Vernetzung und die Förderung von benachteiligten Gruppen.

Die Expertengruppe plant Kettemann zufolge in einem Kunstprojekt eine "transnationale Republik" zu gründen. In dieser "Noosphäre" solle der "Code des Geistes herrschen"; digitale Menschenrechte seien darin das zentrale Schutzgut. Wie der Wissenschaftler gegenüber heise online ausführte, sollen dazu auf der Bloggerkonferenz re:publica im Mai "Pässe" für die neue Gemeinschaft ausgegeben werden. Das sei anfangs noch nötig, bis derlei bestehende Strukturen überwunden werden könnten. Der Abschlussbericht der Expertengruppe soll parallel der Öffentlichkeit vorgestellt werden.

Martin Fleischer, Leiter des Bereichs Cyberpolitik im Auswärtigen Amt, befand, dass die Rolle des Nationalstaates im grenzenlosen Internet zwar schwierig zu definieren sei. Es gebe bisher aber keine echte Alternative zu diesem System. Die Staatengemeinschaft sei sich einig, dass das Netz eine schützenswerte grundlegende Infrastruktur darstelle. Der Westen müsse aber immer wieder die Ansicht verteidigen, "dass ein offenes Internet auch mehr Sicherheiten bietet". Das geltende Recht reiche prinzipiell für den Menschenrechtsschutz aus. Staaten müssten sich aber bewusst dafür entscheiden, es auf den Cyberspace anzuwenden.

Eine Doppelmoral bei der Netzregulierung kritisierte Rikke Frank Jörgensen vom Danish Institute of Human Rights. Die meisten Regierungsvertreter könnten sich leicht abstrakt auf einige Grundrechte fürs Internet einigen, zum Beispiel auf Meinungsfreiheit in Bezug auf den "arabischen Frühling". Dem stünden dann aber oft nationale Gesetze zur Blockade von Online-Inhalten und zum Filtern des Netzverkehrs entgegen. Es sei daher sinnvoll, Menschenrechte von vornherein "by design" in die Technik zu integrieren. Selbstregulierung kann laut Jörgensen, Mitgründerin der Initiative "European Digital Rights" (EDRi), gut sein; in der EU werde der Begriff aber oft so verstanden, dass ein privater Akteur in Rechte Dritter eingreife, zum Beispiel Provider als "Hilfssheriffs".

Das Sammeln großer Informationsmengen durch staatliche und wirtschaftliche Stellen ("Big Data") und die nahtlose Verknüpfung von Datenbanken sah Owen Pringle, Direktor "Digitale Kommunikation" bei Amnesty International (AI), als die größten Bedrohungen für die Menschenrechte in der digitalen Gesellschaft. Er warnte vor der weit verbreiteten Idee, die Technik in jedem Fall als befreiende Kraft anzusehen. AI habe aber bereits einen Hackermarathon veranstaltet, bei dem beispielsweise eine App entwickelt worden sei, mit der Menschenrechtsverletzungen festgehalten werden könnten. Die Zivilgesellschaft müsse "als soziales Netzwerk" wiederbelebt werden. An "Clicktivismus" glaube er nicht; Online-Aktionen könnten aber Nutzer aufrütteln und sie dazu bringen, auf die Straße zu gehen. (anw)