Gefährliche Artikel sind zu beantragen

Möglicherweise muss ein niederländischer Forscher demnächst einen Antrag bei seiner Regierung stellen, um einen Artikel in „Science“ veröffentlichen zu können. Das ist ein Unding.

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Von
  • Veronika Szentpetery-Kessler

Eigentlich sah es Anfang April so aus, als sei endlich alles geklärt: Das US-Sicherheitsgremium National Science Advisory Board for Biosecurity (NSABB) hatte nach mehrwöchigem Hin-und-her seinen Widerstand gegen die Veröffentlichung von zwei Artikeln über Vogelgrippe-Viren aufgegeben. Die Manuskripte hatten bei den renommierten Fachmagazinenen Nature und Science auf Eis gelegen, weil ihr Inhalt als Sicherheitsrisiko galt: sie enthielten Ergebnisse über Mutationen, die den Vogelgrippe-Erreger bei Säugetieren leichter übertragbar machen; statt direktem Kontakt war nun auch eine Ansteckung per Tröpfcheninfektion möglich.

Weil diese Daten auch den Nachbau des Virenerbguts für sinistre Bioterrorismus-Zwecke ermöglichen könnten, hatte das NSABB darauf gedrungen, die Artikel solange nicht zu veröffentlichen, bis kritische Details aus ihnen entfernt wurden. Mein Kollege Wolfgang Stieler und ich hatten bereits über das Thema geblogt. Unser Tenor: Das Geheimhalten von problematischen Daten bringt nichts und behindert nur diejenigen, die an einer Lösung des Problems arbeiten.

Ist mit der NSABB-Entscheidung nun alles gut? Mitnichten. Ersten gab das Gremium seinen Widerstand nur auf, nachdem beide Forscher revidierte Neufassungen ihrer Artikel vorlegten. Und plötzlich sagt die NSABB, dass „die neuen Ergebnisse verdeutlichen, wie das Verständnis spezifischer Mutationen die internationale Überwachung [von Pandemien, die Red.], die öffentliche Gesundheit und Sicherheit verbessern kann.“ Jetzt auf einmal.

Es lässt sich dabei nicht in allen Einzelheiten nachvollziehen, worin die Neufassungen bestehen. Aber der folgende Satz aus dem NSABB-Statement gibt zumindest zu denken: „Die Daten in den überarbeiteten Manuskripten scheinen keine Informationen zu liefern, die einen umgehenden Missbrauch der Forschung ermöglichen würden.“ Das klang aber vorher ganz anders.

Einer der Forscher, Yoshihiro Kawaoka von der Universität Wisconsin, der seine Ergebnisse beim Fachjournal „Nature“ eingereicht hatte, referiert seit der Absolution durch die NSABB frei über vier kritische Mutationen. Sind da wirklich alle Daten aus dem ursprünglichen Paper drin? Oder wurde wie früher bei den MacGyver-Episoden mindestens eine entscheidende Zutat weggelassen, um das Nachkochen zu erschweren? Das ist zugegebenermaßen Spekulation.

Bei Ron Fouchier vom Erasmus Medical Center in Rotterdam, dessen Artikel bei „Science“ auf Eis liegt, scheint die Lage etwas klarer. Seine Änderungen machen anscheinend deutlicher – die Steigerung ist wichtig –, dass keines der Versuchstiere, das sich per Tröpfcheninfektion angesteckt hatte, an der Vogelgrippe starb. Er habe darauf zwar schon in der ersten Fassung hingewiesen, aber wohl nicht deutlich genug. Also ich weiß nicht. Jetzt soll auf einmal alles „ein Riesen-Missverständnis sein“, wie es ein Forscher, der das NSABB bei der Entscheidung beraten hat, ausgedrückt hat? Nachdem das Gremium so eine Welle gemacht und erfolgreich in den Veröffentlichungsprozess eingegriffen hat?

Das ist umso unwahrscheinlicher, als Fouchier seinen überarbeiteten Artikel immer noch nicht veröffentlichen darf, wie Science letzten Freitag berichtete. Diesmal stammt der Maulkorb aber von seiner eigenen Regierung, die nun dieselben Bedenken umtreiben wie das NSABB: Es handle sich um „dual use research“, dessen Ergebnisse sich sowohl für Gutes als auch für Teuflisches verwenden lassen. Fouchier muss nun so etwas wie einen Exportantrag stellen, wenn er sein Paper nochmal einreichen will.

Die niederländische Regierung legt dabei eine EU-Regelung ziemlich frei zu ihren Gunsten aus: Die betreffende Verordnung regelt den Export von sicherheitstechnisch sensiblen Technologien und Materialien, schließt dabei die Grundlagenforschung aber explizit aus. Doch die Niederlande gehen sogar so weit zu sagen, dass der Forscher beim ersten Einreichen seines Papers das Gesetz möglicherweise gebrochen habe. Das ist schon ziemlich starker Tobak.

Solche kontroversen Fälle werden uns künftig öfter Begegnen: nicht nur bei der Vogelgrippe sondern bei jeglicher Forschung, die abschätzen will, wie weit ein Erreger davon entfernt ist, richtig gefährlich zu werden. Die Lösung besteht aber nicht darin, solche Forschung unter Verschluss zu halten. Mein Kollege Wolfgang Stieler zitierte in seinem Blog zu Recht den Biologen Peter Palese, der 2005 an der Rekonstruktion des berüchtigten Virus‘ der Spanische Grippen mitgearbeitet hatte: „Je gefährlicher ein Keim ist, desto wichtiger ist es, ihn zu untersuchen... Den wissenschaftlichen Prozess zu verlangsamen wird die Öffentlichkeit nicht beschützen – es wird sie nur verwundbarer machen.“ (vsz)