Crowd statt KI

Das Chat-System Chorus soll mit Hilfe menschlicher Antwortgeber die Schwächen herkömmlicher Smartphone-Assistenten überwinden.

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Von
  • Tom Simonite

Das Chat-System Chorus soll mit Hilfe menschlicher Antwortgeber die Schwächen herkömmlicher Smartphone-Assisten überwinden.

Smartphone-Assistenten haben eine neue Stufe der Mensch-Maschine-Kommunikation mittels Sprache eingeläutet. Von echten Gesprächen mit Menschen sind die Frage-Antwort-Spielchen - etwa mit der Apple-Software Siri - jedoch noch weit entfernt. Forscher der University of Rochester wollen den Dialog nun mit einem Hybrid-System Verbessern: einem künstlichen Chat-Partner, der mit Inhalten menschlicher Zuarbeiter gefüttert wird. Die Sprachverarbeitung wird um ein Crowdsourcing ergänzt, wie es etwa auch Amazons Dienst Mechanical Turk einsetzt.

Das „Chorus“ genannte System soll Nutzern das Gefühl vermitteln, mit einem Menschen zu kommunizieren. Der Trick dahinter: Bevor Chorus auf eine Frage antwortet, legt es den Crowd-Mitarbeitern zehn bis zwanzig mögliche Antworten vor. Die Mitarbeiter bewerten, wie treffend sie die Antworten finden. Für jeden Bewertungsvorgang bekommen sie ein paar Cent gezahlt.

Die Forscher testeten das System bereits als Reiseberatung. Testpersonen fragten Chorus beispielsweise nach guten Restaurants in Los Angeles und New York. Wenn sie auf die Vorschläge mit Sätzen wie „Hmmm, das ist aber ganz schön teuer“ reagierten, schlug die Crowd im Hintergrund rasch neue Restaurants vor. KI-Systeme wie Siri haben hingegen mit solchen spontanen Einwürfen Probleme, erst recht, wenn die in einem Alltagsjargon formuliert sind.

Die Antworten der Crowd erwiesen sich dabei als treffsicherer als die Einzelantworten eines Mitarbeiters. Im Durchschnitt waren an jeder Antwort sieben Crowd-Mitglieder beteiligt. „Der Test zeigt, wie ein Crowd-basiertes System etwas leisten kann, womit sich die Künstliche-Intelligenz- Forschung seit Jahrzehnten schwer tut“, sagt KI-Forscher Jeffrey Bigham, der Chorus mitentwickelt hat. Das System würde wohl den Turing-Test eher bestehen als jede herkömmliche Chat-Software, witzelt Bigham. In dem von dem britischen Mathematiker Alan Turing 1950 vorgeschlagenen Test müssen Personen in einem rechnergestützten Dialog entscheiden, ob sie mit einem versteckten Menschen oder einem Computer kommunizieren.

Neben Bigham haben die Rochester-Forscher Walter Lasecki und Rachel Wesley sowie der Gründer der Crowdsourcing-Firma MobileWorks, Anand Kulkarni, an Chorus gearbeitet. Sie wollten bisherige Crowdsourcing-Anwendungen wie das Verschlagworten von Bildern erweitern. „Uns interessiert dabei, wann eine Crowd als Kollektiv besser ist als selbst ein einzelner menschlicher Experte“, sagt Bigham.

Chorus integriert hierfür drei verschiedene Arten von Aufgaben. Jede Äußerung eines Nutzers wird an eine größere Zahl von Crowd-Mitarbeiter weitergeleitet, die Antworten vorschlagen. Die werden dann bewertet, um die finale Antwort zu finden, die der Nutzer zu lesen bekommt. Und drittens legt das System eine Historie eines jeden Gesprächsfadens an, um weitere Antworten in den richtigen Kontext zu stellen. Hierfür müssen die Crowd-Mitarbeiter Listen mit jeweils acht Informationsschnipseln pflegen, die gerade in der Diskussion sind.

Dieses Auflisten dient auch dazu, damit neu dazugeschaltete Crowd-Mitarbeiter in laufende Chats einsteigen können. „Keine Person wird immer einer kompletten Konversation folgen, die Mitarbeiter schalten sich zu oder weg“, sagt Bigham.

Für ihn ist Chorus mehr als nur ein hübsches Technologie-Demo. „Wir wollen es auf jeden Fall in reale Systeme einbauen“, bekräftigt Bigham. Ein Crowd-basiertes System könnte sich etwa als Assistent für Menschen mit Wahrnehmungsschwächen eignen. Denkbar sei aber auch, es als kollektive Steuerung von Robotern einzusetzen, die dann intelligenter mit Menschen umgehen.

Michael Bernstein von der Stanford University hält solche praktischen Anwendungen für machbar. „Wenn ich heute AT&T anrufe, werde ich mit einem einzelnen Service-Mitarbeiter verbunden“, so Bernstein. „In Zukunft könnte eine Crowd aus Leuten mit vielen verschiedenen Fähigkeiten einen unglaublich intelligenten Technik-Support bilden.“ Chorus könnte wie ein echter Experte agieren, wenn einlaufende Anfragen auch noch an die Crowd-Mitglieder geleitet werden können, die über Spezialwissen verfügen.

Hierfür müssten aber mehr Bewertungsschritte in den Antwortmechanismus eingebaut werden, fügt Bernstein hinzu. Sonst laufe das System Gefahr, bei schwierigen Fragen zu einer „gespaltenen Persönlichkeit“ zu werden. Im Test des Crowd-gesteuerten Roboters war genau das passiert: Die Hälfte der Mitarbeiter votierte, ein Hindernis rechts zu umfahren, die andere Hälfte wollte den Weg linksherum nehmen. Das zumindest würde einem KI-Assistenten wie Siri wohl nicht passieren.

(nbo)