Urheberrechtsreform: Ein kleiner Strauß Änderungen statt 3. Korb

Das Bundesjustizministerium will dem Prinzip "Fair use" als Ergänzung zu den bestehenden Nutzerfreiheiten mehr Gewicht geben, eine Regelung für verwaiste Werke vorlegen und das Urheberwahrnehmungsrecht flexibilisieren.

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Das Bundesjustizministerium will noch in der laufenden Legislaturperiode das Urheberrechtsgesetz anpassen. So werde eine Regelung zur Nutzung verwaister Werke in diesem Herbst kommen, sagte Ministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger am Mittwoch auf dem "Zukunftsforum Urheberrecht" in Berlin. Mit Hilfe von Gutachten sollen das komplexe Urheberwahrnehmungsgesetz vereinfacht und Vertragsabschlüsse zwischen Kreativen und Verwertern beschleunigt werden. Dabei werde auch darauf geschaut, was bei Verwertungsgesellschaften flexibler und transparenter gestaltet werden könne.

Bei den bestehenden Regelungen, die Nutzerfreiheiten wie die Privatkopie oder das Zitieren festschreiben, schweben der FDP-Politikerin "mehr Öffnungsfreiheiten in Richtung 'Fair use'" vor. Nach dem Prinzip aus dem angloamerikanischen Rechtsraum entscheiden nicht die "Schrankenbestimmungen", sondern letztlich Gerichte über den "fairen" Gebrauch geschützter Werke. Dabei berücksichtigen sie vor allem das Ausmaß und den Zweck der Nutzung, die Art des Werks und wie sich die Verwendung auf dessen künftige Verwertbarkeit auswirken könnte.

Trotz Widerstands aus Reihen des konservativen Koalitionspartners will die Liberale an ihrer Initiative festhalten, das Abmahnwesen einzudämmen. Als weitere Punkte nannte sie das Vorhaben der Justizminister von Bund und Ländern, ein eventuell bestehendes Ungleichgewicht bei der Störerhaftung für WLAN-Betreiber auszugleichen. Auch der "fliegende Gerichtsstand" bei Streitigkeiten um Persönlichkeitsrechte solle durch Foren mit einer Spezialzuständigkeit ersetzt werden.

Insgesamt komme "ein gewisser Strauß zusammen", konstatierte die Ministerin. Aus dem Forum habe sie die Bestätigung gezogen, "in einzelnen Schritten" voranzugehen. "Es wird nicht einen 3. Korb geben, der alle Probleme umfassend regeln kann", sprach sich Leutheusser-Schnarrenberger für eine Entflechtung des einstigen Vorhabens aus. Allein eine rechtliche Öffnung hin zum "Fair use" schätzte Stephan Wernicke vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) aber schon als "ziemlich großen Wurf" ein. Gerichte könnten dann zumindest eine Abwägung vornehmen zwischen Rechten der Urheber und der Allgemeinheit.

Netzpolitik-Blogger Markus Beckedahl warnte auf dem Forum vor einer "Privatisierung der Rechtsdurchsetzung", durch die der Internetverkehr verstärkt durchschnüffelt werde und die Wirtschaft in Eigenregie "Hadopi-Warnungen" verschicke. Er plädierte dafür, den Versuch der Initiative C3S (Cultural Commons Collecting Society) zu fördern, eine "alternative GEMA" aufzubauen. Um die Tauschkultur zu unterstützen, sollte der Staat "mehr seiner eigenen Materialien unter offenen Lizenzen zur Verfügung stellen". Bisher herrsche hier eine große Rechtsunsicherheit. Am beste setze das Justizressort gleich auf Open Access, erwiderte Leutheusser-Scharrenberger halb scherzhaft. Ein Sprecher der Ministerin erläuterte gegenüber heise online, dass alle Materialien des Hauses für nicht gewerbliche Zwecke frei genutzt werden könnten. Man prüfe, ob eine entsprechende Creative-Commons-Lizenz zur Verdeutlichung dieses Prinzips in Frage komme.

Der Präsident der Akademie der Künste, Klaus Staeck, hatte zuvor eine grundsätzliche Urheberrechtsreform eingefordert. Diese müsse es Anbietern ermöglichen, "realisierbare Geschäftsmodelle zu entwickeln, die Erträge abwerfen". Dabei sei die "Mitsprache der Urheber" über Nachbesserungen beim Vertragsrecht und Vergütungsregeln zu stärken. Die Ausführungen dazu im "2. Korb" der Urheberrechtsnovelle griffen genauso wenig wie die zur vermeintlichen Vereinfachung "unbekannter Nutzungsarten". Aber auch die Verbraucher müssten "mitgenommen" werden; ihnen müsse sich der Sinn urheberrechtlicher Bestimmungen besser erschließen.

Thomas Mosch, Mitglied der Geschäftsleitung der Hightech-Vereinigung Bitkom, meinte, die meisten Nutzer seien bereit, für digitale Angebote zu bezahlen, wenn sie bequem mit angemessenem Service und Preis beansprucht werden könnten. Allein die Lizenzverhandlungen mit der Musikverwertungsgesellschaft GEMA für Streaming-Modelle wie Spotify hätten aber sieben Jahre gedauert. Bei Film und Fernsehen bremsten unterschiedliche Auswertungsfenster sowie das Kartellamt zusätzlich die Entwicklung, während bei E-Books das Angebot zu klein sowie teils zu restriktiv sei und der Preis als zu hoch empfunden werde.

Für eine Vereinbarung im Online-Sektor analog zum "Senderecht" im Rundfunk plädierte Tim Renner von Motor Entertainment. Der frühere Chef von Universal Music Deutschland will zudem die Verwertungsgesellschaften von Fesseln wie dem Vereinsrecht befreit und in ihrem Lager mehr Wettbewerb sehen. Als "ärgerlich" bezeichnete er es, "wenn die Content-Industrie die Kreativen in eine Art Bündelhaft nimmt". So gehörten 80 Prozent von Spotify mittlerweile den großen Labels. Sollte der Dienst an die Börse gehen, werde so kein Cent davon bei den Künstlern ankommen.

"Das Massenverhalten auf den Schulhöfen werden wir nicht mit dem Strafrecht und Abmahnungen ändern", unterstrich ZDF-Justiziar Peter Weber. Auch "bestimmte Extreme wie Internetsperren" seien genauso abzulehnen wie "Flatrate-Vorstellungen", die exklusive Verwertungsrechte komplett aushebelten. So bliebe es, über Warnhinweise nachzudenken. Der Filmkomponist Micki Meuser fühlte die Kreativen bei dieser "sanfteren Art" ebenfalls "vom Justizministerin allein gelassen". Die meisten Verluste entstünden den Urhebern aber nicht durch illegales Filesharing, sondern aufgrund einer "ganz anderen Sichtweise" der IT-Branche, was den Kreativen an Vergütungen zustehe.

"Plattformen wie Facebook oder YouTube profitieren enorm von den Urheberrechtsverletzungen der Nutzer", sagte Christian Solmecke von der Kölner Kanzlei WBS. Arndt Haller, Leiter der für Nordeuropa zuständigen Rechtsabteilung bei Google, konstatierte dagegen: "Der Schutz von Inhalten ist in unserem eigenen Interesse." Google setze daher Vorgaben des US-amerikanischen Copyrights um. Dabei können sich Rechteinhaber bei Verletzungen an den Internetkonzern wenden, inkriminierte Inhalte würden dann heruntergenommen. Angesichts einer millionenfachen Nutzung dieses Mechanismus' müsse aber genau geschaut werden, ob das System nicht zuviel Missbrauch ermögliche.

Ein Heise-Artikel sei wegen eines wild gewordenen Microsoft-Bots bei Google bereits rausgeflogen, brachte Jörg Heidrich, Justiziar des Heise Zeitschriften Verlags, ein Beispiel für entsprechende Fehlentwicklungen. Akuten gesetzgeberischen Bedarf im Urheberrechtsbereich sah er nicht, da sonst voraussichtlich drohende Verschärfungen die Pressefreiheit nur weiter gefährdeten. (anw)