"So eine Wirtschaft behagt mir nicht"

Der Arbeitsforscher Andrew McAfee über die Folgen der Automatisierung auch von geistigen Tätigkeiten, die trügerische Hoffnung eines "digitalen Athens" und die richtige Ausbildung, um in der Wirtschaft von morgen eine Chance zu haben.

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Von
  • Antonio Regalado

In ihrem Buch „Race Against the Machine“ sind die beiden MIT-Arbeitsforscher Erik Brynjolfsson and Andrew McAfee der Frage nachgegangen, ob Automatisierung immer mehr Arbeitsplätze kosten wird. Sie deuteten die steigende Arbeitslosigkeit in den USA in den vergangenen Jahren so, dass Computertechnik zum Teil auch für den Verlust von „White Collar Jobs“ – Büro- oder Dienstleistungstätigkeiten – verantwortlich ist.

Wer heute an einem Flughafen eincheckt, kann diese Entwicklung sofort selbst wahrnehmen: Wo früher ein Haufen Flughafenpersonal die Check-ins abwickelte, erledigen das heute überwiegend Automaten, in die man seine Flug- oder Kreditkartennummer eingibt. Die Zunahme der Produktivität pro Arbeitsplatz mag Ökonomen erfreuen. Die Kehrseite dieser Entwicklung ist Brynjolfsson und McAfee zufolge jedoch, dass noch mehr Wohlstand auf noch weniger Menschen konzentriert wird, während nun auch die Mittelschicht immer stärker um ihre Jobs fürchten muss.

Technology Review sprach mit Andrew McAfee über diese neue Form technisch bedingter Arbeitslosigkeit, die trügerische Hoffnung eines digitalen Athens und die richtige Ausbildung, um in der Wirtschaft von morgen eine Chance zu haben.

Technology Review: Herr McAfee, wie definieren Sie Automatisierung?

Andrew McAfee: Die offensichtliche Definition lautet: Es gibt einen Arbeitsplatz weniger als vorher, bei gleicher Leistung der Geschäftseinheit. Ein Steuerberater etwa kann durch eine Software wie Turbotax ersetzt werden und danach keinen Job mehr finden. Ein Arbeiter am Fließband kann durch einen Industrieroboter ersetzt werden. Damit verbunden beobachten wir eine massive Zunahme an Produktivität durch Digitaltechnologien.

Ein Beispiel: Dank spezieller Software kann ein Anwalt heute so produktiv sein wie früher 500 Anwälte. Nun werden die nicht gleich alle entlassen. Wenn aber in einer Kanzlei Neueinstellungen nötig sind, könnte das bedeuten, dass nur ganz wenige Anwälte und eine Menge Software eingestellt werden.

TR: Wo führt Automatisierung zum Verlust von Arbeitsplätzen?

McAfee: Einige Forscher haben bereits gezeigt, dass „kognitive Routinearbeit“ – bei der geistige Arbeit sehr strukturiert ausgeführt wird – seit einiger Zeit einem gehörigen Lohndruck ausgesetzt ist. Das ist im Wesentlichen eine technische Geschichte. Buchhalter oder Vermittler in Reisebüros gibt es nicht mehr so viele wie früher. Und auch im verarbeitenden Gewerbe sind weniger Menschen beschäftigt, obwohl sein Ertrag wächst.

TR: Welche Reaktionen haben Sie auf das Buch „Race Against the Machine“ bekommen?

McAfee: Alles in allem wurde anerkannt, dass die technische Entwicklung sich beschleunigt und dies Konsequenzen für die Erwerbstätigen haben wird. Die Deutung davon schwankte allerdings zwischen Pessimismus und Optimismus. Bewegen wir uns mit dieser Entwicklung auf eine Gesellschaft zu, die wir wollen, oder eine, die wir nicht wollen? Viele Kommentare gingen in die Richtung: „Wenn die Typen auch nur einigermaßen richtig liegen, wartet auf uns eine Wirtschaft, die für viele Menschen ungemütlich wird.“

TR: Wie sieht die Wirtschaft aus, die wir nicht wollen?

McAfee: Die Schere zwischen Besitzenden und Habenichtsen klafft immer weiter auseinander. Mehr noch: Nach absoluten Zahlen sinkt der Lebensstandard der mittleren und der unteren Gesellschaftsschicht. So eine Wirtschaft behagt mir nicht.

TR: Wie lautet die optimistische Interpretation?

McAfee: Erik Brynjolfsson hat dafür den großartigen Ausdruck „digitales Athen“ erfunden. Die Bürger Athens in der Antike konnten ein Leben voller Muße führen, an der Demokratie teilhaben und sich der Kunst widmen. Das ging, weil sie Sklaven hatten, die die Arbeit machten. Natürlich will ich keine menschlichen Sklaven. Aber in einer äußerst automatisierten und digitalisierten Wirtschaft müssen nicht mehr so viele Menschen arbeiten, um die Früchte zu ernten. Die optimistische Interpretation lautet also, dass wir pro Woche immer mehr Stunden zur Verfügung haben, die von Schufterei befreit sind.

TR: Gibt es Anzeichen für ein digitales Athen in der realen Wirtschaft?

McAfee: Nein. Wir haben festgestellt – und damit hatten wir nicht gerechnet –, dass die Menschen an der Spitze der Einkommens-, Lohn- und Bildungspyramide mehr arbeiten. Wir tendieren offenbar dazu, mehr zu arbeiten. Wenn Menschen viel Freizeit haben, ist dies zu oft unfreiwillig. Sie sind entweder unterbeschäftigt oder arbeitslos. So stelle ich mir ein digitales Athen nicht vor.

TR: Welche Automatisierung ist weiter fortgeschritten, die von körperlicher oder von geistiger Arbeit?

McAfee: Die Automatisierung von Wissen ist noch deutlich weiter entfernt. Es ist sehr schwierig, einen Computer Tätigkeiten ausführen zu lassen, die ein vierjähriges Kind kann – etwa durch ein Zimmer zu gehen, einen Stift in die Hand zu nehmen und ihn als Stift zu erkennen. Die physische Welt stellt digitale Technologien vor große Herausforderungen.

Ich habe aber das Gefühl, dass wir hier gerade einen entscheidenden Schritt machen. Ein Roboter kann sich inzwischen auf enorme Datenanalysen stützen, das Feld explodiert förmlich. Die Sensortechnik folgt dem Moore’schen Gesetz [das eine Verdopplung der Prozessorleistung alle 18 bis 24 Monate beschreibt]. Auch die Bauteile von Robotern wie Aktuatoren sind deutlich besser geworden. Die Voraussetzungen sind alle da, dass Roboter demnächst ins Wirtschaftsleben einsteigen.

TR: Wie können Unternehmen auf diese Entwicklung reagieren?

McAfee: Erfolgreich sind die Unternehmen, die den richtigen Mix aus menschlicher und digitaler Arbeitskraft finden. Und ich glaube, dass dieser Mix immer mehr – und unterschiedlichere – digitale Arbeitskraft enthalten wird.

TR: Welchen Rat würden Sie jedem Einzelnen geben, oder Eltern, die ein Kind erziehen?

McAfee: Eltern würde ich empfehlen, ihre Kinder etwas lernen zu lassen, was Maschinen nicht sehr gut können. Computer sind zum Beispiel immer noch lausige Programmierer. Sie sind schlecht darin herauszufinden, welche Fragen am dringendsten beantwortet werden müssen. Ich würde heutzutage jedem Kind dazu raten, sich ins Zeug zu legen und eine doppelte Ausbildung zu machen: eine allgemeine in Geisteswissenschaften und kreativen Tätigkeiten sowie eine naturwissenschaftliche an der Universität.

TR: Trotz der düsteren Aussichten auf dem Arbeitsmarkt haben Sie den Ausdruck „Füllhorn“ benutzt, um die Ergebnisse von Innovation zu beschreiben. Das klingt sehr positiv. Was meinen Sie damit?

McAfee: Wir haben heute Zugang zu erstaunlichen digitalen Ressourcen. Viele davon sind schier unerschöpflich, unabhängig vom Einkommensniveau. Die Wikipedia etwa steht den Massen zur Verfügung. Ein Investor wie Warren Buffett hat nicht „mehr Google“ als ich oder ein Arbeitsloser haben kann. Wenn ich mir überlege, dass es inzwischen fünf Milliarden Mobiltelefone gibt, ist das wahrlich ein Füllhorn. Es ist wichtig, dass wir dies nicht aus dem Blick verlieren. (nbo)