Nippons Rettung: heiße Quellen

Unter Japan brodelt die Lava, aber Erdwärme wird im Reich der Vulkane bisher kaum genutzt. Die just abgesegneten Tarife für Ökostrom im neuen Energieeinspeisegesetz könnten das ändern.

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Von
  • Martin Kölling

Unter Japan brodelt die Lava, aber Erdwärme wird im Reich der Vulkane bisher kaum genutzt. Die just abgesegneten Tarife für Ökostrom im neuen Energieeinspeisegesetz könnten das ändern.

Seit Jahrzehnten lamentiert man in Japan, dass das Land über keine eigenen Energieträger verfügt. Und ich schaue dann an Tokios Horizont auf die Silhouette des Nationalbergs Fuji, einem Vulkan, und denke: was für ein Schmarrn. Das ganze erdbebenreiche Land sitzt auf Magmablasen, die sich herrlich für Erdwärmekraftwerke anzapfen ließen - wenn man nur wollte. Doch das Establishment wollte eben nicht und baute stattdessen munter Atomkraftwerke in Erdbebengebiete.

Doch inzwischen überrascht Japans Regierung selbst eingefleischte Skeptiker unter den Propheten grüner Energien. Anfang der Woche war die Überraschung besonders groß: Am Sonnabend hatte Japans Regierungschef Yoshihiko Noda die Anti-Atomkraft-Bewegung noch vor den Kopf gestoßen und erstmals seit der Fukushima-Katastrophe dem Neustart von Atommeilern zugestimmt. Aber am Montag segnete dann sein Wirtschaftsminister Yukio Edano neue Tarife für Ökostrom ab, die die Herzen der grünen Energiebranche höher schlagen lassen.

Bis 42 Euro-Cent für eine Kilowattstunde Sonnenstrom sieht der Vorschlag des Ministeriums für Wirtschaft, Handel und Industrie im neuen Energieeinspeisegesetz vor, das im Juli bereits in Kraft treten wird. Wind- und Erdwärme werden kaum minder generös mit 23 und 27 Cent für große Anlagen bezuschusst. Die Experten bejubeln dies als Durchbruch für alternative Energie in einem Land, das bis zur dreifachen Kernschmelze im AKW Fukushima 1 vor 16 Monaten noch bedenkenlos auf Atomkraft gesetzt hat. "Das sind fantastische Preise", kommentierte Hirofumi Muraoka, Professor am nordjapanischen Institut für nachhaltige Energien an der Hirosaki-Universität am Montag in Tokio. "Das ist sehr bedeutsam für die Entwicklung der erneuerbaren Energien in Japan."

Besonders große Hoffnungen hegt er für sein Steckenpferd: die Erdwärme. Japan beherbergt acht Prozent aller aktiven Vulkane der Welt, rechnet er vor - mehr als jedes andere Land. Bei optimaler Nutzung könnte das Land daher im optimistischsten Szenario 50 Prozent seines Strombedarfs mit Geothermalkraftwerken decken, sagt Muraoka – grundlastfähig, nachts und während Windflauten. Sein Wort hat in der Szene Gewicht, war er doch bis zum Wechsel an die Universität im Jahr 2010 am nationalen Institut für fortschrittliche Industriewissenschaft (AIST) 32 Jahre lang damit befasst, den heißen Punkten unter Japan nachzuforschen. Doch trotz der überreichlich brodelnden Lava rangiert das Land in der Nutzung dieser erdgegebenen Energie unter "ferner liefen".

Seit 1995 stagniert die installierte Kapazität bei knapp über 500 Megawatt, obwohl Japan einst ein Pionier der Erdwärmebewegung war und Firmen wie Toshiba oder Hitachi bei Dampfturbinen für Großanlagen noch immer Weltmarktführer sind. Sogar in Deutschland sind derzeit die Investitionen in Erdwärme höher als in Japan, mosert Muraoka. Dabei sind die deutschen Landschaften zwischen der See und den Alpen kaum mit vulkanisch aktiven Zonen gesegnet. Stattdessen müssen die Betreiber tief in die Erde bohren, um wenigstens Wasser auf knapp über 100 Grad zu erhitzen. Besonders große Stücke hält der japanische Wissenschaftler auf ein Projekt in Unterhaching, wo 3,4 Kilometer tief gebohrt wurde. "Das Beispiel zeigt, dass Erdwärmekraftwerke fast überall auf Landmassen errichtet werden können, selbst wenn sie weit von Vulkanen entfernt sind", sagt Muraoka.

Hart geht der Experte dagegen mit Japans Establishment ins Gericht. Alles begann vielversprechend, als Japan 1966 das erste Erdwärmekraftwerk errichtete – es arbeitet noch heute. Nach dem Ölschock habe die Regierung verstärkt in Forschung und Entwicklung investiert. Ab Ende der 70er Jahre und zu Beginn der 90er Jahre wurden weitere Anlagen errichtet. Doch 1997, zur Asienkrise, wurde plötzlich der Geldhahn zugedreht. Gefördert wurden nur noch Atom- und ein bisschen Sonnenkraft, die beide eine starke Lobby haben. Atomstrom wurde von der Politik, dem Wirtschaftsministerium, den mächtigen Strom- und Technikkonzernen gestützt, die Solarindustrie von Elektronikkonzernen. Erdwärme hatte nicht nur keine Lobby, sondern jede Menge Gegner: die Betreiber von 28.000 Onsen (heißen Quellen), die halt genau da liegen, wo auch Erdwärmekraftwerke Sinn machen. Die Onsen-Betreiber fürchten bis heute, dass das Anzapfen der Erdwärme ihre heißen Wasser- und zugleich Einnahme-Quellen versiegen lassen könnte.

Das Risiko sei zwar klein, weil die Wasserreservoirs für Onsen flach unter der Erdoberfläche liegen, die angebohrten Hitzequellen hingegen tief im Erdinneren. Aber ganz ausschließen könne er eine Verbindung nicht, gesteht Muraoka. Ein weiterer Grund für den Baustopp sind verschärfte Naturschutzbestimmungen. Die idealen Zonen für Erdwärme liegen meist in Naturschutzgebieten.

Die Haltung dazu ändert sich inzwischen, weil das Land nach der Atomkatastrophe nun plötzlich Alternativen braucht, um seine Energiesicherheit zu gewährleisten. Der Ausbau des Atomstromanteils von 30 auf 50 Prozent ist vom Tisch. Experten rechnen damit, dass die Regierung einen langsamen Ausstieg wählt und bis 2030 einen Atomstromanteil von 15 Prozent festsetzen wird. Dafür soll es mehr Geld für Strom aus Sonne, Wind und anderen erneuerbaren Quellen geben, die bisher nur mickrige zwei Prozent der Stromproduktion stellen.

Von dem Gesinnungswandel profitiert auch die Erdwärmebewegung. Das Umweltschutzministerium hat bereits die Bedingungen für Bohrungen unter einigen Naturschutzgebieten gelockert. Schräge Bohrungen von außerhalb der geschützten Gebiete sollen künftig erlaubt sein. Damit würden auf einen Schlag Kapazitäten von 7 Gigawatt zugänglich, meint Muraoka. Neuere Techniken ermöglichen zudem ein Anzapfen der Erdwärme an Orten, die vorher nicht erschlossen werden konnten. Darüber hinaus hat Muraoka Geschäftsmodelle entwickelt, die es Onsenbesitzern erlauben, das Wasser, das aus ihrer heißen Quelle bisher einfach abfließt, noch in Strom umzuwandeln. Die Kleinanlagen sind zwar teuer, haben jedoch den Vorteil, den Widerstand der Betreiber kleinzusubventionieren.

Erleichternd kommt in Japan hinzu, dass es ein Risiko von Geothermie-Großanlagen - sie können kleine Erdbeben auslösen - nun wirklich nicht fürchten muss. In Basel wurde ein Projekt gestoppt, weil die Anlage Beben bis zu einer Stärke von 3,4 auf der Richter-Skala ausgelöst hatte. "Aber Japan ist eine Erdbebennation, unsere Häuser sind auf viel stärkere Erdbeben vorbereitet", sagt Muraoka. "Erdbeben der Stärke 3, die durch Erdwärmekraftwerke ausgelöst worden sind, kümmern uns daher nicht im Geringsten." Ich kann ihm da nur beipflichten und ihm Glück wünschen, dass Japan seine ihm eigenste Energiequelle endlich richtig anzapft. (bsc)