Grüne erwägen Exportverbot für deutsche Sicherheitstechnik

Angesichts von der deutschen Industrie mitentwickelten IT-Lösungen rund um RFID und Biometrie "mit Möglichkeiten der Totalüberwachung" müsse über eine Art Rüstungskontrolle für derlei Dinge nachgedacht werden.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 189 Kommentare lesen
Lesezeit: 5 Min.

Bei den Grünen im Bundestag mehren sich Sorgen über das Unheil, das "Sicherheitstechnik made in Germany" in Diktaturen und weniger auf die Menschenrechte achtenden Ländern anrichten könnte. Insbesondere hierzulande entwickelte Systeme, die mit biometrischen Kameras oder RFID-Chips arbeiten, würden über "Möglichkeiten der Totalüberwachung" verfügen, konstatierte Silke Stokar, innenpolitische Sprecherin der Oppositionsfraktion, beim gestrigen Fachgespräch der Grünen zum "Bürgerrechtsschutz im digitalen Zeitalter". Ähnlich wie bei der Rüstungskontrolle müsse man daher über Export- oder Verkaufsverbote in einzelnen Ländern wie Weißrussland nachdenken. Andernfalls könnten mit Hilfe deutscher Technik bald etwa Minderheiten in einem autoritären Regime komplett überwacht werden.

Konkret bezog sich Stokar unter anderem auf den Ende Januar beendeten Test des Bundeskriminalamts (BKA) zu einer neuartigen Videoüberwachung im Mainzer Hauptbahnhof. Dabei sind drei verschiedene biometrische Gesichtserkennungssysteme auf ihre Eignung getestet worden, Gesichter im Rahmen der Videoüberwachung in Echtzeit aus Menschenmengen zu extrahieren. Außerdem prüfte das BKA, ob es möglich ist, die gewonnen Templates (Gesichtsmuster) in Echtzeit mit einer Datenbank abzugleichen und so Verbrecher zu jagen. Die rund 200 Testkandidaten trugen einen RFID-Chip mit sich, dessen Kennung jeweils am oberen Treppenabsatz und am Fuß der überwachten Bahnhofstreppe ausgelesen wurde.

Schwer im Magen liegen Stokar zudem Berichte über ein mit EU-Forschungsgeldern gefördertes Projekt am ungarischen Flughafen in Debrecen. Fluggäste werden dort mit Kameras und RFID-Etiketten, die sich entweder in Armbändern oder im Boarding-Pass befinden, überwacht. Die Funkchips können von Datenlesegeräten aus 10 bis 20 Metern Entfernung ausgelesen werden. In Verbindung mit Panorama-Überwachungskameras lässt sich somit die Position der Passagiere auf einen Meter genau auf Schritt und Tritt bestimmen. Auch wenn die Technik federführend eine Londoner Hochschule entwickelt hat, sind der grünen Innenexpertin zufolge derlei Test bedenklich und müssten in die Kontrolldebatte einfließen.

Ulrich Walter von der auf biometrische Sicherheitstechniken spezialisierten L-1 Identity Solutions AG in Bochum versuchte den Grünen dagegen "die Angst" zu nehmen. "Ich denke nicht, dass ein Generalverdacht gegen den Bürger entstehen wird mit Biometrie", sagte der Wirtschaftsvertreter. Die biometrische Aufrüstung der Reisepässe mit Gesichtsbildern und künftig nach dem Willen der Bundesregierung auch Fingerabdrücken schaffe insbesondere eine höhere Sicherheit, dass ein entsprechendes elektronisches Ausweisdokument "nicht von anderen verwandt werden kann". Bezogen auf Forderungen des Bundesrates nach einem zentralen Datenbankabgleich der biometrischen Merkmale führte Walter aus, dass es auch dabei nicht um die Analyse "jeden einzelnen Bürgers" gehe. Erst wenn ein Verdacht bestehe, solle ein erweitertes Kontrollverfahren geschaffen werden. Dabei könne man dann auch in Einzelfällen Personen überprüfen, die keinen Ausweis bei sich tragen.

Der Biometrie-Experte räumte ein, dass mit der Datenbankverknüpfung bei der Ausweiskontrolle auch festgestellt werden könne, ob die geprüfte Person identisch sei mit einer auf der Fahndungsliste verzeichneten: "Hier komme ich in den Bereich der Massenüberwachung hinein." Bei biometrischen Systeme in Stadien, Bahnhöfen oder Flughäfen funktioniere die Gesichtserkennung dagegen nur dann, wenn relativ frontale Aufnahmen der Antlitze zu bekommen und diese klar zu erkennen seien. "Wir haben Probleme, wenn Gesichter gesenkt sind oder dunkle Sonnenbrillen getragen werden", erläuterte Walter. Die Leute könnten sich also überlegen, wie sie sich auf der Straße bewegen. Die Verbesserungen der Überwachungstechnik durch 3D-Erkennung hält der Fachmann noch für "etwas utopisch", aber die Entwicklung schreite fort. Zugleich verwies er auf Möglichkeiten, bei der Videoüberwachung die Privatsphäre zu schützen. So könnten gefundene Gesichter in Videoaufnahmen nur dann kenntlich gemacht werden, wenn sie in einer Fahndungsdatenbank verzeichnet seien. Alle anderen würden sofort anonymisiert.

Ein Plädoyer für den Sicherheitsstandort Deutschland gab auch der Präsident des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), Udo Helmbrecht, ab. Mit Biometrie und RFID in den Pässen werde durch eine digitale Signatur eine engere Bindung zwischen Person und Dokument bei der Ausgabe erreicht und die Fälschungssicherheit so erhöht. Zudem habe sich Deutschland für zusätzliche technische Zugangskontrollen eingesetzt, um das automatisierte Auslesen der personenbezogenen Daten auf den Funkchips durch die Steuerung über das Verschlüsselungszertifikat nur ausgewählten Einrichtungen zu erlauben.

Der Dresdener Informatikprofessor Andreas Pfitzmann bezeichnete es dagegen als das Hauptproblem der neuen Passgeneration, dass die Menschen daran gewöhnt würden, ihren Fingerabdruck relativ häufig in hoher Qualität abzugeben. Für Kriminelle, die falsche Spuren legen wollen, würde damit ein Eldorado geschaffen. Generell könnten so nützliche Anwendungsfelder der Biometrie "kaputt gemacht" werden. Jerzy Montag, rechtspolitischer Sprecher der Grünen, bekundete: "Wir wollen keine Gesellschaft, wo wir gebückt herumlaufen müssen." In der Summe der in den vergangenen Jahren eingeführten und geplanten Überwachungsmaßnahmen bestehe die Gefahr, dass die Bürger "sich nicht mehr frei äußern und bewegen". (Stefan Krempl) / (jk)