Verriss des Monats: Der perfekte Traum

Brauchen wir eine Alptraumentfernungsmaschine, die uns nur noch nette, wonnige, wunderbare Träume verschafft? Und was ist überhaupt ein guter, was ein schlechter Traum?

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Von
  • Peter Glaser

Brauchen wir eine Alptraumentfernungsmaschine, die uns nur noch nette, wonnige, wunderbare Träume verschafft? Und was ist überhaupt ein guter, was ein schlechter Traum?

Die Kunst des gepflegten Verreißens zweifelhafter Produkte ist ein wenig aus der Mode gekommen. An dieser Stelle präsentiert unser Kolumnist Peter Glaser einmal im Monat deshalb eine Rezension der etwas anderen Art: Den Verriss des Monats. Vorschläge für besonders zu würdigende Produkte werden gerne per Mail entgegengenommen.

Als Helmut Kohl noch Kanzler war, träumte ich eines Nachts von ihm. Als ich aufwachte, war ich fertig und dachte: Wie kommt DER denn in meine Träume? Was hat der da zu suchen? Es kann sich extrem bedrohlich anfühlen, wenn jemand in diesem innersten Refugium auftaucht. Wenn meine Burg gestürmt wird und ich mich in die letzte Kammer im Turm zurückziehe, ist das eine Sache. Wenn ich mich noch weiter zurückziehe, in den Schlaf und seine Träume, ist es ganz fürchterlich, wenn einem plötzlich das Gruselgarstige von innen entgegenkommt und es keinen Raum mehr gibt, auch keinen imaginierten, in den man sich zurückziehen kann.

All die Fragmente, Realitätsreste und scheinbar unauflöslichen Widersprüche der Alltagswirklichkeit werden von den immensen poetischen Kräften des Unbewussten im Traum so miteinander verbunden, dass es sich am nächsten Morgen wieder und eingehender anfühlt wie eine ganze Person und nicht wie eine scheppernde Rüstung. Aber Träume entsprechen nicht dem, was unser Tagesverstand als Ordnen und Strukturieren ansieht. Sie entsprechen nicht den Vorstellungen von Effizienz, die wir als ökonomische Wesen entwickelt haben. Sondern sie sind viel besser: Sie finden Wege zwischen zwei Punkten, die kürzer sind als eine gerade Linie. Und sie sind nicht googelbar.

Da möchte Professor Richard Wiseman gerne ran. Der britische Psychologe von der Universitätä Hertfordshire sucht Probanden, die eine von ihm gemeinsam mit der Softwarefirma Yuza entwickelte iPhone-App ausprobieren sollen. Mit "Dream:ON" soll man seine Träume kontrollieren können. Dazu spielt die App, während der Proband schläft, Klanglandschaften und Geräusche, die den Träumen eine gewünschte Richtung geben sollen. Das Projekt ist die Antwort auf eine Studie Wisemans, derzufolge 15 Prozent der befragten britischen Schläfer regelmäßig unter unerfreulichen Träumen leiden.

Um die App zu benutzen, teilt man ihr mit, wann man aufwachen möchte, sucht sich einen Weckton und ein paar "Soundscapes" aus (musikdurchwebte Naturklänge mit Titeln wie "Peaceful Garden" oder "A Trip to Tokyo") und legt das iPhone neben sich ans Bett. Während sich ein Schlafender in traumlosen Phasen merklich bewegt, wird er, wenn er träumt, ruhig. Den Unterschied kann das iPhone über sein Mikrofon feststellen und zu einer Traumphase die vorher ausgesuchten Klänge einspielen.

Professor Wiseman möchte, wie er in seinem Instruktionsvideo ausführt, den perfekten Traum produzieren können. Bis es so weit ist, werden die freiwilligen Teilnehmer seines Experiments gebeten, sich nötigenfalls sanft von ihrem iPhone wecken zu lassen und einen kurzen Bericht über ihren Traum zu verfassen, den die Berieselung nach sich gezogen hat.

Vielleicht hat jemand dann beispielsweise geträumt, dass ihn ein Axtmörder durch einen friedlichen Garten verfolgt – das sind die Dinge, nach denen der Forscher und die Firma Ausschau halten. Da der Schlafende nicht während einer Traum- und Tiefschlafphase (REM) geweckt wird, sollte er sich einigermaßen erfrischt fühlen und ohne Muffeligkeit der Einladung folgen, von seinem Traum zu erzählen, "gern auch auf Twitter, oder geteilt mit seinem Freunden in einem sozialen Netz, vor allem, wenn einer von ihnen in einem Traum vorgekommen ist".

Im Lauf der nächsten Monate will Wiseman so Daten sammeln, um zu ermitteln, wie gut die App funktioniert – Dream:ON gibt es als kostenlosen Download im App Store, eine Android-Version ist noch in diesem Jahr geplant. Sollte das Ganze funktionieren, wird es weitere Klangkulissen geben, "manche kostenlos, andere wird man kaufen müssen".

Das Ganze riecht nach Marketing und Drittmittelzweckwissenschaft. Aber das eigentlich Beunruhigende ist die Idee, Träume designen zu wollen. Diese Art von Versuchen sind nicht neu und auf unterschiedliche Weise verführerisch. Auf marokkanischen Märkten gibt es seit Jahrhunderten Händler, die Träume verkaufen. Ende der fünfziger Jahre wurde der amerikanische Beat-Poet Brion Gysin mit seiner stroboskopischen Dream Machine berühmt, die er, angeregt durch ein Buch des Neurophysiologen William Grey Walter, gebaut hatte.

In den siebziger Jahren machte der Selbstfindungsethnologe Carlos Castaneda mit seinen esoterischen Büchern über einen Medizinmann namens Don Juan Furore, in denen zwei Techniken der "Zauberei" ausführlich beschrieben wurden, nämlich "Pirschen" und "Träumen" – und zwar eine Art des Träumens, bei der man sich dessen bewusst ist, dass man träumt und sein Handeln im Traum bewusst steuern kann.

Auf zeitgemäße Art rationalisiert, taucht dieses Kontrollbedürfnis in der DREAM:On-App von Wiseman wieder auf, mit downloadbaren Klangeinflüsterungen und auswertbaren Datenbeständen, die nach Vernunft und Nachvollziehbarkeit klingen, aber trotzdem diffus genug sind, um eher Gefühle zu bedienen als den Verstand. Wie sollte denn ein Traum "perfektioniert" werden? Was ist überhaupt ein guter, was ein schlechter Traum? Soll sich aus DREAM:On eine Alptraumentfernungsmaschine entwickeln, die einem nur noch nette, wonnige, wunderbare Träume verschafft?

Eine solche Hedonisten-App würde das Dunkle, Abgründige und Schreckenerregende, mit dem wir in unseren Alpträumen verhandeln, nicht zum Verschwinden bringen, Es würde sich, aus den Räumen des Wachbewusstseins und denen der Traumräume vertrieben, einen neuen Unterschlupf suchen müssen, wer weiß wo, und an unerwarteter Stelle umso unangenehmer wieder zuschlagen. Um es mit den Worten von Joseph Weizenbaum zu sagen: Es gibt Orte, an denen man Computer zwar einsetzen könnte, es aber nicht tun sollte. ()