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Was war. Was wird.

Auf der Borderline zwischen den Verschwörungstheorien hält Hal Faber das Gleichgewicht. Sonst würde er auch in den Teich fallen und das junge Familienglück stören. Aber keine Sorge, um die Enten kümmern sich andere.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Heute nacht werde ich leise, ganz leise zum Verlag radeln, die Ketten gut geölt, die kleine Wochenschau auf einer 5 1/4"-Diskette, die bei der Übergabe keinen Krach macht. Ich werde alles tun, um die Zeitungsenten nicht zu erschrecken, die Nachwuchs bekommen haben. Es ist zwar nur ein Entlein und hat nicht das Kaliber der ausgewachsenen dpa-Ente, die nach dem Hamburger "Grundsatz"-Urteil in die weite deutsche Presselandschaft entfleuchte. Aber es ist ein teichechtes Heise-Entlein, mit allen Redakteurswassern gewaschen, gefüttert mit bestem Trollfutter, auf dem besten Weg, eine große Ente zu werden, bereit für den Tag, an dem sie ihrem Naturell nach für eine Entblödung sorgen wird. Da heißt es leise sein, ganz leise.

*** Bekanntlich findet Journalismus auf der Borderline zu den verschiedenen Verschwörungstheorien statt, erst recht ist das beim IT-Journalismus der Fall. Statt Entblödung der Leser kümmere ich mich heute lieber üm die Entsouveränisierung, wie der deutsche Übersetzer von Buckminster Fuller die "desovereignization", die schrittweise Dezentralisierung nannte. Folgt man Fullers Grunch of Giants, verlieren die Großen Piraten, die die Erde seit der Bronzezeit kontrollieren, die Kontrolle an das Internet und seine Nutzer. Sie werden nach dem Versagen der repräsentativen Demokratie die elektronische Demokratie einführen, in der schlussendlich das Gehirn Internet die Geschicke der Erde steuert:

"Nie zuvor waren die Ungerechtigkeiten und die Wucht einer gedankenlosen Geldmacht so offensichtlich für eine solch gewaltig große Menge gebildeter, kompetenter und konstruktiv denkender Menschen auf der ganzen Welt. Bald wird ein kritischer Moment erreicht sein, in dem die Intuition der verantwortungsgeleiteten Mehrheit, im Gegensatz zu zornigen Maschinenstürmern und rächenden Robin Hoods, angesichts einer umfassenden funktionalen Diskontinuität des nationalen techno-ökonomischen Systems nach weltweiter Reorientierung unserer planetarischen Affären ruft und diese durchsetzt."

*** Wo die Hälfte der Welt von der Entbräunung der Piraten schreibt und die andere sich über die urheberrechtliche Enteignung durch diese Truppe entrüstet, ist der Blick auf Bucky die passende Entdämonisierung. Denn die von ihm behauptete Systemselbstkorrektur durch das elektronische Netz basiert auf der Transpare nz und Informationsverfügbarkeit aller Entscheidungsprozesse, die für jedermann einsehbar und zur Zufriedenheit aller zu rationalen Entscheidungen führen. Wie sonst erklärt sich die sonderbare "Schweigespirale" der Sonntagsfrage, in der die Piraten weiter in der Wählergunst zunehmen, obwohl ihre Gegner das härteste Geschütz Deutschlands aufgefahren haben: Currywurst mit Pommes und Mayo. Wer kann so ein engagiertes Sachargument schlagen?

*** Ach ja, das Urheberrecht. Gegen die Piraten hat der Drehbuchautor Niki Stein ein weiteres Pamphlet in die Welt gesetzt, das eine köstliche Passage enthält: "Ich weiß, jetzt wird ein Aufschrei durch die Gemeinde gehen: Ausspähung, Vorratsdatenspeicherung, Staatstrojaner! Aber die Trojaner, die Facebook, Apple, Amazon wahrscheinlich schon längst in euren Computern installiert haben, sind euch offenbar egal." Sicher darf man von einem Tatort-Drehbuchschreiber und Regisseur nicht erwarten, dass er weiß, wie ein Trojaner funktioniert. Aber mindestens sollte er wissen, unter welchen miserablen Bedingungen die 44.000 Journalisten in Deutschland arbeiten. So bleibt es beim enttarnten Großverdiener, der um seine fette Geldbörse fürchtet. Hier darf der Verweis auf den Kollegen Suchsland nicht fehlen und ein ehrenwerter Link muss her: "Sie nennen es Urheberrecht. Aber sie meinen Verwertungsmonopol. Ich sehe einstweilen in allen, die dagegen kämpfen, meine Verbündeten, und in denen, die solche Monopole verteidigen, Komplizen der Ausbeutung."

*** Ach ja, die Vorratsdatenspeicherung. Ein Dutzend Tickermeldungen in einer Wochen sollten genügen? Nein, tun sie nicht, weil das Umdenken längst hinter den berühmten verschlossenen Türen in aller Intransparenz stattfindet. Damit ist diese Ente gemeint, die zwar offiziell dementiert wird, aber das Zeug zu einem flugfähigen Vogel hat. Man leser nur, wie die tageszeitung vom parteipolitischen Datensalat berichtet und es akzeptabel findet, dass Internet-Verbindungsdaten sechs Monate auf Vorrat gespeichert werden, während es für Telefondaten keine Vorratsspeicherung geben soll. So etwas nennt sich offiziell Kompromiss, doch der Ornithologe und Fachmann für faule Eier dürfte eher Orwells Entente gesichtet haben.

In der letzten Wochenschau angekündigt, erwies sich die erste Fernsehshow des Australiers Julian Assange im russischen Fernsehen als furchtbare Enttäuschung. Im Julianischen Kalender sollte dieses harmlos-freundliche Interview mit dem Hizbullah-Chef Hasran Nasrallah als Lehrstück abgeschrieben werden. Auf den Satz, dass die Juden den Holocaust übertreiben und selbst instrumentalisieren, hätte ein Assange eine Gegenfrage haben müssen, um sich vom Mainstream Media abzusetzen. So dürfte sich nur Israel Schamir über sein Husarenstück gefreut haben. Es kann nur besser werden.

Was wird.

Ob es besser wird, wenn die netzerische Tiefe des Raumes entzaubert wird, die vor 40 Jahren ein schlichter Elfmeter war? Zumindest war besagte Tiefe keine Ente, sondern entsprang der Phantasie eines FAZ-Feuilletonchefs und hatte als solche urheberrechtlich eine beträchtliche Schöpfungshöhe, auch wenn das Original anders lautete: "Der aus der Tiefe des Raumes plötzlich vorstoßende Netzer hatte 'thrill'."

Thrill, das ist es wohl, was diese Tage haben sollen, wenn ein Großes Haus wie das Bundesinnenministerium eine "aufregende" Nachricht mit der Bitte um Veröffentlichung schickt, die sich nach dem Klick als Förderprogramm für Personalausweis wie De-Mail (PDF-Datei) entpuppen. Beide Leuchtturmprojekte werden entetiert betrieben, doch der Thrill ist nicht da. (Ohne Google hätte ich das schöne entetiert nicht gefunden, ein Dank von Urheber zu Verheber). Die Belebungsmaßnahmen für die behördliche Kopfgeburt namens De-Mail sind in vollem Gange.

Und sonst so? Thrill oder Pfeifen, wohin man auch schaut. Auch wenn die elektronische Gesundheitskarte nach wie vor in der Kritik steht, geht ihre Ausgabe munter weiter. Nach Schätzungen der Kassen sind 15 Millionen Karten draußen, bis Ende des Jahres 2012 sollen es mindestens 48 Millionen sein, so die staatlich festgesetzte Quote. Wer seine Karte mit einem dieser Standard- oder Komfort-Kartenleser ausliest, die für den elektronischen Personalausweis gedacht sind und auch über einen Slot für kontaktbehaftete Karten verfügen, findet auf der Karte mehrere Zertifikate, darunter seinen PIN.home für die fortgeschrittene Signatur. Die sollte der Versicherte als viel zitierter "Herr seiner Daten" einsetzen können, etwa in der elektronischen Kommunikation mit seinem Arzt, der den öffentlichen Schlüssel bekommt. In den Spezifikationen heißt es: "Bei der Erstausgabe müssen nach jetzigem Stand keine Daten auf der eGK geschützt werden; außerdem sind noch keine Anwendungen angelegt, die durch die PIN.home geschützt sind. Deshalb darf bei der Erstausgabe der eGK und bei Folgekarten muss für die PIN.home neben dem der Versand einer Echt-PIN auch ein Leer-PIN-Verfahren eingesetzt genutzt werden. Es ist möglich, die PIN.home zeitnah mit dem Versand der eGK oder erst später nach Anforderung durch den Versicherten, der die genannten Funktionen nutzen will, in einem PIN.Brief zu übermitteln." Wer die Funktionen als mündiger, moderner Bürger nutzen will, läuft heute gegen die Wand. Die Krankenkassen mauern und verweigern den Einsatz der eGK in diesem vom Gesetzgeber vorgesehenen Sinn. So entpuppt sich das Gerede vom Bürger als Herr seiner Daten als hohles Geschwätz und nährt den bösen Verdacht, dass diese "mündige Herrschaft" von Anfang an eine regierungsamtliche Ente war. Aber auf schicken Messen die Gesundheitskarte feiern, das freut die Branche der Informationstaktiker.

Schönen entenreichen Earth Day noch, mit besonderen Grüßen nach Bahrein. (vbr)