SMS für Analphabeten

Forscher aus der Schweiz und Indien arbeiten an Smartphone-Anwendungen, die auch von Menschen genutzt werden könnten, die weder lesen noch schreiben können.

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  • Lucas Laursen

Forscher aus der Schweiz und Indien arbeiten an Smartphone-Anwendungen, die auch von Menschen genutzt werden könnten, die weder lesen noch schreiben können.

Auf der Straße nach Chennakeshavapura im südindischen Bundesstaat Karnataka können Reisende einen Stein finden, auf den Gemeindevertreter die hilfreiche Abkürzung "CK Pura" gepinselt haben. Die Botschaft hilft den zahlreichen Analphabeten, die hier leben, allerdings wenig – für sie ist Lesen und Schreiben weniger wichtig als ihre Arbeit. Die besteht vor allem darin, ausreichend Wasser auf die Felder zu schaffen, um die Erdnüsse, für die diese Region berühmt ist, auch in trockenen Jahren in ausreichender Menge ziehen zu können.

2007 begannen Informatiker aus der Schweiz in Zusammenarbeit mit indischen Agrarwissenschaftlern mit der Installation drahtloser Sensoren, die Daten auf den Anbauflächen sammeln, mit denen die Bauern ihre Ernte verbessern können. Es gab nur ein Problem: Nur wenige von ihnen konnten die Empfehlungen, die das System ausspuckte, lesen. Nun testen die Erdnuss-Farmer eine neuartige Smartphone-Software, die ganz speziell für Menschen mit Analphabetismus entwickelt wurde. Die App zeigt nun die wichtigsten Informationen über den Zustand der Feldfrüchte in Form von Piktogrammen an.

Das Projekt in CK Pura soll nur der Anfang sein. Funktioniert die Technik, könnte sie auch Menschen in anderen Erdteilen helfen. Der Informatiker Hendrik Knoche von der EPFL in Lausanne hat das dafür notwendige Nutzerinterface entwickelt. Hilfe bekam er von P.R. Sheshagiri Rao, der selbst eine Farm in CK Pura betreibt und zuvor als Agrarwissenschaftler in einem anderen Teil Indiens arbeitete.

Die Forscher haben aber auch eine SMS-Anwendung für Menschen entwickelt, die weder lesen noch schreiben können. Sie hört auf den Namen EasySMS und entstand zusammen mit Knoches Studenten in Lausanne. Sie erlaubt es, eigene Botschaften zu verfassen, indem Worte aus bereits eingegangen Nachrichten wiederverwendet werden. Dazu bewegt man den Finger über ein Wort und kann sich dann seine Bedeutung vorlesen lassen. Anschließend zieht der Nutzer die Begriffe, die er gerne benutzen will, in eine neue Nachricht. Die Anwendung enthält außerdem ein kleines Wörterbuch mit häufig vorkommenden Worten und Wendungen.

Die neuen Nutzerschnittstellen von Touchscreen-Geräten sind bei dieser und anderen Apps sehr hilfreich. Bei älteren Handys musste man sich stets durch zahlreiche Menüebenen hangeln, bis man die Uhrzeit einstellen oder eine neue SMS senden konnte. Aus diesem Grund merkten sich einige Analphabeten einfach die notwendigen Tastenkürzel. "Das kann ein großes Problem sein", weiß Indrani Medhi von Microsoft Research in Bangalore. Knoche setzt deshalb auf Smartphones, bei denen die Nutzer Icons sofort erkennen und sich merken können. Teuer sind die Geräte nicht mehr – ab 50 Dollar aufwärts werden sie in CK Pura verkauft.

Knoche hat EasySMS bereits in der Schweiz getestet – in Alphabetisierungskursen innerhalb der Erwachsenenbildung. Die neue App soll noch in diesem Sommer auch in CK Pura eingesetzt werden. "Wenn wir einen Weg finden, mit diesen Menschen auf diese Art zu kommunizieren, hat das auch das Potenzial in anderen Weltregionen", meint Knoches Kollege Rao. Die Mobilfunkanbieter dürften das ähnlich sehen: Sie sind gerade dabei, ländliche Gebiete als Wachstumsmarkt zu begreifen. Weltweit gibt es rund 793 Millionen Analphabeten. (bsc)