Ein Roboter macht Inventur

US-Forscher nutzen eine Kombination aus Bilderkennungsverfahren und maschinellem Lernen, um Läden bei der täglichen Logistik unter die Arme zu greifen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 1 Kommentar lesen
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Katherine Bourzac

US-Forscher nutzen eine Kombination aus Bilderkennungsverfahren und maschinellem Lernen, um Läden bei der täglichen Logistik unter die Arme zu greifen.

Die kleine Figur, die da den Campus-Laden der Carnegie Mellon University (CMU) entlang zuckelt, ist kein Dieb – obwohl "Andyvision" einen kleidsamen Kapuzenpullover trägt. Der kompakte Roboter erfasst automatisch das Inventar des Ladens: Er scannt die Regale ab und generiert dabei eine interaktive Karte, wo sich welches Produkt befindet. Neben der Erstellung eines solchen Shopping-Navigationssystems, das an anderer Stelle im Laden dann Kunden zur Verfügung steht, kann "Andyvision" aber noch deutlich mehr: Er führt regelmäßig eine Inventur durch, erkennt, wo Produkte fehlen oder falsch einsortiert sind und alarmiert gegebenenfalls einen menschlichen Kollegen, aufzuräumen oder neu zu befüllen.

Das Prototypsystem, das Priya Narasimhan, Professorin und Leiterin des "Intel Science and Technology Center in Embedded Computing" an der CMU, zusammen mit ihren Kollegen gebaut hat, macht seit Mitte Mai seine Runden durch den Campus-Shop. "Andyvision" kombiniert bei seiner Tätigkeit Algorithmen aus dem maschinellen Lernen mit Bilderkennungsverfahren, um eine Datenbank mit zwei- und dreidimensionalen Bildern zu füllen, die den Gesamtbestand eines Ladens enthält. Gleichzeitig entsteht eine Übersicht, wo sich was befindet – wo die roten T-Shirts gestapelt sind oder wo die Kaffeebecher stehen. Annäherungssensoren sorgen dafür, dass der Roboter weder mit Regalen noch mit Kunden zusammenstößt.

Keine der für das Projekt verwendeten Technologien sei grundsätzlich neu, sagt Narasimhan. Doch die Kombination verschiedener Algorithmen, die auf einem System laufen, das mit nur wenig Strom auskommt, mache "Andyvision" einzigartig. Neben der Übermittlung der Daten an einen großen Touchscreen, den Kunden zur Navigation nutzen können, werden die Inventarinformationen in Echtzeit außerdem an alle Mitarbeiter gesendet, die iPads tragen.

Der Roboter nutzt verschiedene Tricks, um die einzelnen Produkte zu identifizieren. Dazu gehören Barcodes und Beschriftungen, aber auch Informationen über Form, Größe und Farbe eines Objekts. Dies seien alles relativ konventionelle Bilderkennungsaufgaben, sagt Narasimhan. Der Roboter identifiziere Gegenstände aber auch anhand der Struktur des Ladens und der Produkte, die rechts und links stehen. "Wenn ein unidentifizierbares Objekt in Grellorange neben einer Packung Bleichmittel von "Clorox" steht, lässt sich darauf schließen, dass es sich vermutlich um Waschmittel der Marke "Tide" handelt."

Das System entstand auch in Zusammenarbeit mit Einzelhändlern. Vor der technischen Umsetzung befragten Narasimhan und ihr Team Ladenbesitzer, was sie benötigen. Diese verlieren Geld, wenn beliebte Produkte nicht mehr zu haben sind – und auch, wenn Kunden sie ins falsche Regal zurücklegen oder die Ladenbesatzung nicht weiß, wo sich Produkte gerade befinden. "Andyvision" hilft auch, Mitarbeiter zu schulen: Dank des Systems wissen die Angestellten mittlerweile besser, wo die Produkte hingehören. Ob sich dies letztlich auch in gesparte Dollar und Cent fassen lässt, soll bis spätestens Herbst errechnet werden.

Narasimhan glaubt, dass sich Systeme wie "Andyvision", die auf Bilderkennungsverfahren basieren, durchweg leichter implementieren lassen als konkurrierende Systeme wie drahtlose RFID-Tags. Die Funkchips machten in Läden mit Metallregalen Probleme und setzten voraus, dass sie auf jedes einzelne Produkt aufgebracht werden. Und ein beweglicher Roboter sei auch nicht unbedingt Voraussetzung für ihre Lösung: Den gleichen Job könnten auch Kameras erledigen, die in jeder Ladenreihe angebracht sind.

Ruzena Bajcsy, die an der University of California, Berkeley, in den Bereichen Bilderkennungssysteme und Robotik forscht, meint, Narasimhans Gruppe sei nicht das einzige Team, das an automatisierten Inventarisierungssystemen arbeitet. "Die größte Herausforderung an ein solches System besteht darin, ob es mit verschiedenen Lichtgegebenheiten umgehen kann. Es muss in den unterschiedlichsten Läden arbeiten."

Nach dem ersten Test im Campus-Shop der Carnegie Mellon University will Narasimhan bereits im nächsten Jahr "in die freie Wildbahn" – dann sollen örtliche Geschäfte um die Hochschule "Andyvision" testen können. (bsc)