Streit ums Digital-Eigentum

Kann man "gebrauchte" Musikdateien in einem Second-Hand-Onlineshop weiterverkaufen? Das US-Start-up ReDigi sagt: ja. Die Musikindustrie sagt: nein und klagt dagegen. Der Prozess könnte weitreichende Folgen für das digitale Mediengeschäft haben.

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Von
  • Jessica Leber

Kann man "gebrauchte" Musikdateien in einem Second-Hand-Onlineshop weiterverkaufen? Das US-Start-up ReDigi sagt: ja. Die Musikindustrie sagt: nein und klagt dagegen. Der Prozess könnte weitreichende Folgen für das digitale Mediengeschäft haben.

Genau wie in klassischen Plattenläden gibt es auch in den Online-Shops für digitale Musik Preisunterschiede. Wer etwa „Someone like you“ von Adele kaufen will, zahlt im iTunes Store 1,29 Dollar, bei Redigi hingegen nur 0,59 Dollar. Das sieht nach einem Dumpingpreis aus, ist aber keiner. Denn ReDigi versucht etwas, was Plattenläden seit jeher gemacht haben: gebrauchte Tonträger zu verkaufen – in diesem Fall „gebrauchte“ Audiodateien.

Was wie ein Witz klingt, hat eine knifflige juristische Debatte ausgelöst. Das Start-up beruft sich nämlich auf das Eigentumskonzept, wie es – nicht nur – im US-Recht gefasst ist. Dies erlaubt jemandem, der ein schöpferisches Werk gekauft hat, die ursprüngliche Kopie weiterzuverkaufen. „Sie kaufen es, und damit ist es Ihr Eigentum. Also sollten Sie es weiterverkaufen können“, sagt Larry Rudolph, CTO von Redigi. „Wenn Sie es hingegen gestohlen haben, sollten Sie es nicht weiterverkaufen können. So einfach ist das.“

So einfach ist es natürlich nicht. Capitol Records, eine Abteilung des Musikkonzerns EMI, sieht in dem Geschäftsmodell ein „Clearinghouse für Urheberrechtsverletzungen“ und hat deshalb ReDigi verklagt. Der Verband der US-Musikwirtschaft RIAA hat der Firma bereits eine Unterlassungsaufforderung geschickt. „Auch wenn ReDigi seinen Dienst als Äquivalent eines Ladens für gebrauchte Platten bewirbt, ist diese Analogie nicht anwendbar: Second-Hand-Plattenläden fertigen keine Kopien an, um ihre Verkaufsstände zu füllen“, heißt es in der Klageschrift von Capitol Records.

ReDigi verweist jedoch darauf, dass in seinem Ende 2011 gestarteten Online-Shop keine Kopien verkauft werden. Lädt ein Nutzer eine Musikdatei bei ReDigi hoch, wird geprüft, ob es sich wirklich um eine käuflich erworbene Datei handelt und nicht einfach um eine Kopie, die der Anbieter womöglich von einer CD gezogen hat. Hierzu wendet ReDigi eine forensische Analyse an, die das Start-up „verification engine“ nennt. Die prüfe, von welcher Quelle die Datei stammt, ob und wann sie gekauft wurde, und ob sie bereits von einem Rechner auf andere verschoben wurde, sagt John Ossenmacher, CEO von ReDigi.

Gibt die Analyse grünes Licht, werden aus der Ferne sämtliche Kopien der hochgeladenen Datei gelöscht, die der Anbieter noch auf anderen, miteinander synchronisierten Geräten hat. Der Originaldatei wird eine digitale Signatur hinzugefügt, mit der ReDigi erkennen kann, ob ein Nutzer nach dem Hochladen noch schnell eine weitere Kopie macht, die er auf andere Geräte verschiebt.

Der Knackpunkt in dem Prozess, der im Oktober beginnen soll, dürfte indes eine technische Spitzfindigkeit sein: Werden nicht die Bits einer angebotenen Datei während des Hochladens auf die Cloud-Server von Redigi ganz schlicht auf dem Zielrechner kopiert? Nach geltendem US-Urheberrecht wären wohl auch solche Kopien verboten – ganz gleich, ob es sich um einen Datei-Transfer zwischen zwei Rechnern mit nachfolgender Löschung der Ausgangsdatei handelt.

Natürlich kann man Dateien nicht im wörtlichen Sinne verschieben, so wie man eine CD vom Einkaufstresen in eine Plastiktüte legt. ReDigi will aber mit Hilfe von Software, die ursprünglich für das Online-Banking entwickelt wurde, sicherstellen, dass – ähnlich wie digitale Münzen – eine bestimmt Datei nie an zwei Speicherorten gleichzeitig sein kann. Und kauft jemand bei ReDigi eine Gebraucht-Datei, wird die auf den Cloud-Servern gelöscht.

Das hat zur Folge, dass die Firma wie jeder Second-Hand-Laden eine Musikdatei nur so oft anbietet, wie sie von Nutzern hochgeladen wurde. Im Unterschied zu iTunes können Hits im Ditigalformat also ausverkauft sein. ReDigi bietet aber seinen Nutzern, die bereits selbst Dateien zum Weiterverkauf hochgeladen haben, an, für ihr Guthaben die „vergriffene“ Datei bei iTunes „im Original“ zu besorgen.

Der Ausgang des Prozess werde enorme Folgen für künftige Geschäftsmodelle der Kreativindustrie habe, sagt Jason Schultz, Urherberrechtsexperte der Berkeley School of Law. Im Unterschied zu früheren Diensten wie Napster oder Kazaa habe ReDigi durchaus eine Chance, den Prozess zu gewinnen. Wie heikel die Angelegenheit ist, zeigt auch, dass Google darum bat, im Prozess eine Stellungnahme abgeben zu können. Distrikt-Richter Richard Sullivan lehnte das Gesuch jedoch ab.

Einstweilen fährt ReDigi mit dem Geschäft fort. Zum Weiterverkauf angenommen werden zurzeit nur Musikstücke aus dem iTunes-Store. Dessen Geschäftsbedingungen würden das Eigentumsrecht an einem gekauften Song klarer regeln, sagt Jason Schultz.

Von jedem Verkauf behält ReDigi einige Prozent als Provision ein. Seit Kurzem bekommen Musiker einen Abschlag aus dem Verkaufspreis – anders als in der analogen Welt der Second-Hand-Geschäfte, wo der Urheber grundsätzlich leer ausgeht. ReDigi-Boss Ossenmacher kann sich vorstellen, auch die großen Musiklabel an den Umsätzen zu beteiligen. „Das ist keine halbseidene Sache“, betont Ossenmacher, „wir haben uns mit der Rechtslage und der Technologie auseinandergesetzt, weil wir alles so korrekt wie möglich machen wollen.“

Fragt sich nur, ob der Markt groß genug ist. Der Durchschnittsverbraucher besitzt heute laut Ossenmacher Medien-Dateien im Wert von 500 Dollar auf seinen Computern. Die zunehmende Beliebtheit von Abo- oder Streaming-Diensten könnte den Besitz von Medien-Dateien künftig aber eher verringern.

Berkeley-Jurist Schultz erhofft sich indes von dem Fall ReDigi, dass endlich das Konzept eines Eigentums an Medien-Dateien geklärt wird. „Werden wir in Zukunft für jedes Mal, wenn wir urheberrechtlich geschützte Inhalte nutzen, zur Kasse gebeten, wie bei einer Autobahn-Maut? Oder sind wir tatsächlich die Eigentümer einer Sache, mit der wir machen können, was wir wollen?“

(nbo)