22C3: Data Mining "für den Weltfrieden"

Der österreichische Bürgerrechtsverein Quintessenz zeigte auf dem Hackerkongress in Berlin, dass der Mythos von der Schmutzigen Bombe wohl vor allem ein Produkt der Medien ist.

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Der österreichische Bürgerrechtsverein Quintessenz führte auf dem 22. Chaos Communication Congress (22C3) am heutigen Donnerstag in Berlin vor, dass sich gezielte Datenbankanalysen auch für Zwecke wie die Entblätterung des Mythos' von der Schmutzigen Bombe nutzen lassen. Jule Riede-Buechele vom CCC Wien präsentierte dazu die Ergebnisse einer Studie, in der sie Sendungen aus dem deutschsprachigen Blätter- und Senderwald über das Thema untersuchte und mit dem Stand der Forschung verglich. Ihre Fragestellung lautete dabei: "Sind dreckige Bomben etwas, wovor man Angst haben muss?" Die von ihr gefundenen Antworten könnten unterschiedlicher kaum sein: "Die Medienberichte machen Panik, die Wissenschaft sagt Nein".

Immer wieder geistern Meldungen durch die Presse, wonach Terroristen anhand von Anleitungen im Internet Nuklearwaffen produzieren und damit beträchtlichen Schaden anrichten könnten. So stieß Riede-Buechele etwa auch in einem Wissenschaftsmagazin des ZDF auf eine weitgehend unkritische Sendung unter dem Titel "Atombomben zum Selberbauen". Demnach sollen Übeltäter imstande sein, "mit wenig Aufwand und ohne Spezialkenntnisse" eine "Dirty Bomb" anzufertigen und damit "eine gefährliche radioaktive Wolke" auszulösen. Auf vergleichbare Berichte stieß die Nuklearphysikerin etwa in der österreichischen Tageszeitung Der Standard und vielen anderen Gazetten.

Forscher kommen indes zu einer ganz anderen Bilanz. Zum einen finden sich im Netz etwa keine genauen Hinweise, wie die Zündung für eine Schmutzige Bombe zu erstellen ist. Von ihm und einer genauen orts- und zeitabhängigen Planung hängt es aber entscheidend mit ab, ob eine solche Kernwaffe scharf zu bekommen ist. Zum anderen hat Riede-Buechele anhand des Studiums alter medizinischer Tests sowie Resultaten der Forschung zu Nuklidbatterien festgestellt, dass man nach Ansicht der meisten Wissenschaftler selbst mit einer scharfen dreckigen Bombe "wenig anrichten kann". Zumindest fänden sich keinerlei Hinweise auf Warnungen, "womit man rechtfertigen könnte, dass Millionen Leute eine Stadt verlassen müssten". Dies sei das einheitliche Bild der Forschung. Bestätigt wird es unter anderem vom Bundesamt für Strahlenschutz. Die Behörde hält in einem Kommunique zum Thema fest, dass "Schmutzige Bomben" selbst "in unmittelbarer Nähe zum Freisetzungsort aus radiologischer Sicht keine Gesundheitsgefährdung für große Teile der Bevölkerung hervorrufen würden".

Auf eine gemeinsame Quelle, die trotzdem als Verursacher der reichlich hysterischen Medienwahrnehmung des Problems gelten könnte, ist Riede-Buechele bei ihrer Analyse nicht gestoßen. Die Ursachen für die reißerischen Berichte sieht sie einerseits darin, dass viele Journalisten "abschreiben, ohne nachzudenken". Andererseits gehe es wohl um das Spiel mit der Angst und die Quotenerhöhung. Da werde lieber nicht mehr bei Sachverständigen nachgefragt.

Die Untersuchung der Physikerin steht bei Quintessenz in einer Reihe von Versuchen, den Spieß beim systematischen Datenabgleich und dem Schürfen in Informationsbergen umzudrehen. "Data Mining ist ein einschlägigen Kreisen eine sehr negativ belegte Phrase", weiß Riede-Buechele. So hatten schon zu Beginn des Hackerkongresses Vertreter vom Chaos Computer Club (CCC) die Datenjagd der Sicherheitsbehörden als eine der größten Bedrohungen für die Grundrechte in der digitalen Welt gebrandmarkt.

"Die Kunst der Informationsbeschaffung und -analyse kann man allerdings auch zu Zwecken verwenden, die gut fürs Karma sind", hält die CCC-Aktivistin dagegen. Ihren Vortrag hatte sie daher mit "Data Mining für den Weltfrieden" überschrieben. Vor der "systematischen Zerlegung" der Angst schürenden Informationspolitik rund um Atomwaffen "Marke Eigenbau" hatte sich ihr Verein zuvor bereits dem "Data Mining der NSA" verschrieben. Dafür wertete er eine Mailingliste des technischen US-Geheimdienstes aus und zeigte auf, wie sich dieser für die biometrische Überwachung der Bürger stark machte. (Stefan Krempl) / (pmz)