eHealth: Dr. McCoy verzweifelt

Was machen Krankenhäuser auf Facebook, wie steht es um Crowdfunding zur Operations-Finanzierung, wie wirken sich einfache DNA-Analysen aus? Was der mündige Bürger zwischen "Social Müdia" und "Quantified Self" abseits der Online-Fitnessapps erwarten kann.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Detlef Borchers

Ein eigener eHealth-Track beleuchtete auf der re:publica 2012 die Frage, was der mündige Bürger abseits der Fitness-Apps im Internet erwarten kann. Zum Auftakt der kleinen Subkonferenz gab Frank Antwerpes von DocCheck aus der Sicht von Startrek-Doc McCoy einen Überblick der Medizin-Angebote im Internet, beginnend mit Rating-Portalen, die Ärzte bewerten, über Communities, in denen sich Menschen zusammenfinden, um über "ihre" Krankheiten zu diskutieren. Das Crowdfunding von Kliniken, aber auch von Personen und "Doctorpreneurs" zur Finanzierung von Operationen oder zur Realisierung des Kinderwunsches sind laut Antwerpes in den USA stark im Kommen. Crowd Insurances könnten herkömmliche Versicherungen ablösen, Crowd Publishing könnte die enormen Kosten medizinischer Fachliteratur mit Liquid Books und ähnlichen Ansätzen senken. Der mündige Bürger wird in Zukunft verstärkt Selbstdiagnosen einsetzen, seinen Körper mit Hilfe von Smartphone-Apps kontrollieren und sich auch für seine DNA-Analyse interessieren, wie sie von 23andme angeboten wird, oder die künftig selbst mit Systemen wie MinION ausgelesen werden kann. Die Zukunft mündigen Bürgerverhaltens liegt nach Antwerpes im DNA Sharing bei der Auswahl der richtigen Lebenspartner, denn Liebe ist kein Zufall, sondern ein korrekt geführter Datenabgleich.

Einen kleinen Kontrapunkt zu dieser optimistischen Einführung setzten Fabian Zimmer und Bastian Greshake von OpenSNP mit einem Blick auf die Auswirkungen, die DNA-Daten im Alltag abseits der individualisierten Medikamente haben können. Was ist, wenn DNA-Tests bei Arbeitgebern und Versicherungsgesellschaften obligatorisch werden und DNA-basierte Werbung kommt? Nachgerade pessimistisch fiel der Bericht von Kai Sostmann aus, der sich als Kinderarzt an der Berliner Charité mit der Frage beschäftigt, ob Kinder aus verarmten Familien durch Social Media aus dem Teufelskreis von schlechter Ernährung und mangelnder Gesundheitskompetenz ausbrechen können, Sein Fazit: derzeit nicht, ein "digital eHealth Divide" durchziehe die Gesellschaft, in der sich nur die gesünderen und Besserverdienenden um Informationen kümmerten. Einen positiven Akzent setzte Ansgar Jonietz vom preisgekrönten Medizinstudenten-Startup Was hab ich, das ärztliche Befunde in verständliches Deutsch übersetzt. Mittlerweile sind Jonietz zufolge 484 Studenten und 110 Fachärzte am Projekt beteiligt und haben 6419 Befunde eingedeutscht. Neben den Anfragenden profitieren auch die Studenten vom Service: sie lernen frühzeitig die richtige Kommunikation mit den Patienten und verbessern entscheidend die Therapietreue der Anfragenden.

Überlaufen wurde die eHealth-Subkonferenz, als das Thema "Social Müdia" von der Techniker Krankenkasse in Zusammenarbeit mit Google präsentiert wurde. Zunehmend schwer falle es Digital Natives, ihre ganzen Gerätschaften abzuschalten und vor allem abgeschaltet zu lassen. Sie hätten sich ein gestörtes Nutzungsverhalten antrainiert, das zu Ess- und Schlafstörungen samt ständiger Müdigkeit führen könne. Diesem Raubbau am eigenen Körper 1.0 soll eine Broschüre namens Burnout-Coach begegnen, wie der TK-Referent Bruno Kollhorst ankündigte. Dies schien die Anwesenden ungemein zu beruhigen, denn die anschließende Diskussionsrunde war mäßig besucht. Deutschland stehe endlos lange in Startlöchern und bringe beim Thema eHealth nichts zustande, wurde unisono von den Referenten beklagt. Kurz wurden die Patientenakten angeschnitten, allerdings ohne Bezug auf die desolaten Ergebnisse der Begleitforschung, die zeigen, dass der mündige Bürger als Herr seiner Daten noch eine Fiktion ist.

Was kommen wird, zeigten die anschließenden Überlegungen zum "Quantified Self". Menschen, die unablässig alle verfügbaren Vitaldaten ihres Körpers speichern, erzeugen einen Datenteppich, der sie gesünder durchs Leben tragen soll. Ähnlich wie die vollkommene Überwachung die Gesellschaft die Unsicherheit vor Terrorsanschlägen aufheben soll, soll der vollüberwachte Körper schon bei der kleinsten, nicht fühlbaren Anomalie durch das Frühwarnsystem der Smartphone-Apps abgesichert werden. In spätestens zwei Generationen werden sich Menschen an diesen Datenkörper gewöhnt haben, lautete der Tenor. Daran gewöhnt, ebenso wie an den Überachungsstaat? (jk)