Schäuble schaltet Anti-Terrordatei frei

In Rekordzeit haben die 38 deutschen Sicherheitsbehörden vorhandene Informationen zur Terrorismusbekämpfung vernetzt. Schäuble betonte bei der offiziellen Freigabe des komplexen IT-Systems vor allem den Schutz der Grundrechte.

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In Rekordzeit haben die 38 deutschen Sicherheitsbehörden ihre vorhandenen Informationen zur Terrorismusbekämpfung grundlegend vernetzt. Nur drei Monate nach Inkrafttreten des umstrittenen "Gemeinsame-Dateien-Gesetzes" und nachdem am 1. März peu a peu die Benutzung der Anti-Terrordatei startete, konnte Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble am heutigen Freitag in Berlin symbolisch mit einem Knopfdruck den Startschuss für die Basisversion der Anti-Terrordatei geben. Der Akt fand im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) von Polizei und Geheimdiensten am Rand des Treptower Parks unweit der Bezirksgrenze zu Kreuzberg statt, obwohl der Kern der umfangreichen Datensammlung ihren Sitz beim Bundeskriminalamt (BKA) in Wiesbaden hat. Sowohl das GTAZ als auch die gemeinsame Datei hätten aber als gemeinsames Ziel, Vertrauen zwischen den beteiligten Behörden und ihren Mitarbeitern zu schaffen, betonte Schäuble die Gemeinsamkeiten. Die Anti-Terrordatei ermöglicht es dem CDU-Politiker zufolge dabei, "dass alle relevanten Informationen allen für die Sicherheit zuständigen Behörden möglichst effizient zur Verfügung stehen".

Schäuble schien besonders am Herzen zu liegen, Bedenken von Bürgerrechtern und Oppositionspolitikern gegenüber dem neuen Ermittlungsinstrument zu zerstreuen, auf das berechtigte Stellen etwa auch bei besonders schweren Straftaten zurückgreifen dürfen. So betonte er, dass "ein Höchstmaß an Datenschutz gesichert" und der Datenschutz "kein Feigenblatt, sondern ein Maßanzug" für die Anti-Terrordatei sei. Es werde klar geregelt, "welche Daten von wem gespeichert werden, wer Zugriff erhält und wozu sie verwendet werden dürfen". Kontrollbefugnisse durch Datenschutzbeauftragte seien genauso gegeben wie Auskunfts- und Löschrechte für die Bürger. Der Dateienverbund diene "nur dem Schutz der Grundrechte", philosophierte der Innenminister, da sich Freiheit und Sicherheit in einem demokratischen Rechtsstaat nicht trennen lassen würden. Wer wie die bei der Verwirklichung ihrer Anschlagspläne gescheiterten Kofferbomber auf Presseveröffentlichungen wie die umstrittenen Mohammed-Karikaturen mit terroristischer Gewalt reagiere, bedrohe auch damit ein Grundrecht, versuchte Schäuble die Medien auf seine Seite zu ziehen.

In einem ersten Schritt sind in der jetzt in den "Wirkbetrieb" entlassenen Anti-Terrordatei die so genannten Grunddaten islamistischer Terrorverdächtiger enthalten. Dies sind Informationen wie Namen, Geschlecht, Geburtsdatum und ­ort, Staatsangehörigkeiten, besondere körperliche Merkmale, Lichtbilder oder die "Fallgruppe". In letzterer ist auszuführen, ob es sich etwa um ein Mitglied oder einen Unterstützer einer terroristischen Vereinigung, extremistischen Gruppierung mit Hilfsleistung für eine solche, einen Ausübenden, Unterstützer, Vorbereiter oder Befürworter terroristischer Gewalt wie Hassprediger oder eine Kontaktperson handelt. Dabei müssten "tatsächliche Anhaltspunkte" vorliegen, dass Berührungspunkte zum Terrorismus vorhanden seien, betonte BKA-Präsident Jörg Ziercke. Der Bäcker, bei dem sich ein Verdächtiger Brötchen hole, dürfe etwa nicht gespeichert werden.

Allgemein wird für Ziercke mit der Anti-Terrordatei das "Netzwerk an Informationen, das wir den Netzwerken des Terrors entgegensetzen, noch engmaschiger". Die Sicherheitsbehörden würden künftig "in kürzester Zeit beurteilen können, ob ein Hinweis entscheidend ist". Dafür stehe das System rund um die Uhr an sieben Tagen der Woche allen angeschlossenen Diensten und Polizeien zur Verfügung. Dabei handelt es sich neben seinem Haus um das Bundesamt für Verfassungsschutz, die jeweils 16 Landeskriminalämter und Landesämter für Verfassungsschutz, den Bundesnachrichtendienst, den Militärischen Abschirmdienst, das Zollkriminalamt und die Bundespolizeidirektion. Früher hätten Anfragen zu Verdächtigen auf dem Postweg, per E-Mail, Direktkontakt oder Rundschreiben an die Bundesländer verschickt werden müssen, wobei der Rücklauf sich teilweise mehrere Tage hingezogen habe. Jetzt stünden auf Knopfdruck die Grunddaten und innerhalb weniger Stunden nach Freigabe beziehungsweise im Eilfall auch sofort die "erweiterten Grunddaten" wie genutzte Telekommunukationsanschlüsse und ­Endgeräte, E-Mail-Konten, Bankverbindungen, Fahrzeuge, besuchte Orte oder Kontaktpersonen zur Verfügung.

Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm sprach von einem "Wunder", dass sich Bund und Länder überhaupt nach jahrelangem Streit einigten und die Anforderungen schließlich "in Hardware" umgesetzt wurden. Es habe sich als vorteilhaft erwiesen, dass noch während des Gesetzgebungsverfahrens bereits an praktischen Lösungen gearbeitet worden sei. Allerdings handelt es sich bei der von dem Ex-General als "Kommunikationsanbahnungsinstrument" gepriesenen Datei vor allem um eine Softwareleistung. Schäuble lobte, wie in kürzester Zeit "gemeinsame Verfahrensregeln festgelegt und durch Programmierungen umgesetzt wurden". Als Beispiel für die Meisterung einer technisch besonders schwierigen Herausforderung nannte er die Implementierung von als geheim eingestuften Daten: Ein Austausch habe in diesem Bereich bisher noch überhaupt nicht stattgefunden, "das ist in der Welt einmalig, hat man mir aufgeschrieben". Dabei müssten die Daten nicht nur verschlüsselt und wieder entschlüsselt werden, sondern auch spezielle bauliche Maßnahmen und Sicherheitsüberprüfungen wären zu berücksichtigen gewesen.

Konkret wird die Anti-Terrordatei auf Basis der unter schweren Wehen geborenen Polizeisoftware "INPOL-Fall" betrieben, die an die Vorgaben des Gemeinsame-Dateien-Gesetzes angepasst wurden. Den zugangsberechtigten Beamten steht als Benutzerschnittstelle eine netzbasierte Suchmaske zur Verfügung, in der etwa nach Personen geforscht werden kann. Holger Gandorosi, der Anti-Terrordatei-Gesamtprojektleiter beim BKA, skizzierte an einem fiktiven Beispiel, wie der Informationsaustausch bei Kenntnis über die geplante Einreise von zwei Mitglieder der als Terrororganisation eingestuften Gruppierung Ansar-al-Islam nach der Fertigstellung des Systems über die Bühne gehen könnte. Bei einer ersten grundlegenden Suche habe sich dabei ein Treffer ergeben mit der Anzeige weiterer Daten beim Verfassungsschutz in Bayern. Dieser werde automatisiert benachrichtigt mit Bitte um Freigabe der dort gespeicherten Zusatzinformationen. Im Idealfall erhalte das BKA dann innerhalb weniger Minuten oder Stunden den Zugang zu den erweiterten elektronischen Akten gestattet, wo etwa von Sprengstoffkenntnissen oder dem Besuch eines Ausbildungslagers in Afghanistan die Rede sein könnte. Damit sei eine "ganz andere Bewertungssituation gegeben als vor fünf Minuten".

Laut Ziercke sind zunächst rund 13.000 Personen in 15.000 Einzeldateien 334 Datenbankdateien und 511 Protokolldateien in der Anti-Terrordatei gelagert. Im zweiten Schritt ist der Aufbau der erweiterten Grunddaten geplant. Die einmaligen Investitionskosten bezifferte Schäuble mit 15,3 Millionen Euro, wovon der Bund davon rund zwei Drittel zahle. Die jährlichen Kosten für Wartung und Betrieb werden auf rund eine Million Euro geschätzt. Personalkosten sollen beim Bund rund 5,4, bei den Ländern drei Millionen Euro anfallen.

Zu den Auseinandersetzungen um die die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terrordatei sowie die Online-Durchsuchung siehe auch die Übersicht über die bisherige und die aktuelle Berichterstattung im Online-Artikel zum Start der Anti-Terrordatei:

(Stefan Krempl) / (jk)