Regierungen einigen sich auf Forum zur Diskussion von Internet-Fragen

Die USA, die zu Beginn des Weltgipfels der Informationsgesellschaft neue Gremien abgelehnt hatten, blockierten die Verabschiedung des Forums, bis klargestellt war, dass es keine exekutive Aufgabe oder Aufsichtsrolle über das Internet haben wird.

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Von
  • Monika Ermert

Ein neues "Internet Governance Forum" soll künftig Fragen der Politik im Netz und der Steuerung für das Internet diskutieren. Darauf einigten sich nach einem weiteren Verhandlungsmarathon Vertreter internationaler Regierungen unmittelbar vor dem offiziellen Start des zweiten UN-Weltgipfels der Informationsgesellschaft (WSIS) in Tunis. Damit ist der Streit zwischen Entwicklungsländern, EU und USA um die Macht im Internet vorerst beigelegt – wenn auch mit einem eher formelhaften Kompromiss, der an der momentanen Oberaufsicht der US-Regierung über die Internet-Regulierungs- und Verwaltungsgremien wenig ändert.

Regierungen, Wirtschaft und Zivilgesellschaft, also jenseits von politischen Parteien Regierungsbehörden und Industrieverbänden organisierte Gruppen, sollen gleichermaßen Zugang zum neuen Netzpolitik-Forum haben. Die USA, die zu Beginn des WSIS alle neuen Gremien abgelehnt hatten, blockierten die Verabschiedung des Forums so lange, bis klargestellt wurde, dass es keine exekutive Aufgabe oder Aufsichtsrolle über das Internet haben wird. UN-Generalsekretär Kofi Annan wurde nach viel Hin und Her beauftragt, für den Start des Forums zu sorgen. Griechenland erbot sich noch während der Schlussverhandlungen, im zweiten Vierteljahr 2006 Gastgeber für die erste Versammlung des Forums zu sein.

Keinen entscheidenden Schritt vorwärts gab es im Streitpunkt Aufsicht über zentrale Einrichtungen für die Verwaltung des Internet, darunter die DNS-Rootzone, das System der DNS-Rootserver und die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN). Die EU, die mit ihrer Forderung nach einem neuen Modell der Zusammenarbeit der internationalen Regierungen in diesem Punkt zuletzt für viel Wirbel gesorgt hatte, legte einen abgeänderten Vorschlag vor, der von einer "verbesserten Zusammenarbeit" sprach. Allerdings sollen die Verbesserungen von den bestehenden Organisationen ausgehen. Keine Gefahr also für den Fortbestand der ICANN und auch deren Regierungsbeirat (GAC), auch wenn dieser wie andere Gremien weitere Veränderungen in Gang setzen könnte, was seine Mitsprachemöglichkeiten anbetreffen.

Der Verhandlungsführer der EU, David Hendon vom britischen Departement of Trade and Industry, unterstrich gegenüber heise online, man habe eigentlich die eigene Position nicht verändert, sondern "wir haben uns nur noch einmal anders ausgedrückt". US-Botschafter David Gross sagte im Anschluss an die Einigung kurz nach 22 Uhr, zum ersten Mal sei die führende Rolle des Privatsektors angemessen anerkannt worden. Man sei auch zufrieden mit der Flexibilität des Forums. "Ideen von dort können von den technischen Organisationen aufgenommen werden – oder nicht." Ein Brief von Condolezza Rice an die EU-Präsidentschaft vom 7. November, in dem die US-Regierung die EU unter Verweis auf die bislang bestehende gute Partnerschaft in Internetpolitikfragen zu einer Änderung ihres Standpunktes aufgefordert hat, ist allerdings ein Beleg für den Druck, der von Seiten der USA ausgeübt wurde.

Einige kleinere Kröten schluckten die US-Verhandlungsführer, die immer auf der letztendlichen Kontrolle der USA über die Internet-Aufsichtsgremien bestanden, angesichts des insgesamt für sie sehr annehmbaren Deals. Nicht nur das Forum, sondern auch der Prozess der "verbesserten Zusammenarbeit" wurde in die Hand von UN-Generalsekretär Kofi Annan gelegt. Annan wird also neben der Einladung zum ersten Forum auch den Prozess starten, mit dem ICANN und GAC weitere Reformen angehen sollen. "Ausreichend vage," sei dieser Part formuliert, sagte Wolfgang Kleinwächter, Mitglied der Internet Governance Caucus der zivilgesellschaftlichen Gruppen und Telepolis-Autor. Die Zivilgesellschaft sei aber insgesamt sehr zufrieden mit dem Ergebnis. Innerhalb des Forums rechnet Kleinwächter mit viel Gestaltungsmöglichkeiten für Nichtregierungsorganisationen und Wirtschaft.

Unklar ist noch, wie genau die Rolle der International Telecommunication Union (ITU) aussehen soll. Auch dabei einigte man sich auf einen Kompromiss, der gestaltungsbedürftig ist. Zwar wird der Forumsprozess nicht, wie etwa Russland fordert, "auf der Basis der ITU" organisiert. Allerdings wurde es Annan freigestellt, für das Netzpolitik-Forum "Ressourcen der ITU zu nutzen". Auch für das Forum bleibt also noch viel auszudiskutieren. Botschafter Masaoud Kahn, der den Deal als Verhandlungsführer der Arbeitsgruppe für Internet Governance ausgehandelt hat, sagte gegenüber heise online: "Wir werden noch mehr Diskussionen haben."

Zum 2. UN-Weltgipfel der Informationsgesellschaft und zum Streit um die Oberaufsicht im Internet siehe auch:

Zu den Ergebnissen des 1. WSIS siehe auch:

(Monika Ermert) / (jk)