Kritik und Unterstützung für Wikipedia

Kritisiert wird die deutschsprachige Wikipedia-Gemeinde für ihre rigide Löschpolitik. Gleichzeitig erhält die freie Online-Enzyklopädie Unterstützung der wissenschaftlichen Gemeinde.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Torsten Kleinz

Die freie Online-Enzyklopädie Wikipedia polarisiert: Längst ist die Zeit vorbei, in der die Wikipedia als unangefochtener Hort des Weltwissens galt; gerade die Entscheidungsstruktur innerhalb der Wikipedia ist immer wieder heftigen Attacken ausgesetzt. So sorgte in der vergangene Woche eine vermeintliche Löschungswelle bei Artikeln über Linux-Distributionen für Unmut in der deutschen Linux-Gemeinde. Noch unwirscher reagiert das deutsche Städteportal eins.de "Willkürliche Zensur und grenzenlose Selbstherrlichkeit" wirft Geschäftsführer Dirk Lehmann der freien Online-Community vor, weil ein Artikel zu dem Unternehmen aus der Online-Enzyklopädie entfernt wurde. Diese Löschung hat nach Ansicht des Unternehmers bemerkenswert große Relevanz: "Wikipedia hüllt sich gerne in das Deckmäntelchen der Unabhängigkeit und der Objektivität ein und verweist bei Nachfragen auf die Selbstkontrolle durch die Nutzer. Dabei wird die beinahe übermächtige Rolle der internen Wikipedia-Macher als oberste Zensurstelle verschwiegen oder zumindest verharmlost", beschwehrt sich das Unternehmen in einer Mitteilung zur Löschung der eigenen Selbstdarstellung in Wikipedia.

Aus der Sicht der Wikipedianer stellt sich die Lage freilich anders dar: Der gelöschte Eintrag über eins.de habe den Qualitätskriterien der deutschen Wikipedia-Community nicht genügt und sei von einem Administrator als Werbung gelöscht worden. Als das Unternehmen wieder einen Artikel einstellte, wurde er bei den Löschkandidaten eingetragen und sei nach kurzer Diskussion wieder als ungenügend gelöscht worden.

Dies ist in der deutschsprachigen Wikipedia nicht ungewöhnlich: Jeden Tag landen mehr als 100 Artikel auf der Liste der Löschkandidaten. Dabei ist die deutsche Wikipedia-Gemeinde wesentlich restriktiver als zum Beispiel Macher der englischsprachigen Ausgabe. So kann man im Englischen zum Beispiel ausführliche Artikel zu einzelnen Star-Trek-Charakteren finden, während die deutsche Community ihnen höchstens Platz in einem Sammelartikel einräumt. Wer nach Ansicht der Community einen Artikel verdient, wird in den Relevanzkriterien festgelegt, die allerdings nicht immer gleich ausgelegt und öfters geändert werden.

Für den wissenschaftlichen Diskurs scheint dieses Ausleseverfahren kein Hindernis zu sein. Im Rahmen des Wissenschaftsjahres 2007 setzt die Wikimedia Deutschland gemeinsam mit der Mainzer Akademie der Wissenschaften und der Literatur die "Zedler-Medaille" aus. Der mit 2500 Euro dotierte Preis soll an den Autoren des besten allgemeinverständlichen Enzyklopädie-Artikels zu einem geisteswissenschaftlichen Thema gehen. Voraussetzung ist, dass das Ergebnis der Arbeit unter einer freien Lizenz veröffentlicht wird, die die Nutzung des Textes in der Wikipedia erlaubt.

"Nach aktuellem Stand ist die Qualität vieler Artikel in der Wikipedia im naturwissenschaftlichen Bereich bereits sehr hoch. Bei den geisteswissenschaftlichen Artikeln gibt es nach Aussage von Wikimedia noch Verbesserungspotential, für das die Wikipedia auch verstärkt Autoren aus dem Wissenschaftsbereich werben möchte", erklärt Dr. Andreas Kuczera von der Mainzer Akademie. Der Preis richtet sich vor allem an Personen, die bereits als wissenschaftlich Angestellte tätig sind, aber auch Laien und Konkurrenten können an dem Wettbewerb teilnehmen.

Die Wikimedia Foundation bemüht sich schon länger um die Einbindung von Wissenschaftlern, um die Qualität der Artikel in der freien Online-Enzyklopädie zu erhöhen. So tritt Wikimedia-Gründer Jimmy Wales immer wieder bei US-Universitäten auf, um für seine Visionen einer Wissenschaftsgesellschaft zu werben. Auch die deutsche Sektion der Wikimedia ist in dem Bereich aktiv: So soll es in diesem Jahr eine Neuauflage der Wikipedia Academy geben, bei der Wissenschaftler und Wikipedianer gemeinsam über bessere Methoden der Wissensaufbereitung diskutieren. (Torsten Kleinz) / (jk)