Der Farbflüsterer

Exzellente Fotografie beginnt mit außergewöhnlicher Wahrnehmung. Kaum ein zweiter Fotograf beweist das so deutlich wie Steve McCurry. Ein neuer Bildband fasst knapp 50 seiner wichtigsten Bilder zusammen.

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Von
  • Robert Seetzen

Stern FOTOGRAFIE Portfolio No. 68 Steve McCurry

Wenn zwei Menschen ihren Blick auf die gleiche Sache richten, werden sie niemals dasselbe sehen. Eine Binsenweisheit, gewiss. Doch wenn sie so offen zutage tritt wie in den Bildern von Steve McCurry, dann stellt sich doch die Frage nach den Gründen. Wie kann es sein, dass so viele seiner in Stil und Proportion keineswegs außergewöhnlichen Fotos den Betrachter so schnell in ihren Bann ziehen? McCurry schaut schließlich auf dieselbe Welt wie jeder andere Mensch.

Einige Antworten liefert die jüngste Ausgabe der Stern-Portfolios, nicht zuletzt wegen ihrer klugen Auswahl aus dem immensen Werk des erfolgreichen Fotografen und Magnum-Mitglieds. Besondere Aufmerksamkeit für Farben etwa, soviel verrät schon sein bekanntestes Bild, ist ihm ganz sicher gegeben. Doch das "Afghanische Mädchen", völlig zurecht an den Beginn des Bildbands gestellt, zeugt noch von einem anderen Element in McCurrys Wahrnehmung der Welt. An Intensität schwerlich zu überbieten, lässt das Bild zwar einerseits den Schrecken vermuten, dem das Mädchen ausgesetzt war. Zugleich behält es dennoch seine ganze Würde. Ein so wacher und empathischer Blick auf menschliche Wirklichkeit ist auch in dieser bilderreichen Zeit nicht häufig anzutreffen.

Um so bemerkenswerter scheint, dass die 1984 entstandene Aufnahme im Werk von Steve McCurry eine zwar auffällige, jedoch keineswegs singuläre Stellung einnimmt. Der Bildband zeigt knapp 50 Fotos, fast jedes davon fängt die Aufmerksamkeit der Betrachter mit ungewöhnlich großer Kraft ein. Einige Aufnahmen sind längst weithin bekannt, etwa das in Myanmar entstandene Bild von vier am Goldenen Felsen betenden Mönchen oder das Foto eines im Öl sterbenden, fast nur noch durch sein rotes Auge erkennbaren Vogels.

Große Gegensätze, wie jener zwischen diesen beiden Bildern, kennzeichnen das gesamte Werk von Steve McCurry. Seit dem Beginn seiner Karriere in den frühen Achtzigern war er immer wieder an Krisenherden anzutreffen, meist im arabischen und asiatischen Raum. Auf seinen Reisen entstanden allerdings auch zahllose vergleichsweise friedliche Aufnahmen aus dem alltäglichen Leben.

Da der Stern-Bildband ausdrücklich als Sammlung der Höhepunkte in McCurrys Schaffen angelegt ist, wundert es nicht, dass sich viele dieser Aufnahmen auf Anhieb einprägen. Etwa das Titelbild mit den kopfüber hängenden Shaolin-Mönchen oder die auf einer Stelzenkonstruktion sitzenden Fischer in Sri Lanka. Aber auch die Landschaftsaufnahmen von McCurry bleiben mit ihrer dichten Stimmung und der eindrucksvollen Farbgestaltung schnell im Gedächtnis haften. Dass im Stern-Portfolio lediglich fünf solcher Fotos zu finden sind, könnte im ersten Moment sogar etwas enttäuschen. Dem Umfang eines mit 18 Euro Kaufpreis ausgesprochen günstigen und zudem großformatigen Bildbands sind jedoch Grenzen gesetzt. Was bei einer so gelungenen Zusammenstellung außergewöhnlich eindrucksvoller Aufnahmen bestimmt zu verschmerzen ist.

Mit dieser Ausgabe der Stern-Portfolios liegt den Bildbänden übrigens erstmals ein Heft der neuen Reihe "Talente" bei. Das erste der etwa DIN A5 großen Booklets zeigt sieben Bilder der US-Amerikanerin Kitra Cahana, darunter Aufnahmen aus dem Gaza-Streifen, der Ukraine und dem Party-Leben in den USA.

Stern Fotografie Portfolio No. 68
Steve McCurry
Verlag teNeues
96 Seiten, 49 Abb. , Texte dt. / en.
27 x 36 cm
18 Euro
ISBN 978-3-652-00069-7

(keh)