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Was war. Was wird.

Es ist mal wieder Fußball, und schlandselig geht es diesmal nach Polen und die Vorzeigedemokratie Ukraine. Hal Faber ist nicht nach Fußballfete, er trauert um eine der letzten Bastionen gegen die politisch-korrekten Idioten.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.


*** Europa! Soviel Europa war nie, schreibt die taz und freut sich, ganz ohne Flattrlove. Europa, ach, Europa, da geht es los mit der schönsten Nebensache der Welt und Twitter quillt über mit gehässigen und dummen Witzen über Griechen und Polen, ein eindeutiger Beweis für die Schwarmblödheit. Wahrscheinlich ist es besser, beim Kick den Empfang dieses sozialen Grundrauschens abzustellen, in der Erinnerung an Zeiten, in denen der Fußball in Polen das Signal für den Aufbruch in Osteuropa gab. Denn diese Fußball-EM wird einstmals als das Datum gelten, an dem Europa abgebrochen wurde, ganz ohne Zutun der bösen Machthaber in der Ukraine. Was die zuständige EU-Kommissarin Cecilia Malmström in ihrem Blog mit höflichen Worten umschreibt, ist der Abverkauf der Reisefreiheit im Namen der Sicherheit. Während die Gutachten (PDF-Datei) eine andere Sprache sprechen, ist von Flüchtlingen die Rede, die unkontrolliert nach Europa schwappen und unser aller Sicherheit bedrohen. Solange das auf irgendeiner Mittelmeerinsel passierte, war das überschaubar, doch jetzt schwappen angeblich die Ströme und die Bundespolizei darf aufrüsten. Bedroht von Flüchtlingen kann ein Land zwei Jahre lang kontrollieren, was es für richtig hält und eine Infrastruktur aufbauen, die nicht so einfach zurückgebaut werden kann wie in der Schengen-Euphorie der 1990er, alles im Sinne Europas natürlich.

*** Wenn jedes Land nach eigenem Gusto wieder kontrolliert, kann es eigene Aufenthaltregeln für Nicht-Schengen-Menschen einführen, die von dem Standard abweichen. 90 Tagen werden beim Auslesen der MRZ eines Reisepasses automatisch in VIS eingetragen und dann runtergezählt. Weil es komplizierter wird, hat Norwegen einen Aufenthaltsrechner entwickelt, der von allen Staaten getestet wird. Das offenbar schwer zu programmierende Stück Software benötigt Internet-Zugriff, wogegen Bulgarien und Polen protestierten. Aber ein Taschenrechner ohne Internet ist heute sowas von veraltet, da muss schon neue Software her, auch wenn sie nicht legal ist, da die entsprechenden Gesetze noch nicht verabschiedet wurden – was wiederum der EU-Kommission egal ist. Soweit, so gut? Ach Europa! Heimat des Euro und des Pa, des Personalausweis. Künftig sollen alle eID-Funktionen der Ausweise von Schengen-Staaten untereinander irgendwie kompatibel sein und zertifizierte e-Mail irgendwie durch ganz Europa reisen können. Und wie einfach das geht! "Die Mitgliedstaaten machen vertrauenden Beteiligten [=Dienstanbieter], die außerhalb ihres jeweiligen Hoheitsgebiets niedergelassen sind und eine solche Authentifizierung vornehmen wollen, keine bestimmten technischen Vorgaben." Keine Vorgaben zum Datenschutz oder zum Sicherheitsniveau, da passt es doch ganz wunderbar, wenn Anonymisierung und Pseudonymisierung gleicht mit in die Tonne getreten werden, wenn eindeutig identifiziert werden muss: "elektronische Identifizierung ist der Prozess der Verwendung von Personenidentifizierungsdaten, die in elektronischer Form eine natürliche oder juristische Person eindeutig repräsentieren", heißt es in der Begriffsbestimmung. Im Meatspace neue Grenzen, im Cyberspace die eindeutige Kennung und die Vorratsdatenspeicherung ist der berühmte Klatsch auf den Hintern, wenn dieses neue Baby zur Welt kommt. Ein einiges Europa für freie Menschen sieht anders aus.

*** Welcher Werbefuzzi die Idee zum Slogan "Ohne Schufa keine Liebe" hatte, er darf jetzt einen neuen suchen, denn die Liebe der Deutschen zur Schufa ist nicht besonders ausgeprägt. Dabei leistet die Schufa uns allen einen verkannten Liebesdienst, denn es ist gesetzlich vorgeschrieben, vor einer Kreditvergabe die Ausfallwahrscheinlichkeit zu bestimmen. Was liegt näher, diese Daten mit dem zu kombinieren, was das Web öffentlich zu bieten hat – oder günstig ein Datenpack bei Facebook einzukaufen und umzurechnen? Mit der denkwürdig missglückten, miserabel kommunizierten Ankündigung eines "Schufa-Labs @ HPI" haben die Schufa und das Hasso-Plattner-Institut das Sommerloch vorzeitig zum Überlaufen gebracht. Am Schluss von Missverständnissen zu reden, was man in sozialen Netzen so analysieren wollte, ist ganz großes Kino. Erinnern wir uns an Glanzleistungen der Forscher: Junge Leute sollten über soziale Netzwerke ein Freund von Friedrich dem Großen werden und den König wie auch seine Frau auf Rockkonzerten und öffentlichen Veranstaltungen kennenlernen können. Erinnert sei auch an eine Konferenz über Informationsqualität, die von den Hadoop-Spezialisten am HPI veranstaltet wurde, wo Forscher von IBM Entity Analytics über die Terrorabwehrsuche im Netz referierten. Natürlich wird weiter geforscht, vielleicht an einem Afusch-Lab. Die anderen machen das ja auch, nur lautloser. Ist nicht die :Gier der edelste aller Triebe?

*** By the pricking of my thumbs, Something wicked this way comes: Es ist nicht einmal sehr lange her, dass ich dem großen Ray Bradbury zum Geburtstag gratulierte und vom großen Geschichtenerzähler weitere Geschichten erhoffte. Es kam nur noch ein Buch, Farewell Summer, aber es vollendete die Erinnerung an seine Kindheit, die mit dem Buch Something wicked this way comes begann. Der Mann, der Mobiltelefone, Computer und CD-ROM verabscheute, weil es zu viele von ihnen gibt und sie uns am Lesen hindern, hat in vielen die Schmökerlust geweckt. Der Mann, der in einem Interview Bill Gates und seinesgleichen das Flimflamming nutzloser Sachen vorgeworfen hat, wollte nicht einmal mehr einen Gruß für den Sammelband schicken, den Margaret Atwood vorbereitete. Man kann es so pathetisch sagen wie Barack Obama, der meinte, Bradbury sei sich bewusst gewesen, dass "unsere Einbildungskraft dazu genutzt werden kann, Dinge besser zu verstehen, sie zu verändern und unsere tiefsten Überzeugungen zum Ausdruck zu bringen". An dieser Stelle müsste Bradburys komplette Coda stehen, seine Abrechnung mit jeder Form von Zensur und sein Wunsch, die politisch-korrekten Idioten, die religiösen Fanatiker und die auf Gleichberechtigung achtenden moralischen Schaumschläger allesamt in den hintersten Winkel der Hölle zu verbannen. Aus selbiger kam kurz vor seinem Tod die höllische Antwort: Der e-Book-Verächter Ray Bradbury musste einen Vertrag unterschreiben, der aus Fahrenheit 451 ein e-Book machte, um nicht die kompletten Rechte an seinem Werk zu verlieren. Wer immer von den "lieben Verlegern" schwadroniert, die ihre Urheber achten und ehren, klicke schnell weiter – hier gibt es nichts zu sehen.

Was wird.

In Kassel ist die Documenta 13, mit Konrad Zuse als Künstler/Künstlerin und Computeringenieur/Computeringenieurin als doppelter/doppeltes Lodde/Lottchen: mit einem Bild und einer Maschine vertreten, zwischen einem Atom- und einem Quantenphysiker, der sich österreichisch korrekt als Quantinger bezeichnen. Mal da, mal nicht da, wir kennen es von Google, kann uns die Kunstschau zeigen, das Kunst von Können wie Konrad kommt. Besagter Konrad Zuse hat vor 60 Jahren maßgeblich dazu beigetragen, dass in Göttingen Anfang Juni 1952 mit der Göttinger Rechenmaschine G1 der erste deutsche elektronische Computer seine Arbeit aufnehmen konnte. In der Wikipedia längst von den Relevanzfetischisten gelöscht, war die Geschichte der für die Astrophysiker entwickelten G1 das Schwerpunktthema in c't 10/1988. Dort kann man schwarz auf weiß erfahren, dass Zuse aus seinem Relaisvorrat die nötigen Kontaktfedern schickte, damit die G1 laufen konnte und half auch bei der Weiterentwicklung aus. Als die G2 startete, druckte ein Programm einen Text aus, den Ray Bradbury geschrieben haben könnte: "Wer stellt hier wen in den Dienst, ihr eingebildeten Denker? Irren ist allein menschlich. Herzlichst Eure G2." (vbr)