Angriffe auf Bürgerrechtler überschatten Weltgipfel der Informationsgesellschaft

Am Vorabend der Eröffnung des zweiten Weltgipfels der Informationsgesellschaft sagte Yoshio Utsumi, Generalsektretär der International Telecommunications Union, der zweite Gipfel habe den ersten schon jetzt zahlenmäßig deutlich übertroffen.

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Von
  • Monika Ermert

Am Vorabend der Eröffnung des zweiten Weltgipfels der Informationsgesellschaft (WSIS) in Tunis sagte Yoshio Utsumi, Generalsektretär der International Telecommunications Union (ITU), der zweite Gipfel habe den ersten schon jetzt zahlenmäßig deutlich übertroffen. Schon jetzt habe man 23.000 registrierte Teilnehmer, nach Genf zum 1. WSIS im Dezember 2003 waren 11.000 gekommen. Es sei der größte UN-Gipfel, der jemals stattgefunden habe, auch wenn die Beteiligung von Staatsoberhäuptern sich mit etwa 50 eher bescheiden ausnimmt. Allerdings hat der zweite Gipfel die Vorgängerveranstaltung auch in anderer Hinsicht geschlagen: Seit Ende vergangener Woche haben mehrere tätliche Übergriffe gegen Menschenrechtsaktivisten und Journalisten Gipfelvorbereitungen und -veranstaltungen überschattet.

Bereits in der vergangenen Woche war der Korrespondent der französischen Tageszeitung Liberation von Unbekannten angegriffen worden. Ein tunesischer Menschenrechtsaktivist und Journalist war in der gestrigen Montagnacht laut Informationen des Human Rights Caucus der zivilgesellschaftlichen Gruppen für kurze Zeit inhaftiert. Aus Protest gegen die Übergriffe sagten am heutigen Dienstag die Organisatoren des parallel zum WSIS stattfindenden Bürgergipfels mehrere Veranstaltungen ab. Ihnen waren kurzfristig Veranstaltungsräume gekündigt worden, auch der Heinrich-Böll-Stiftung erging es so. Dass nun auch kurzfristig verabredete Treffpunkte von Polizei in Zivil kontrolliert wurden, hat den Nichtregierungsorganisationen ihre Aktivitäten weiter erschwert. Die Behinderung gipfelte darin, dass der deutsche Botschafter, der den Bürgergipfel-Organisatoren zu Hilfe gekommen war, daran gehindert wurde, mit tunesischen Menschenrechtsaktivisten in die Räume des Goethe-Instituts in Tunis zu gelangen.

"Auch in dem Restaurant, das wir anschließend gemeinsam aufsuchten, kam nach kurzer Zeit der Inhaber und bat uns, zu gehen, da er sonst zumachen müsse", berichtet Wolf Ludwig, von Communica.ch, einer der Organisatoren des Bürgergipfels. Zwischenzeitlich ist auch die EU auf den Plan getreten, die nun laut Aussagen von Seiten der deutschen Delegation auch eine offizielle Protestnote übermitteln wird. Die Tunesier, erklärte ein deutscher Diplomat, würden sich keinen Gefallen erweisen durch diese Aktionen. Von Boykottaufrufen will aber vorerst noch niemand sprechen. Die EU habe den Organisatoren des Bürgergipfels vorerst geraten, dass sie ihre Veranstaltungen innerhalb des Konferenzzentrums Kram Palexpo abhalten sollen.

Die Palexpo untersteht durch ein spezielles Abkommen der UN. "Den Journalisten, die für diesen Gipfel akkreditiert sind, garantiere ich, dass sie ihre Arbeit ohne Einschränkungen und bei vollem Informationszugang erledigen können", sagte ITU-Generalsekretär Utsumi. Zu den Angriffen auf den Liberation-Journalisten meinte er, für Dinge, die außerhalb des Gipfels passieren, sei er nicht zuständig. Im Übrigen sei wie in jeder großen Stadt Vorsicht vor Kriminellen geboten. Solche Erklärungen reichen der Tunesia Monitoring Group (TMG) der Organisation International Freedom of Expression Exchange nicht aus. Sie forderten anlässlich der Absage ihres heutigen Gipfelbeitrags zum Thema Informationsfreiheit in der Informationsgesellschaft eine Untersuchung aller Vorfälle durch den UN-Generalsekretär Kofi Annan. Man müsse wohl, erklärte TMG-Mitglied Steve Buckly von der World Association of Community Radio Broadcasters, die Konsequenz ziehen, dass UN-Gipfel nicht in Ländern mit derartigen Einschränkungen der Presse- und Meinungsfreiheit stattfinden können.

Die TMG-Gruppe hatte in ihrem zweiten Bericht gewarnt, die Situation der Meinungsfreiheit habe sich im laufenden Jahr eher noch verschlechtert. Während des Gipfels sind in Tunesien mehrere Regimegegner im Hungerstreik. Die sie unterstützenden tunesischen Menschenrechtsorganisationen, die Partner des Bürgergipfels sind, wurden in vielen Fällen nicht beim offiziellen Gipfel akkreditiert. Eine Verlagerung des kompletten Bürgergipfels in die Mauern der Kram Palexpo sei daher keine Lösung. "Übrigens würden wir damit ja einen Offshore-Gipfel bekommen, von dem das Land, in dem er stattfindet, nichts hat", betonte Ludwig.

Zum 2. UN-Weltgipfel der Informationsgesellschaft und zum Streit um die Oberaufsicht im Internet siehe auch:

Zu den Ergebnissen des 1. WSIS siehe auch:

(Monika Ermert) / (jk)