Vorratsdatenspeicherung: Brüssel vs. Berlin

Wenn Deutschland bei der Vorratsdatenspeicherung nicht einlenkt, zieht die EU-Kommission vor Gericht. Doch ein Ende des Berliner Koalitionsstreits um das Thema ist nicht in Sicht; vorerst gibt es keine Neuregelung.

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Von
  • Jürgen Kuri

Der Dauerstreit zwischen Brüssel und Berlin um die Vorratsdatenspeicherung spitzt sich zu: Alles läuft auf eine Klage gegen Deutschland wegen Verletzung der EU-Verträge hinaus. Die zuständige EU-Kommissarin Cecilia Malmström bekräftigte das Ultimatum der Kommission mit deutlichen Worten: "Wenn sie nicht einlenken – und Deutschland hatte viele Jahre Zeit – wird es ein Vertragsverletzungsverfahren geben. Sie haben Zeit bis Mitternacht", sagte sie laut dpa am Donnerstag in Luxemburg.

Cecilia Malmström, EU-Kommissarion für das Generaldirektorat "Home Affairs"

(Bild: EU-Kommission)

Brüssel will vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) klagen, in letzter Konsequenz droht Deutschland ein millionenschweres Bußgeld. Die Koalition hat die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung, nachdem das Bundesverfassungsgericht das erste Gesetz dazu gekippt hatte, nicht in deutsches Recht umgesetzt, weil sich Union und FDP nicht einigen können.

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) sieht trotz Malmströms Warnung noch ausreichend Zeit für die Bundesregierung, um einen Kompromiss zu finden. "Manchmal braucht man ein bisschen länger", sagte Friedrich laut dpa beim Innenministertreffen in Luxemburg. "Wir sind auf gutem Weg." Dabei verwies er darauf, dass es bereits zwei Gesetzentwürfe zur Umsetzung der EU-Richtlinie in nationales Recht gebe. Zu dem drohenden EU-Bußgeld sagte Friedrich: "Jetzt muss erst mal entschieden werden, ob es eine Klage gibt, und dann muss diese Klage auch mal zu einem Erfolg führen, vorher würde gar kein Geld fällig. Insofern muss man es nicht dramatisieren."

Friedrich bekräftigte, die EU-Richtlinie, die eine anlasslose Speicherung von Telekommunikationsdaten zur Kriminalitätsbekämpfung für mindestens sechs Monate vorsieht, müsse umgesetzt werden. Leutheusser-Schnarrenberger will die Verbindungsdaten der Nutzer bei der Telekommunikation dagegen nur bei konkreten Anlässen für die Strafverfolger speichern lassen; IP-Adressen sollen jedoch ohne Anlass pauschal sieben Tage lang gesichert werden. Die Vorschläge des Bundesinnenministers gingen dagegen weit darüber hinaus und wollten letztlich die alte Vorratsdatenspeicherung wieder einführen. Die Auseinandersetzung zwischen den beiden Ministerien führten letztlich zu einem Patt in der Frage, wie und ob die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung umzusetzen sei. Vorerst gibt es daher keine Neuregelung der Vorratsdatenspeicherung in Deutschland. Die EU-Kommission hat bereits klar gemacht, dass ihr das "Quick-Freeze-Verfahren" nicht ausreicht.

"Wir benötigen einen differenzierten anlassbezogenen Ansatz – auch in der EU", erklärte Leutheusser-Schnarrenberger zu der Auseinandersetzung. Sie sei mit ihrem Vorschlag trotz bürgerrechtlicher Bedenken so weit gegangen, dass IP-Adressen ohne Anlass sieben Tage gespeichert werden könnten. "Das ist der ausdrückliche Wunsch der Polizei und der Strafverfolgungsbehörden", unterstrich die Liberale. Andererseits habe die Kommission den seit anderthalb Jahren angekündigten Entwurf für grundlegende Änderungen an der Richtlinie immer wieder verschoben.

Die Richtlinie steht derzeit auf dem Prüfstand: Der Europäische Gerichtshof befasst sich mit einer Klage aus Irland und muss klären, ob sie mit EU-Recht vereinbar ist. Auch die EU-Kommission selbst hegt Bedenken. Wegen der massiven Kritik hat sie Änderungen zugesagt – so sollen die Grundrechte stärker berücksichtigt werden. Doch das kann Jahre dauern. Die Klage gegen Deutschland wäre keineswegs das erste Verfahren gegen Berlin: Derzeit laufen 74 solcher Klagen gegen Deutschland, darunter die der EU-Kommission auf Änderung des VW-Gesetzes.

Unionsfraktionsvize Günter Krings (CDU) schlug laut einem dpa-Bericht vor, die EU-Richtlinie in Deutschland erst einmal befristet auf drei Jahre umzusetzen. Die Zeit könne man nutzen, um in Brüssel auf eine datenschutzfreundlichere Variante der Richtlinie hinzuarbeiten. Der FDP-Fraktionsgeschäftsführer Christian Ahrendt lehnte dies umgehend ab. Er bezeichnete es als "einmaligen Vorgang", dass die EU-Kommission einem Mitgliedstaat mit Klage drohe wegen einer Richtlinie, die überprüft werde.

Bei der ursprünglichen Regelung zur Vorratsdatenspeicherung mussten Internetprovider zugewiesene IP-Adressen, Beginn und Ende einer Sitzung sowie Anschlussinformationen (DSL-Kennung oder Rufnummer) ein halbes Jahr festhalten. Beim E-Mail-Verkehr waren die Netzkennungen sowohl des Absenders als auch des Empfängers zu sichern, dasselbe galt für die Internet-Telefonie. Bei Telefonaten über Festnetz oder Mobilfunk mussten die Anbieter die entsprechenden Verbindungs- sowie auch Standortinformationen vorhalten. Bei konkretem Verdacht hatten Sicherheitsbehörden mit richterlicher Genehmigung Zugriff auf die bei den Providern liegenden Datenberge. Dem Bundesverfassungsgericht waren diese Vorgaben zu vage. Sie rügten vor allem, dass die Datenverwendung generell bei Straftaten von erheblicher Bedeutung sowie bei "mittels Telekommunikation begangener" Delikte zugelassen worden sei. Für besonders sensible Informationen stellten sie ein grundsätzliches Abrufverbot auf. (jk)