Internet Governance: Unser Lied für Baku

Zur Vorbereitung des Internet Governance Forum im November in Baku trafen sich in Berlin die deutschen Stakeholder und solche, die es werden wollen. Dabei ging es unter anderem um die Frage, ob Internet ein Menschenrecht ist.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Detlef Borchers

Im November findet das nächste Internet Governance Forum im aserbeidschanischen Baku statt. Zur Vorbereitung kamen die deutschen Teilnehmer am Montag in Berlin auf dem 4. Internet Governance Forum zusammen. Zum Auftakt philosophierte der ehemalige Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin und stellte die Frage: Kann das Internet ein Menschenrecht sein? Seine Antwort war ein kräftiges "Jein".

Als technisch-maschinelles System könne dem Internet kein Menschenrecht zugesprochen werden, befand Nida-Rümelin. Definiere man jedoch das Internet als zeitgemäßen Ausdruck einer Weltbürgergesellschaft, dann könne man sehr wohl von einem Recht auf Teilhabe an dieser Gesellschaft sprechen. In der Tradition des westlichen Humanismus würde dieser ungehinderte und unzensierte Zugang zum Netz dem Recht auf Bildung entsprechen, wie es seit den Tagen der Humboldts geformt wurde. Nida-Rümelin betonte die konstituierende Rolle von Privatsphäre und Privateigentum für den westlichen Humanismus, warnte vor dumpfen Youtube-Videos, in denen er das Residuum einer mittelalterlichen Lynchkultur ausmachte und verschwand eilig ohne weitere Diskussion.

Nach diesem Auftakt kamen verschiedene Stakeholder zu Wort, wobei nicht immer klar war, warum der eine oder andere zur "Anspruchsgruppe" gehört, die das Internet mitregiert. FDP-Politiker Jimmy Schulz schwärmte von seinen Fidonet-Zeiten und betonte, dass das Internet sich nur deshalb erfolgreich entwickelt habe, weil sich die Nationalstaaten aus der Technik rausgehalten hätten. Tobias Knecht von Abusix meinte, die Menschen seien auf einem guten Weg, das Internet zu verstehen.

Einen richtigen Forderungskatalog an das Governance Forum hatte Peter Franck vom Chaos Computer Club parat. Er forderte die aktive Unterstützung von Verschlüsselungs- und Anonymisierungsdiensten, den Aufbau eines Alternativnetzes und das Verbot von Internet-Überwachung durch Vorratsdatenspeicherung, "Funkzellenüberwachung" und Trojaner-Software. An Francks Forderung nach einem Exportverbot für "Lawful Interception Software" wie Finfisher von Gamma in Länder mit undemokratischen Regimes entzündete sich eine kleine Debatte. Martin Fleischer, im Auswärtigen Amt für "Cyber-Außenpolitik" zuständig, verwies auf das Atomwaffenkontrollgesetz als mögliches Vorbild. Jimmy Schulz hielt die "undurchschaubaren Smartphones" für ein größeres Problem als ein Software-Exportverbot.

Schließlich stellten sich Gruppen vor, die im weitesten Sinn als Internet-Stakeholder verstanden werden können. Die Spannbreite reichte von dem Google finanzierten Co:llaboratory über die Digitale Gesellschaft (die kein Geld für ein Ticket nach Baku hat) bis zu den Parteiplattformen Cnetz (CDU) und D64 (SPD). Etwas abseits dieser Stakeholder kamen auch das Politcamp als Veranstaltungsplattform und das German Chapter der Internet Society zu Wort. Deren Vertreter Jan Mönikes ermahnte alle Zuhörer, die zentrale Rolle von offenen Standards für das Internet ernstzunehmen, die vom offenen Forschergeist an offenen (US-amerikanischen) Universitäten entschieden wurden: "Das Internet ist alles anderes, aber keine Selbstverständlichkeit." Er kritisierte zudem die selbstreferenzielle netzpolitische Debatte in Deutschland.

In der anschließenden Diskussionsrunde stritt man unter anderem über die Frage, ob Baku der richtige Ort sei, der Welt eine "Internet-Verfassung" ähnlich der UN-Charta zu geben, wie Mathias Richel (D64) meinte. Der CDU-Politiker Peter Tauber (Cnetz) wandte sich gegen die abstrakte Wertedebatte und forderte die Beteiligten auf, sich der deutschen Realität zu stellen. "Die Freiheit des Netzes als Verheißung wird von der Mehrheit der Bevölkerung nicht so gesehen. Die Geschichte der Bundesrepublik zeigt, dass die Menschen Sicherheit wollen, und diese soll der Staat garantieren, auch im Internet." Was Tauber mit diesem Ansatz in Baku erreichen möchte, blieb offen. (vbr)