Vorratsdatenspeicherung: Vorerst keine Neuregelung in Deutschland

Die Bundesregierung hat der EU-Kommission eine Stellungnahme geschickt, in der sie den Stand der koalitionsinternen Gespräche über die Protokollierung von Nutzerspuren nachzeichnet. Auch die Industrie hat sich eingeschaltet. Die EU-Frist verstreicht.

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Die Bundesregierung hat am Mittwoch eine Stellungnahme an die EU-Kommission auf den Weg gebracht, in der sie den Stand der koalitionsinternen Gespräche über die Protokollierung von Nutzerspuren nachzeichnet. Berlin reagierte damit erwartungsgemäß auf das letzte Ultimatum der Brüsseler Regierungseinrichtung zur Umsetzung der umstrittenen Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung. Vollzug können das Kanzleramt sowie das Innen- und das Justizministerium in dem untereinander abgestimmten Schreiben nicht melden. Vielmehr geht aus dem Brief hervor, dass sich der von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger vorgelegte Entwurf für das Verfahren " Quick Freeze plus" noch in der Ressortabstimmung befinde.

Nach den Plänen der Bundesjustizministerin sollen Verbindungsdaten erst bei einem konkreten Verdacht für die Strafermittler; IP-Adressen hingegen anlasslos generell für sieben Tage gespeichert werden. Die Vorschläge des Bundesinnenministers gingen dagegen weit darüber hinaus und wollten letztlich die alte Vorratsdatenspeicherung wieder einführen. Die Auseinandersetzung zwischen den beiden Ministerien führten letztlich zu einem Patt in der Frage, wie und ob die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung umzusetzen sei. Vorerst gibt es daher keine Neuregelung der Vorratsdatenspeicherung in Deutschland.

Die Kommission kann nach Ablauf der Frist Klage gegen Deutschland beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) erheben und beantragen, dass ein Zwangsgeld in Millionenhöhe zu Lasten der Steuerzahler festgelegt wird. Erfahrungsgemäß dauern derartige Verfahren anderthalb bis zwei Jahre. Brüssel müsse nun politisch entscheiden, ob Deutschland wirklich verklagt werden solle und ob Strafzahlungen angemessen seien, betonte die Justizministerin gegenüber der Passauer Neuen Presse. Dabei sei zu bedenken, dass die EU-Vorgaben zur Vorratsdatenspeicherung zwar seit fünf Jahren in Kraft, aber bislang von mehreren Staaten nicht in nationales Recht gegossen worden seien.

Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger

(Bild: dpa)

"Wir benötigen einen differenzierten anlassbezogenen Ansatz – auch in der EU", erklärte die FDP-Politikerin. Sie sei mit ihrem Vorschlag trotz bürgerrechtlicher Bedenken so weit gegangen, dass IP-Adressen ohne Anlass sieben Tage gespeichert werden könnten. "Das ist der ausdrückliche Wunsch der Polizei und der Strafverfolgungsbehörden", unterstrich die Liberale. Andererseits habe die Kommission den seit anderthalb Jahren angekündigten Entwurf für grundlegende Änderungen an der Richtlinie immer wieder verschoben.

Generell gibt sich Leutheusser-Schnarrenberger trotz der drohenden Klage vergleichsweise gelassen. Solche Auseinandersetzungen "gehören zur Realität, insofern ist jede Dramatik fehl am Platz", sagte sie der Süddeutschen Zeitung. Die Ministerin wies darauf hin, dass die Kommission derzeit in insgesamt 74 Verfahren versuche, ihre rechtliche Position gegen Deutschland durchzusetzen.

Rückendeckung erhält die Liberale von einer Reihe führender Wirtschaftsverbände. In einem heise online vorliegenden Schreiben nehmen der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), der Industrie- und Handelskammertag (DIHK) sowie mehrere Branchenvereinigungen wie der Bitkom oder der Verband der deutschen Internetwirtschaft eco Stellung. Sie ersuchen die EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström, "im Rahmen des weiteren Verfahrens auch den Aspekt der Rechtssicherheit für die betroffene Wirtschaft zu berücksichtigen und zunächst Klarheit über die künftige Ausgestaltung der maßgeblichen Richtlinie zu schaffen".

Vor einem weiteren Aktivwerden des hiesigen Gesetzgebers müssten zunächst "langfristige, gesicherte europäische Vorgaben für die Umsetzung in nationales Recht vorliegen", heißt es in dem Brief. Grauzonen, die in Folge einer "nationalen Zwischenlösung" auf Basis der zu reformierenden Direktive zu befürchten wären, sollten unbedingt vermieden werden. Andernfalls kämen auf die betroffenen Provider zusätzliche Kosten zu, nachdem die Erfüllung der Vorgaben aus dem ersten, vom Bundesverfassungsgericht gekippten Anlauf zur Vorratsdatenspeicherung bereits zu Ausgaben in mehrstelliger Millionenhöhe geführt habe. Zudem werde eine Entscheidung des EuGH über die Vereinbarkeit der Richtlinie mit den Grundrechten erwartet.

Der Berliner Datenschutzbeauftragte Alexander Dix stellte sich ebenfalls auf die Seite Leutheusser-Schnarrenbergers: "Das Maß ist jetzt voll", befand der Experte. Der von Karlsruhe gerade noch eingeräumte "Spielraum für anlasslose Datensammlungen" sei mit der Neuauflage des transatlantischen Abkommens zum Speichern von Flugpassagierdaten erschöpft. In dieser Situation wäre die Bundesregierung schlecht beraten, übereilt ein Gesetz zur verdachtslosen Protokollierung aller Telekommunikationsverkehrsdaten auf den Weg zu bringen.

Bundesinnenminister Friedrich auf der CeBIT

(Bild: BMI/Hans-Joachim M. Rickel)

Neben Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) drängen unterdessen weitere Politiker aus der Union auf eine rasche Wiedereinführung einer verdachtsunabhängigen Speicherung von Verkehrsdaten. Für den Innenexperten der CDU/CSU Bundestagsfraktion, Hans-Peter Uhl, ist dies nur noch eine Frage der Zeit. Da Leutheusser-Schnarrenberger weiter "vertragsbrüchig" bleiben wolle, müsse Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ein Machtwort sprechen, konstatierte der Christsoziale gegenüber der Berliner Morgenpost. Die Verhängung eines Bußgelds wäre der Bevölkerung nicht zu vermitteln.

Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt, bezeichnete die Justizministerin als "halsstarrig und beratungsresistent". Für Wendt ist "eine wirksame Verbrechensbekämpfung in Deutschland wichtiger als diese Regierungskoalition". Wendt geht davon aus, dass nach einem Scheitern von Schwarz-Gelb oder nach den regulären Bundestagswahlen 2013 in einer Neuauflage der Großen Koalition mit den Sicherheitspolitikern der SPD die Maßnahme rasch wieder beschlossene Sache sei.

Bei der ursprünglichen Regelung zur Vorratsdatenspeicherung mussten Internetprovider zugewiesene IP-Adressen, Beginn und Ende einer Sitzung sowie Anschlussinformationen (DSL-Kennung oder Rufnummer) ein halbes Jahr festhalten. Beim E-Mail-Verkehr waren die Netzkennungen sowohl des Absenders als auch des Empfängers zu sichern, dasselbe galt für die Internet-Telefonie. Bei Telefonaten über Festnetz oder Mobilfunk mussten die Anbieter die entsprechenden Verbindungs- sowie auch Standortinformationen vorhalten. Bei konkretem Verdacht hatten Sicherheitsbehörden mit richterlicher Genehmigung Zugriff auf die bei den Providern liegenden Datenberge. Dem Bundesverfassungsgericht waren diese Vorgaben zu vage. Sie rügten vor allem, dass die Datenverwendung generell bei Straftaten von erheblicher Bedeutung sowie bei "mittels Telekommunikation begangener" Delikte zugelassen worden sei. Für besonders sensible Informationen stellten sie ein grundsätzliches Abrufverbot auf. (jk)