Das Online-Zeitungswunderland

Während anderswo Zeitungen ihre Nachrichten verschleudern, nehmen japanische Blätter mittlerweile Spitzenpreise für Internet-Inhalte. Und womöglich setzen sie damit ein Beispiel, wie traditionelle Medien auch heute noch gutes Geld verdienen können.

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Von
  • Martin Kölling

Während anderswo Zeitungen ihre Nachrichten verschleudern, nehmen japanische Blätter mittlerweile Spitzenpreise für Internet-Inhalte. Und womöglich setzen sie damit ein Beispiel, wie traditionelle Medien auch heute noch gutes Geld verdienen können.

Wissen Sie, wie viel ich für mein Abo der Online-Ausgabe der japanischen Wirtschaftszeitung "Nikkei" zahle? 40 Euro. Pro Monat. Und Abonnenten der Print-Ausgabe müssen für den Luxus, auch eine digitale Version zu erhalten, zusätzlich zum normalen Print-Abo-Preis noch mal 10 Euro berappen und landen damit bei 53 Euro pro Monat. Und wie schaut es mit der digitalen Version der zweitgrößten Tageszeitung "Asahi" aus? Die macht es genauso.

Hört sich viel an, nicht wahr? Für das ePaper meines Tagesjobs, dem "Handelsblatt", werden "nur" rund 30 Euro fällig. Und das "Wall Street Journal" lässt sich seine elektronische Ausgabe gerade einmal 17 Euro (hier in Japan) kosten. Deutsche Herausgeber mögen vor Neid erblassen. Doch aufgepasst: In Japan sind nicht nur die Preise spitze, sondern auch das Angebot.

Es lässt bei der "Nikkei" nichts zu wünschen übrig. Das digitale Angebot ist nahtlos über alle Plattformen integriert, vom PC bis zum Handy. Die Versionen sind vielfältig: Als Internet-Newsseite, aufgeteilt in Morgen- und Abendausgabe, als Link-Listen oder als PDF, oder als selbst zusammengestelltes digitales Blatt. Alles flutscht. Die Zugangswege sind ebenso vielfältig: über Apps – aber besser über den Internet-Browser von PC oder Smartphone. Dazu gibt es Zugriff aufs Fünf-Jahres-Archiv, auf eine der größten Wirtschaftsdatenbanken Japans, selbstgemachte Filmchen des TV-Senders "TV-Tokyo" sowie Artikel aus anderen Publikationen des Nikkei-Reichs. Und zudem kann ich Beiträge mit einem einfachen Klick archivieren zum späteren Verzehr.

Fast scheint es mir, dass Japan plötzlich in der Online-Newswelt zu einem der Vorbilder aufsteigen könnte, wie sich mit Nachrichten auch heute noch Geld verdienen lässt. Das Tempo ist dabei schockierend. Bis vor drei Jahren haben die japanischen Tageszeitungen die Möglichkeiten bewusst ignoriert. Im mobilen Internet hatten viele Verlage zwar schon seit rund zehn Jahren ein kostenpflichtiges Mini-Angebot. Aber grundsätzlich wurde das Web behandelt wie bedrucktes Papier, Interaktivität Fehlanzeige. Und oft waren die Artikel nur Kurznews.

Warum was verschenken, haben sich die Zeitungen wohl gesagt. Und sie konnten sich das Abwarten leisten. Sie verloren zwar junge Leser an das Internet. Aber ihre extrem hohen und relativ stabilen Abo-Zahlen machen sie noch heute zu den reichsten Medienorganisationen der Welt – mit Hunderten von Journalisten, und in einigen Fällen mit eigenen Chauffeuren und Hubschraubern. Zudem sind sie weniger von Werbung abhängig als viele westliche Zeitungen: Selbst zu Zeiten des Werbebooms machten Abos die Mehrheit der Einnahmen aus, heute sind es fast zwei Drittel.

Nur um zu zeigen, wie reich viele Zeitungen sind: Japans größte Tageszeitung "Yomiuri" hat eine Printauflage von offiziell rund zehn Millionen in der Morgenausgabe, die "Asahi" folgt knapp dahinter. Und selbst die "Nikkei" ist mit drei Millionen Abonnenten für die Morgen- und mehr als einer Millionen Abos für die Abendausgabe im Weltmaßstab ein außerirdischer Gigant. Dass sie dazu oft noch mit einem TV-Sender verbunden sind, gibt ihnen noch mehr Masse.

Es brauchte schon die Weltwirtschaftskrise, um die Zeitblase platzen zu lassen, in der es sich die Verlage bequem gemacht hatten. Ironischerweise hat sich das Warten in diesem Fall gelohnt, denn nun gab es mit Smartphones und Tablets plötzlich auch mobile Geräte, mit denen das Angebot reicher Inhalte, für die man auch ohne Scham viel Geld verlangen mochte, Sinn machte. Ab 2010 begannen sie mit den Auftritten zu experimentieren und dann folgerichtig ab 2011 den unbezahlten Nachrichten den Todesstoß zu versetzen.

Dass der Umstieg offensichtlich gelingt, hat mehrere Gründe. Der traditionelle Lesehunger der Japaner gehört dazu, die starke Abo-Basis auch. Doch einer der wichtigsten Faktoren ist, dass plötzlich die in Japan konservierte alte Struktur aus der medial-analogen Steinzeit, der Verkauf von Morgen- und Abendausgabe, im Digitalzeitalter mit dem permanenten Hunger auf immer neue Nachrichten plötzlich wieder hochmodern ist.

Wenigstens die großen Zeitungen sind personell gut genug ausgestattet, um kontinuierlich selbst exklusive Nachrichten zu recherchieren und zu produzieren und nicht nur am Desk Artikel aus Agenturen zusammenzuschreiben. Die Kapazität der Zeitungen, Scoops zu produzieren, ist fantastisch. Die großen Zeitungen haben bis zu einem halben Dutzend Reporter auf wichtige Großkonzerne angesetzt, und sitzen buchstäblich in den Ministerien mit eigenen Journalisten.

Nicht, dass japanische Onlineangebote schon so erfolgreich wären, den auch in Japan stattfindenden Einnahmeschwund wettzumachen. Auch in Japan muss gespart werden. Aber das Beispiel zeigt, dass viele Menschen bereits sind, für exklusive Inhalte, die ihre Bedürfnisse befriedigen, auch Geld zu bezahlen. Und ich wette, nicht nur in Japan. (bsc)