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Was war. Was wird.

In einer Welt, in der Nuttenpossen zu Abmahnungen und Konjugationen zu Softwarepatenten führen, kann man nur darauf hoffen, dass es nicht noch kälter wird, schaudert Hal Faber.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ich denke, also bin ich. Ich dachte, ich denkte, als eine Dachtel mich wieder zurückholte in die wilde wirre Welt der flexiblen Menschen, wie sie Richard Sennett einmal beschrieben hat. Die Welt, in der die flexibel Arbeitenden sich nicht über die Fragmentierung ihrer Arbeit beklagen, weil alles von einem großen Office mit der richtigen Office-Software gesteuert wird. Eine Welt, in der "Ihr Potenzial. Unser Antrieb" ein eingetragenes Warenzeichen von Microsoft ist. Klingt komisch wie der Satz eines Prachers, ist aber so. Es heißt nicht "Ihr Potenzial ist unser Antrieb". Denn dieser Satz könnte sich verändern, etwa "Ihr Potenzial war unser Antrieb". In der Welt der flexiblen Menschen ist es nur natürlich, dass die flektierbaren Verben auch kontrolliert werden müssen. So gesehen ist es vollkommen logisch, wenn "Unser Antrieb" bei Microsoft ein Patent auf die Konjugation von Verben bekommt: Wir können nur Präsens. Mehr Potenzial ist nicht. Den Rest treibt Microsoft zu neuen Features und Patenten und nichts trübt das Ausschöpfen der Potenz durch den Antrieber.

*** Die Konjugation hat Konjunktur. Nach den neuen Rechtschreibungsregeln heißt es ja verbindlich "wir downloadeten Dateien" und "wir haben Dateien gedownloadet". Sehr nützlich ist so ein Konjugations-Feature in Word, das entsprechende Sätze gleich unter Strafe stellt, vielleicht mit einem Deklinations-Add-on, das bei jedem Deppenapostroph die schwule Büroklammer aktiviert. Was dann in Word noch fehlt, ist ein ausgereiftes Kürzelmanagement. Nehmen wir nur in der Nuttenposse die klevere Adressierung in der Fanpost der Anwaltskanzlei von Sigmar Gabriel. Mit 4Herrn Marcel Bartels hat Anwältin Steffi vorgem8, wie sinnvoll Kürzel sein können, gerade wenn es um Bordst1chwalben geht, zu denen der sozialdemokratische Pop-Beauftragte vom Lebensministerium niemals wollte. Denn in Deutschland gibt es lebensmachenden 6 in geordneten Bahnen bei Muttern und Vatern.

*** Doch nicht nur Zahlenkürzel sind ungemein praktisch. In ein gut integriertes Kürzelmanagement gehören auch Buchstabenkombinationen wie VeNaGUA (Verbund Nachrichtengewinnung und Aufklärung), das supertolle Intranet des BND, das schon am kommenden Montag mit anderen Datenströmen zur Anti-Terror-Datei zusammengedönert werden soll. Nehmen wir nur das Kürzel SA für sexuelle Auffälligkeiten, das ein SPD-Innenexperte aufnehmen will. Wer den Schniedel pützt und die Wiefel wienert, bereitet sich womöglich darauf vor, für die Umma einen Bad day zu begehen. Das ganze natürlich nicht ohne Vorbereitung, mit dem Potenzial von Word: "Schreibe deine Nachricht in Word, konfiguriere sie, schneide sie aus, füge sie ein und schicke sie ab. Dann beende die Verbindung. Während du eine Nachricht schreibst, darf deine E-Mail nie geöffnet sein."

*** Die Datei, die Datei, die hat immer recht. Inmitten der Deklination der Indexdatei zur Volltextdatei mit googleeskem Ausmaß hat sich die Aufregung um die vom Bundestag selbst beschlossene strikte Zweckbindung der Mautdatenerhebung etwas gelegt. Ohne Mautdatenfahndung donnern Schwerverbrecher auf ihren Trucks unbesorgt durch Deutschland, verkündeten populistische Hüpfdohlen unentwegt. Bis zum Beweis des Gegenteils, mit der Veröffentlichung einer Phantomzeichnung in hessischen Zeitungen. Mit der Verhaftung des geständigen Täters zeigt sich der ganze Unsinn der Mautdatenfahndungsdiskussion. Nach dem Mord, der die erneute Diskussion ins Rollen brachte, benutzte der Fahrer offenbar die B3 und keine Autobahn. Aber irgendwozu muss das Mautsystem ja noch gut sein, abseits der Betriebskosten von 555 Millionen Euro beim Bundesamt für Güterverkehr und den 710 Millionen, die Toll Collect für seine Mühen jährlich bekommen soll.

*** Durch einen Irrtum amerikanischer Ermittler ist nicht die ranghöchste deutsche Bloggerin Lyssa Borchert zur mächtigsten Frau der Welt gekürt worden, sondern ihre Interviewpartnerin Angela Merkel. Offenbar beeindruckte die Bundespodlerin mit ihrer souveränen Art 2.0, den Kongo auf einem Globus zu finden, ohne Google Earth anwerfen zu müssen. Etwas, das sonst eine Spezialität der Machtfrau Nummer 12, der Afrikareisenden Melinda Gates ist. Bemerkenswert dabei, dass Susanne Klatten, die mächtigste Wirtschaftsbossin Deutschlands, es nur unter die Drop-Offs schaffte, für deren Fotostrecke man ausgesucht hässliche Porträts verwendete. Angesichts der Dominanz der Most Powerful Women in the Media hätte es wohl auch Eva Herman unter die Top Ten gebracht. Doch sie verzichtete und rief die nominierten 100 Frauen auf, in die Küche 2.0 zurückzukehren und die Enkel zu hüten.

*** Denn, seien wir doch mal ehrlich: die Frauen sind an allem Schuld. Put the Blame on Mame, Boys, auch für den Tod des großen Glenn Ford, dem unvergessenen Johnny mit seiner Gilda. Glenn Ford, der ein bisschen wie ein Sigmar Gabriel aussah, der zuwenig Marshmellows und Fastfood gegessen hat, war der letzte große Cowboy. Mit den Frauen hatte er vielleicht Probleme, wie beim Handschuh-Striptease zu sehen, dem zweitberühmtesten Striptease nach der Show von Ursula Martinez. Aber mit 0,4 Sekunden zog er den Film-Colt schneller als John Wayne. Und mit "Rock around the Clock" brachte er 1955 den Rock 'n Roll in den Film.

*** Das bringt mich zur immer wieder verschobenen Wahl des Sommerhits im Herbst. Und was auch immer dieser Sommer gewesen sein mag, so bleibt meine Wahl für die Begleitmusik nun doch "Tu Vuo' Fa' L'americano" in der Version von Quadro Nuevo – nicht nur, weil man immer gerne so talentiert wie Mr. Ripley wäre, sondern weil Venedig auch ganz anders als kalt sein kann. Da mögen die Leser noch so sehr der Ansicht sein, früher sei alles besser gewesen und daher das "Wort zum Sonntag" der Toten Hosen präferieren. Genauso aber wie das "Heise House Band Project" irgendwie die Gründungsphase nie so recht erreichte, blieben andere Musiken in diesem Sommer zwar nicht ungehört, hatten aber doch keine Chance zum WWWW-Sommerhit gekürt zu werden. Kein Willem Breuker, kein Chick Corea, keine Dead Kennedys und kein Joe Strummer, nicht Brian Eno, der nur einen weiteren Tag auf der Erde besingt, nicht die Gang of Four, die weniger in Mustern, denn in der kurzen Geschichte des 20 Jahrhunderts stöbern, nein. Einfach nur ein Song zu einem Sommer, an den wir uns gerne erinnern werden – weniger aufgrund all der nicht sehr gelassenen nationalistischen Patrioten, dafür aber wegen all der entspannten Einwohner dieses Landes, die sich recht unbefangen und meist bunt bemalt dem Sommer und seinen Vergnügungen hingaben.

Was wird.

In einem Interview mit den IBM-Poddern von DeveloperWorks hat sich Tim Berners-Lee über Web 2.0 und den strunzdummen Jargon all der Berater aufgeregt, die es auch bei uns gibt. Die in ihrem digitalen Maoismus wie die Junggardisten der Großen Proletarischen Kulturrevolution nichts anderes können, als die Abrufzahlen von YouToube und Flickr zu besabbern. Noch ist alles Web 1.0, ein Internet, das Menschen mit Menschen verbindet. Noch gibt es Menschen, die andere nicht danach fragen, wieviel Feeds ihr RSS-Reader verdauen muss. Noch gibt es intelligente Menschen, die nicht die Gleichschaltung 2.0 mitmachen. Aber es gibt genug Veranstaltungen wie diese Transitions-Konferenz, die zeigen, wie weit die Verblödung fortgeschritten ist mit der 360-Grad-Themen-Abdeckung im Onlinebereich. Ja, darf's nicht noch ein paar Grad mehr sein?

Vor wenigen Tagen hat die mächtigste Frau der Welt die elektronische Gesundheitskarte zur Chefinnensache gemacht. Das ist insofern erfreulich, als die für die Karte zuständige Gematik mit Anzeigen in der Zeitschrift iX begonnen hat, das Personal für die Chefin zu suchen. Da passt es doch, dass sich die IT-Trends Medizin mit einer Bestandsaufnahme des Sandes im Getriebe versuchen. Außerdem gibt es eine Premiere zu vermelden: Erstmals gibt es ein Bürgerforum, auf dem das gemeine Volk fragen stellen darf. Den tapferen "Bochumer und Essener Pionieren" sei gewünscht, dass sie auch Antworten erhalten, was da im Jahre 2010 in unsere Kartenfächer im Portemonnaie wandert. Immerhin leben sie nahe am Mammo-Highway, von dem es auch nur Staunachrichten gibt. (Hal Faber) / (jk)