Online-Durchsuchung: Ist die Festplatte eine Wohnung?

In einer Reihe von Artikeln melden Juristen grundsätzliche Bedenken gegen die heimliche Online-Durchsuchung an, unter anderem auch in der Frage, ob der Zugang zum Computer unter das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung fällt.

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Von
  • Detlef Borchers

Inmitten der politischen Diskussion um die Online-Durchsuchung setzen sich nicht nur IT-Spezialisten mit dem geplanten Fahndungsmittel der Strafverfolger auseinander. Auch Juristen bemühen sich, die Möglichkeiten und Grenzen einer heimlichen Festplattenfahndung zu bestimmen. Trotz einzelner Gegenstimmen sind sie eher skeptisch, dass verfassungsrechtliche Fragen zufriedenstellend gelöst werden können. Besonders die Unverletzlichkeit der Wohnung, das Recht, allein gelassen zu werden und im Kernbereich der privaten Lebensführung seine Ruhe zu haben, ist dabei in die Diskussion geraten. In einem Aufsatz [1|#quelle1] für die Juristenzeitung hat Johannes Rux sich mit den Rechtsfragen der Online-Durchsuchung befasst. Rux beschäftigt sich dabei mit der Frage, ob zum privaten Wohnraum eines modernen Bürgers nicht auch ein virtueller Wohnraum auf der lokalen Festplatte oder im Internet gehört, in dem er seine Persönlichkeit entfaltet.

Als das Grundgesetz gezimmert wurde, gab es noch kein Internet. Dementsprechend bestimmte Artikel 13 die Unverletzlichkeit einer Wohnung physisch mit dem Begriff der Wohnung als vom öffentlichen Bereich abgetrenntem Raum. Ob Haus, Wohnung, Garten, Campingplatz oder Hotelzimmer, überall schützt Artikel 13 die zum Leben notwendige Privatsphäre. Dazu schreibt der Jurist Johannes Rux: "Nachdem sich in den letzten jahren mit aller Deutlichkeit gezeigt hat, dass der Mensch seine Persönlichkeit auch in virtuellen Räumen entfalten kann, stellt sich die Frage, ob hier Raum für eine analoge Anwendung des Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung ist." Rux hält diese Frage für legitim, weil der Computer für viele Menschen weit mehr ist als eine Aktentasche oder Bibliothek mit Textdateien, Kalkulationsdaten. Sie nutzten ihn, um mit anderen Menschen entfernte soziale Beziehungen aufzubauen, die den Grad an Intimität und Vertraulichkeit aufweisen können, wie er in der klassischen Kleinfamilie üblich sei, schreibt Rux. Auf der Festplatte eines Computers finden sich somit höchst private Dokumente des sozialen Lebens im virtuellen Raum, Liebesbriefe, intime Chats, Fotos und vieles mehr.

Wenn für diese Bereiche der Festplatte in Analogie zur Wohnung ein Anspruch auf Unverletzlichkeit gelten soll, stellt sich die Frage, wo die Schranken des Schutzbereiches sind. Unter Bezugnahme auf Urteile des Bundesverfassungsgerichtes setzt Rux den Schutzraum sehr weit an. Weil das Gericht befand, dass auch ein abgeschlossener Lagerraum zur Wohnung gehören kann, schreibt Rux unter Hinweis auf Speicherangebote wie die von Google: "Dann kann für die 'Internet-Festplatte' aber jedenfalls dann nichts anderes gelten, wenn der Nutzer seine Daten verschlüsselt oder Dritte auf andere Weise vom Zugriff auf diese Daten ausgeschlossen hat".

In weiterer Analogie vergleicht der Autor das Aufzeichnen von Tastaturanschlägen und Mausbewegungen mit der Aufzeichnung des Verhaltens in einer Wohnung. Aus dieser Analogie zieht Rux insgesamt den Schluss, dass Online-Überwachungen analog zur Wohnraumüberwachung nur zur Verhütung dringender Gefahren zulässig sind. Eine Online-Durchsuchung durch den Verfassungsschutz im Vorfeld einer Gefahrenlage sei dagegen nicht zulässig. Bei einer entsprechenden Änderung des Grundgesetzes sollte dies beachtet werden. "Die Ausforschung privater Rechner setzt demnach entweder eine konkrete Gefahr für ein hochrangiges Rechtsgut oder den Verdacht einer schwer wiegenden Straftat voraus", folgert Lux, der damit zumindest die Online-Durchsuchung der Verfassungsschützer in Nordrhein-Westfalen als juristisch unhaltbar betrachtet.

In einer Antwort auf Rux [2|#quelle2] bezweifelt Gerrit Hornung die Analogiebildung für den virtuellen Raum und zieht den Schutzbereich sehr viel enger. Die Analogie greife z.B. darum nicht, weil für den Initiator einer Online-Durchsuchung nicht einmal eindeutig erkennbar sei, ob nicht vielleicht auf einen Laptop zugegriffen wird, der sich womöglich gar nicht in der Wohnung befindet. Auch bei einer Speicherung auf "Internet-Festplatten" funktioniere die Analogiebildung nicht, weil der Nutzer seine Daten willentlich außerhalb des räumlich geschützten Bereiches ablege. Erst wenn zuverlässig arbeitende Ordnungssysteme (z.B. GPS in Laptops) sicher ausschließen können, dass ein Rechner sich in einem Wohnraum befindet, sei eine Online-Durchsuchung zulässig. Für alle anderen Fälle müsse die Verfassung geändert werden. Wenn diese Änderung die Online-Durchsuchung für besonders schwerwiegende Gefahrenslagen einmal erlauben sollte, dann nur, "wenn tatsächliche Anhaltspunkte für die Wahrscheinlichkeit eines Beitrags zum Ermittlungserfolg bestehen, andere Maßnahmen aussichtslos sind und verfahrensrechtliche Sicherungen (Richtervorbehalt, Dokumentation, Benachrichtigungspflicht) vorgesehen werden."

In einem Schlusswort [3|#quelle3] zur Festplatten-Debatte stimmt Johannes Rux der Argumentation von Hornung weitgehend zu, macht aber auf den zentralen Unterschied beider Positionen aufmerksam. Während Hornung die Online-Durchsuchng als schlichte Durchsicht der Festplatteninhalte charakterisiere, sei die Beobachtung eines virtuellen Raumes ein Echtzeitzugriff. "Diese Form des Echtzeitzugriffes, mit dem sich Verschlüsselungsmechanismen überwinden lassen, ist aber durchaus mit der Beobachtung eines Menschen innerhalb eines realen Raumes vergleichbar", betont Rux.

Diese juristische Argumentation dürfte in der weiteren Debatte um die Online-Durchsuchung eine Rolle spielen. Wiederholt haben Praktiker darauf hingewiesen, dass die Online-Durchsuchung vor allem benötigt wird, um die Verschlüsselung von Inhalten aufheben zu können. So erklärte BKA-Chef Jörg Ziercke unlängst in Freiburg: "Wir müssen an den Rechner, bevor verschlüsselt wird." Ob freilich die Daten auf den Festplatten von schwerkriminellen Straftätern oder Terorristen unverschlüsselt gespeichert sind, wie sich das etwa die CDU-Politikerin Ute Granold in ihrer jüngsten Stellungnahme vorstellt, darf bezweifelt werden.

Quellenangaben (die Artikel sind nicht online verfügbar):

  • [1] Johannes Rux: Ausforschung privater Rechner durch Polizei- und Sicherheitsbehörden. Rechtsfragen der "Online-Durchsuchung", Juristenzeitung 6/2007, S. 285ff
  • [2] Gerrit Hornung: Die Festplatte als "Wohnung"? Überlegungen zum grundrechtlichen Schutz von IT-Systemen gegen Online-Zugriffe der Sicherheitsbehörden, Juristenzeitung o.A.
  • [3] Johannes Rux: Schlusswort. Juristenzeitung o.A.

Die umstrittene heimliche Online-Durchsuchung eines Computers stößt bei Datenschützern ebenso wie bei Juristen auf Skepsis. In einer Reihe von Artikeln melden sie grundsätzliche Bedenken an und warnen vor der beabsichtigten Änderung des Grundgesetzes. Siehe dazu:

Zu den Auseinandersetzungen um die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe auch:

(Detlef Borchers) / (jk)