Normalerverdiener haben Anspruch auf Mehrarbeitsausgleich

Arbeitsvertragliche Klauseln, die besagen, dass Überstunden mit dem Gehalt abgegolten sind, gelten im Zweifelsfall nicht für Normalverdiener, wie das Bundesarbeitsgericht jetzt entschieden hat.

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Von
  • Marzena Sicking

Bundesarbeitsgericht in Erfurt

(Bild: Bundesarbeitsgericht)

Hat der Arbeitgeber es versäumt, mit seinem Mitarbeiter eine wirksame Vergütungsregelung für Überstunden zu vereinbaren, ist er nach § 612 Abs. 1 BGB verpflichtet, diese Mehrarbeit zusätzlich zu entlohnen. Viele Unternehmen versuchen dieser Pflicht durch eine arbeitsvertragliche Klausel zu entkommen, die besagt, dass Überstunden bereits mit dem Gehalt abgegolten sind. Diese Vereinbarung ist aber nur gültig, wenn das Gehalt auch entsprechend hoch ist. "Normalerverdiener" haben hingegen gute Chancen, diese Vereinbarung für ungültig erklären zu lassen und zusätzliches Geld für geleistete Überstunden zu fordern – auch rückwirkend. Dieses Urteil des Bundesarbeitsgerichts (22.2.2012, Az.: 5 AZR 765/10) dürfte den meisten Arbeitgebern also kaum gefallen.

Wie der 5. Senat des Bundesarbeitsgerichts festgestellt hat, gibt es zwar keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz, der besagt, dass jede Überstunde oder zusätzliche dienstliche Anwesenheit, die über die vereinbarte Arbeitszeit hinaus geht, bezahlt werden muss. Vielmehr müsse dies in jedem einzelnen Fall unter Berücksichtigung der hier üblichen Vorgehensweisen, der Art, des Umfangs und der Dauer der Dienstleistung sowie der Stellung der Beteiligten zueinander entschieden werden. So kann sich die Pflicht zur Bezahlung von Überstunden beispielsweise daraus ergeben, dass im betreffenden Wirtschaftsbereich Tarifverträge gelten, die für vergleichbare Arbeiten eine Vergütung der Mehrarbeit vorsehen. Hingegen wird man den Arbeitgeber kaum dazu verpflichten können, wenn der Arbeitnehmer bereits eine überdurchschnittlich hohe Vergütung erhält.

Doch wo genau liegt die Grenze? Diese Frage hatte das Bundesarbeitsgericht in dem verhandelten Fall zu entscheiden. Der Arbeitnehmer hatte für eine wöchentliche Arbeitszeit von 42 Stunden einen Bruttolohn von 1.800 Euro erhalten. Laut Arbeitsvertrag war er bei Bedarf verpflichtet, Überstunden ohne zusätzliche Vergütung zu leisten. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses verlangte der Mann von seinem Ex-Arbeitgeber aber die Vergütung von insgesamt 968 Überstunden, die er in den Jahren 2006 bis 2008 geleistet hatte.

Wie das Bundesarbeitsgericht festgestellt hat, sind seine Forderungen rechtens. Denn angesichts seines monatlichen Bruttogehalts dürfe erwartet werden, das Überstunden zusätzlich bezahlt würden. Die arbeitsvertragliche Klausel, die dies ausschloss, erklärten die Richter unter anderem auch wegen Intransparenz für unwirksam: für den Arbeitnehmer sei nicht zu erkennen, welche Arbeitsleistungen genau er für sein Bruttogehalt zu leisten habe. Bei Vertragsabschluss habe er also nicht erkennen können, wie viele Arbeitsstunden er in der Praxis tatsächlich werde leisten müssen.

Wie die Richter weiter erklärten, sei eine Regelung, die die Vergütung von Überstunden ausschließt, vor allem bei Höherverdienern in Ordnung, da sie bereits überdurchschnittlich bezahlt würden. Von so einem Fall sei auszugehen, wenn das Gehalt die Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung überschreitet. Bei diesem Personenkreis wird davon ausgegangen, dass sie nach Erfüllung ihrer Aufgaben und nicht nach geleisteten Arbeitsstunden bezahlt würden. Für die Praxis bedeutet das: Wer weniger als die derzeit gültige Beitragsbemessungsgrenze von 67.200 Euro im Jahr (Ost: 57.600 Euro) verdient, hat durchaus gute Chancen, mit der Forderung nach einer Überstundenvergütung durchzukommen. (map)
(masi)