EU-Kinderschutzkoalition arbeitet an netzseitigen Filtern

Die EU-Kommission macht Druck auf die von ihr ins Leben gerufene Vereinigung von IT- und Medienkonzernen für ein kinderfreundliches Internet: Bis zum Jahresende möchte sie Ergebnisse rund um einen "sauberen" Zugang sehen.

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Die EU-Kommission macht Dampf in der von ihr ins Leben gerufenen Vereinigung von IT- und Medienkonzernen für ein kinderfreundliches Internet. Trotz zahlreicher offener technischer und rechtlicher Fragen hält die Kommission nichts davon, die für die Kinderschutzkoalition eingesetzten Arbeitsgruppen weiter laufen zu lasen. Sie will stattdessen bis zum Jahresende konkrete "freiwillige Selbstverpflichtungserklärungen" der Industrie rund um einen "sauberen" Netzzugang sehen.

Vertreter der Kommission hätten am Mittwoch in Brüssel beim jüngsten, turbulent verlaufenen Treffen der Gruppe "unglaublichen Druck" ausgeübt, erfuhr heise online aus Teilnehmerkreisen. Es sei sogar damit gedroht worden, dass die zuständige EU-Kommissarin Neelie Kroes persönlich bei den Chefs beteiligter Konzerne anruft, sollten sie sich nicht bald einigen. Die Niederländerin hatte das auch als "CEO-Koalition" bekannte Gremium im Dezember eingesetzt. Mit an den Tischen sitzen unter anderem auch Abgesandte von EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström, die sich jahrelang für verbindliche Websperren im Kampf gegen Kinderpornographie stark machte.

Die bisher diskutierten Vorschläge reichen von einem generellen "White-Listing" von Inhalten, die als kinderfreundlich eingestuft werden, über das in Großbritannien geforderte Opt-in-Verfahren für Porno- oder Spieleangebote, die nur für Erwachsene bestimmt sind, bis hin zu netzseitigen Filtern einschließlich Deep-Packet-Inspection (DPI). Microsoft leitet eine der Arbeitsgruppen und hat dort dafür geworben, die von dem Unternehmen mitentwickelte Technik PhotoDNA flächendeckend einzusetzen. Mit Hashwerten sollen dabei Darstellungen des sexuellen Kindesmissbrauchs identifiziert werden.

Gegen alle diese Ansätze werden Bedenken vorgebracht. Bei der etwa von Facebook erprobten Microsoft-Software befürchten Kritiker, dass die Hashwerte auch von Päderasten missbraucht werden könnten, kinderpornographisches Material aufzufinden. Andere Unternehmensvertreter verweisen auf Probleme mit der E-Commerce-Richtlinie und den darin festgeschriebenen Haftungsfreistellungen für Provider sowie auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) gegen zentrale Filtersysteme. Andere verweisen auf Vorgaben nationaler Verfassungen und die Grundrechtscharta der EU, die zumindest gesetzliche Grundlagen für derart tiefe Eingriffe in die Meinungsfreiheit und den Datenschutz verlangten. Insgesamt sollen noch rund 16 der 28 beteiligten Firmen einen Kodex ablehnen.

Die Bürgerrechtsorganisation European Digital Rights Initiative (EDRi) warnte jüngst vor einem der demokratischen Kontrolle entzogenen "Aufstieg der Upload-Filter in Europa". Allein dass Facebook für Privatsphäre-Einstellungen und Microsoft für das Herunternehmen von Inhalten zuständig sind, sei ein klares Zeichen dafür, dass die Initiative von marktbeherrschenden Unternehmen instrumentalisiert werde. Microsoft etwa sei führend darin, beim Konkurrenten Google Löschungen zu beantragen.

Aber auch die Kommission macht sich die Koalition laut EDRi zunutze, um eine gesetzlich nicht zu verwirklichende "Selbstregulierung" der Industrie doch noch durchzuboxen. Dabei lasse sie bewusst offen, ob sie selbst Teil der geforderten Abkommen werden wolle. In Brüssel wird zudem gemunkelt, dass sich Kroes vor ihrem Ausscheiden aus der Kommission mit dem Auslaufen der Legislaturperiode ein "Abschiedsgeschenk" machen wolle. Da die Digitale Agenda selbst an Glanz und Glaubwürdigkeit verloren habe, setze sie nun auf Resultate um jeden Preis.

Das Forschungsnetzwerk EU KidsOnline legte der Koalition derweil Ergebnisse einer neuen Befragung von 25.000 Kindern zwischen 9 und 16 Jahren in 25 europäischen Ländern vor, wonach sie bestehende Online-Beschwerdestellen nur selten nutzen. Lediglich 13 Prozent der Teilnehmer, die im Internet Belastendes erlebt haben, hätten dies mit einem Meldesystem angezeigt. In Deutschland liege der Anteil sogar nur bei 8 Prozent. Rund ein Viertel der Kinder und Jugendlichen, die ein Profil auf einem sozialen Netzwerk haben, machten ihre Informationen öffentlich zugänglich. Ein hoher Anteil in dieser Gruppe wisse zudem nicht, wie sich die Privatsphäreeinstellungen ändern lassen. Technische Filter und andere Jugendschutzprogramme würden von etwa einem Drittel der Eltern eingesetzt, in Deutschland liege der Anteil nur bei einem Viertel. (axk)