EU-Rat gibt Gas bei Vorratsspeicherung von TK-Daten

Das Ministergremium beharrt auf der Verabschiedung eines Gesetzes zur sechs- bis 48-monatigen Vorhaltung von Telekommunikationsdaten im Juni, während das EU-Parlament seine Vorbehalte verschärft.

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Der Rat der Europäischen Union hat sein Vorhaben, Telekommunikationsanbieter zur pauschalen Überwachung sämtlicher Datenspuren ihrer Nutzer zu verpflichten, erneut überarbeitet. Der jüngste Gesetzesentwurf vom 24. Mai, der heise online vorliegt, wartet erstmals mit einer mehrseitigen Begründung der heftig umstrittenen Initiative auf. Zudem hat die luxemburgische Präsidentschaft die "Wunschliste" der deutschen Strafverfolger als Basis der anzufordernden Daten in das Papier eingebaut, über die das Bundesinnen- und Bundesjustizministerium im ersten Quartal mit einer Handvoll Branchengrößen in Geheimrunden diskutierte. Obwohl sowohl in der federführenden Ratsarbeitsgruppe zur Kooperation in Kriminalangelegenheiten als auch im Ausschuss der Ständigen Vertretungen der EU-Mitgliedstaaten (Coreper) essenzielle Fragen der tief in die Bürgerrechte einschneidenden Maßnahme weiter offen blieben, sollen jetzt die Justiz- und Innenminister letzte Hand an das Gesetz legen.

Der aktuelle Entwurf zur Vorratsdatenspeicherung, bei der es allgemein um die Speicherung sämtlicher bei der Abwicklung von Diensten im Bereich Sprachtelephonie und Internet anfallender Daten geht, ist nach wie vor von vielen Widersprüchen gezeichnet. So behaupten die Ratsvertreter, dass sich ihr Vorschlag für einen Rahmenbeschluss "nicht auf Inhaltsdaten beziehe". Doch sowohl bei den verlangten Verkehrsdaten bei SMS als auch bei den "Internetdiensten" käme es schon auf Protokollebene zwangsweise zur Verknüpfung mit Kommunikationsinhalten, eingebunden etwa in eine spezifische IP-Adresse und die dahinter liegende URL. Nötig sei "nur" eine Speicherung "gewisser Datentypen, die bereits für Abrechungs-, Werbungs- oder sonstige legitime Zwecke verarbeitet und gespeichert werden", heißt es in den Erwägungsgründen auch. Die gewünschten dynamischen und statischen IP-Adressen inklusive Nutzernamen sowie Informationen zur Identifizierung "des Routing und des Ziels einer Kommunikation" etwa werden von Providern jedoch momentan in der Regel nur wenige Stunden oder Tage aufbewahrt.

Ebenfalls auf wackeligem Boden stehen die Regierungsvertreter, wenn sie eine Harmonisierung nationaler Datenspeichervorschriften vorantreiben wollen, "um eine effektive Kooperation von Polizei und Justiz in kriminellen Angelegenheiten sicherzustellen". Denn in Artikel 4 wird zwar eine zwölfmonatige Speicherfrist allgemein empfohlen, abweichend davon sollen Mitgliedsstaaten in begründeten Fällen aber auch eine Archivierung von bis zu 48 Monaten oder von mindestens sechs Monaten beschließen dürfen. Nur Großbritannien und Tschechien sind an dieser Stelle der Ansicht, dass für manche Datentypen selbst eine halbjährige Speicherpflicht zu lang sei. Deutschland und Österreich setzen sich zudem noch dafür ein, dass sich die Datenaufhäufung im Telefonbereich nur auf erfolgreiche Anrufe beziehen soll. Neu ist, dass die nationalen Regierungen bei der Implementierung des Rahmenbeschlusses angehalten werden, "die Industrie angemessen zu konsultieren."

Nicht gelöst ist vor allem der Streit um die rechtliche Grundlage des Rahmenbeschlusses. Die EU-Kommission, das EU-Parlament sowie selbst der rechtliche Dienst des Rates gehen allesamt davon aus, dass die Festlegung der Datentypen sowie die Speicherdauer gemäß der EU-Verträge nicht ins Aufgabenfeld der Regierungsvertreter fällt. Allein in der Frage, wer Zugang zu den Datenlagern haben soll und mit wem Informationen daraus ausgetauscht werden dürfen, gilt der Ministerrat als zuständig. Die Verfasser des überarbeiteten Entwurfs kommen aber nur zu der Schlussfolgerung, dass Coreper und die Minister hier möglichst rasch entscheiden sollen. Im Hinterkopf sei dabei zu behalten, dass der Rat in seiner Erklärung zur Bekämpfung des Terrorismus nach den Anschlägen von Madrid gefordert habe, dass die Vorratsdatenspeicherung bis zum Juni zu verabschieden sei.

Gegenwind kommt weiter nicht nur aus Zivilgesellschaft und Wirtschaft, sondern auch aus dem EU-Parlament. Dort hat der Innnen- und Bürgerrechtsauschuss am heutigen Donnerstag mit großer Mehrheit einen Bericht des Liberalen Alexander Alvaro angenommen. Darin erhebt der FDP-Politiker erhebliche Zweifel sowohl an der Wahl der Rechtsgrundlage als auch an der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme. Darüber hinaus weist er auf die Möglichkeit einer Verletzung des Artikels 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention hin, wonach Eingriffe in die Privatsphäre "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" sein und zentralen legitimen Zielen dienen müssen.

Alvaro betont in diesem Zusammenhang, dass die Mitgliedsstaaten etwa zur Bekämpfung des Terrorismus "nicht jede Maßnahme beschließen dürfen, die sie für angemessen halten". Allein das Datenvolumen, das ein großer Internetprovider bereits bei heutigen Verkehrsaufkommen aufbewahren müsste, würde "ungefähr 4 Millionen Kilometer gefüllter Aktenordner" entsprechen. Der Berichterstatter verlangt daher von den Mitgliedsstaaten, dass sie den Vorschlag zurückziehen. Sie sollten stattdessen eine Studie vorlegen, welche "die Notwendigkeit der geplanten Vorratsdatenspeicherung unzweifelhaft belegt."

Unterstützung erhält Alvaro auch aus dem Industrieausschuss, in dem die CDU-Abgeordnete Angelika Niebler als Berichterstatterin fungiert. Ihr zufolge "stellt sich grundsätzlich die Frage, ob der vorgeschlagene Rahmenbeschluß wirklich geeignet ist, das angestrebte Ziel zu erreichen." Im Vorschlag werde "an keiner Stelle plausibel nachgewiesen, dass es durch die vorgeschlagenen Maßnahmen tatsächlich zu einer Verbesserung der Verbrechens- und Terrorbekämpfung kommt." Diese Begründung sei jedoch Grundvoraussetzung, "um die erheblichen Auswirkungen und Belastungen für Bürger und Unternehmen zu rechtfertigen." Die Kritik der Abgeordneten muss nun noch im Parlamentsplenum Anfang Juli abgesegnet werden. Der Rat braucht diese allerdings nur zur Kenntnis nehmen. Alvaro will in diesem Fall den Gang vor den Europäischen Gerichtshof prüfen.

Zur Auseinandersetzung um die Vorratsspeicherung dämtliche Verbindungs- und Standortdaten, die bei der Abwicklung von Diensten wie Telefonieren, E-Mailen, SMS-Versand, Surfen, Chatten oder Filesharing anfallen, siehe auch:

(Stefan Krempl) / (jk)