It's the Strukturwandel, stupid!

Die neue Debatte übers Urheberrecht bleibt im Streit über Geschäftsmodelle stecken. Es geht um mehr: um Kapitalismus vs. "Digitalsozialismus".

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Von
  • Niels Boeing

Was ein Telefongespräch doch bewirken kann. Seit Sven Regeners inzwischen legendärer Wutrede im Bayerischen Rundfunk streitet die Republik übers Urheberrecht. Letzte Woche haben noch einmal 51 Tatort-Autoren nachgelegt. Hatte Regeners Ausbruch zumindest noch etwas Rührendes, war die Tirade der Tatort-Autoren in ihrer beleidigt-elitären Ausdrucksweise vor allem unangenehm. Der Chaos Computer Club hat sie fein säuberlich zerlegt. Dennoch wird mir in der Debatte, auch seitens des CCC, noch zuviel über Geschäftsmodelle geredet.

Wenn Musik als klar definierte und ausgepreiste Ware nicht mehr in Massen verkäuflich ist, haben wir es zuerst mit einem technisch ausgelösten Strukturwandel zu tun. Der einzelne Tonträger ist tot, abgelöst vom Internet als einer Art ideellem Gesamt-Tonträger, der im Prinzip für jeden zugänglich ist. Regener mag beklagen, man könne in der Filesharing-Anarchie des Netzes als Musiker kaum noch von seinem Werk – gemeint: Alben – leben. Dieses Schicksal, wenn es sich denn so erfüllen sollte, würden Musiker aber mit etlichen anderen Berufen teilen: Druckvorlagenherstellern, Metteuren, Bergleuten, Schauerleuten... Eine exklusive Ungerechtigkeit wäre dieses Schicksal sicher nicht.

Im Unterschied zu den genannten Berufen können Musiker immerhin noch "back to the roots" gehen und so wie unzählige Combos vor den sechziger Jahren ihr Geld als Live-Musiker verdienen. Die Beatles spielten in Hamburger Zeiten Sets von fünf, sechs Stunden. Ehrliche Arbeit, schweißgetränkt. Davon soll hier aber kein Loblied gesungen werden.

Interessant ist vielmehr, warum eigentlich Musik, Kunst oder Texte so selbstverständlich als Waren, als Massenprodukte gedacht werden. Die Antwort ist ganz einfach: Weil sie in den vergangenen Jahrzehnten im Prinzip ein Leben als Rentier ermöglicht haben – und zwar dank des Urheberrechts mit seinen daraus fließenden Tantiemen. Nirgendwo ist der urkapitalistische Traum, "ausgesorgt zu haben", so schön vorgelebt worden wie in der Popmusik. Das Urheberrecht ist gewissermaßen ein geistiges Pendant zu einem Eigentumstitel an Grund und Boden, von dem der Eigentümer leben kann, ohne ihn selbst bewirtschaften zu müssen. Ebenso das Industriepatent (das nebenbei nur 20 Jahre gilt, was die Tatort-Autoren vielleicht nicht wissen, wenn sie eine Verkürzung der Schutzfristen ablehnen).

Das Urheberrecht einfach als gegeben hinzunehmen, es gar als Grundrecht im Range der Meinungsfreiheit zu verteidigen wie die Tatort-Autoren, blendet seine Funktion im kapitalistischen Wirtschaftssystem aus. Um Respekt vor dem künstlerischen Werk geht es beim Urheberrecht im Kern überhaupt nicht. Es geht darum, immaterielle "Güter" zu sichern und verwertbar zu machen.

Nun, im digitalen Strukturwandel, gabelt sich der Weg in drei mögliche Stränge. Die einen, die "prädigitalen Ignoranten mit Rechteverwertungsfetisch" (Zitat CCC), möchten das Urheberrecht, wie es bisher war, auch im Netz ohne Wenn und Aber durchsetzen. Durchsetzen heißt, seine Verletzung aufzuspüren und zu ahnden. Dies ist ohne eine Deep-Packet-Inspection, ohne eine Überwachung auf der Ebene der Datenpakete, nicht zu haben. Jeder Urheber sollte sich gut überlegen, ob dieser Preis angemessen ist, um den Lauf der Dinge aufzuhalten.

Der mittlere Weg ist der des Pragmatismus, den manche Musiker, Programmierer und Autoren schon eingeschlagen haben. Schauen, dass man von einem Auftraggeber einigermaßen vernünftig entlohnt wird, vielleicht noch eigene neue Vertriebswege im Netz erschließt. Nicht bezahlte Downloads oder Streamings werden als Kollateralschaden von Anfang mit einkalkuliert. Zum Leben als Rentier wird es aber nicht mehr reichen – ist das ein Drama?

Der dritte Weg könnte sein, das geistige Eigentum gänzlich fallen zu lassen und immaterielle Werke von vorneherein als Gemeineigentum zu fassen, wenn zugleich als Sicherheit ein Grundeinkommen eingeführt wird. Der französische Theoretiker André Gorz hat dies bereits in den achtziger Jahren als "Sozialeinkommen" propagiert. Es könnte in einer weitgehend automatisierten Produktion, an der alle in Maßen beteiligt sind, eine beträchtliche Zeit für "Eigenarbeit" – beispielsweise kreative Arbeit – freisetzen. Natürlich ist diese Vorstellung Schöngeistern ein Graus: Millionen "Amateure" machen Kunst, machen Musik, programmieren vielleicht auch. Na und? De facto hat diese Entwicklung im Netz längst begonnen.

Die Piratenpartei, die sich bisher politisch nicht klar positionieren will, täte gut daran, sich diesen dritten Weg zu eigen zu machen. Das Big Picture zu zeichnen – zumal in der gegenwärtigen Krise, in der sich viele Fragen, wie es weitergehen könnte, sollte. Dann müsste sie sich vielleicht nicht mehr als Unterstützer von "Raubkopierern" beschimpfen lassen, sondern nur noch als "Digitalsozialisten". Mit diesem Vorwurf sollte man leben können.

(nbo)