Der Sprit ist aus

Im sächsischen Freiberg sollte die weltweit erste industrielle Produktion von Biokraftstoffen der zweiten Generation starten. Doch seit Juli 2011 ist Choren pleite. Woran scheiterte das Vorzeigeprojekt?

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Von
  • Udo Flohr

Im sächsischen Freiberg sollte die weltweit erste industrielle Produktion von Biokraftstoffen der zweiten Generation starten. Doch seit Juli 2011 ist Choren pleite. Woran scheiterte das Vorzeigeprojekt?

Die Idee bleibt bestechend: Diesel, hergestellt aus schnell wachsenden Bäumen, aus Abfallholz oder einfach aus Stroh. Ein Biotreibstoff also, der nicht aus Nahrungsmitteln gemacht wird und darum auch keine "Tank oder Teller"-Diskussionen hervorruft. Der bei gleichem Energiegehalt reiner als fossile Treibstoffe ist und darum eine bessere Verbrennung mit weniger Emissionen garantiert. Dieser Biokraftstoff der "zweiten Generation" verspräche zudem 4000 Liter Ausbeute pro Hektar Anbaufläche, dreimal mehr als beim herkömmlichen Biosprit aus Mais oder Raps üblich.

Photosynthetisch in Pflanzen gespeicherte Sonnenenergie zu Flüssigtreibstoff umwandeln – das möchten Hunderte Projekte weltweit. Lange sah es dabei so aus, als hätte die Freiberger Choren GmbH den Königsweg gefunden: Die Bundeskanzlerin pries die industrielle Pilotanlage bei der Einweihung im April 2008 als "Schmuckstück", und mit VW und Daimler waren Top-Adressen aus der Autoindustrie als Gesellschafter an Bord. Selbst die Ölbranche zeigte Interesse: Shell hielt 32 Prozent der Anteile.

Alle setzten große Hoffnungen auf Chorens dreistufiges "Carbo-V-Verfahren", das Holz in Synthesegas verwandelt. Ein von Franz Fischer und Hans Tropsch 1925 entwickeltes – und seit dem Zweiten Weltkrieg bewährtes – Syntheseverfahren macht daraus Diesel, CO2-neutral, wasserklar und wegen der effizienteren Verbrennung bis zu 55 Prozent schadstoffärmer als die fossile Konkurrenz.

Choren-Gründer Bodo Wolf, einst Kohlehauer unter Tage, inzwischen promovierter Verfahrenstechniker, hatte bis zur Wende das zentrale Energieforschungszentrum der DDR geleitet und dort auch über synthetische Kraftstoffe nachgedacht. 1990 begann er mit einigen Mitarbeitern, die Firma Choren aufzubauen. Als er 2004 eine Schar illustrer Geldgeber – darunter den ehemaligen Rheinmetall- und MBB-Chef Hanns Arnt Vogels – begeistern konnte, schien der Durchbruch gelungen. Doch bereits 2005 stieg Wolf aus dem Firmenprojekt aus – angeblich, weil er eine eher bescheidene Kooperation mit einem ehemaligen Gaskombinat favorisierte. Seine neuen Teilhaber aber bestanden auf der ambitionierteren Eigenproduktion von "SunDiesel".

2008 weihte Angela Merkel die Anlage für den industriellen Probelauf ein, die "Beta-Anlage". Doch die Inbetriebnahme verschob sich immer wieder. Abwechselnd hakten Förderbänder, Ventile und die Software. Als der Verlust im Jahr 2009 auf 42 Millionen Euro gestiegen war, stieg Shell aus. Die übrigen Investoren schossen allein zwischen 2009 und 2011 neunmal Geld nach. Bis zu 180 Millionen Euro soll Choren verschlungen haben, darunter über 30 Millionen öffentliche Fördergelder. Etwa die Hälfte des privaten Geldes stammte von Michael Saalfeld, dem Gründer des Öko-Energieversorgers LichtBlick. Im Sommer 2011 verlor auch er die Geduld – wegen eines streikenden Holzschnitzel-Rührwerks konnte Choren sein letztes Ultimatum nicht einhalten und musste am 9. Juli Insolvenz anmelden.

In einem Beitrag des ARD-Magazins "plusminus" erhoben Experten daraufhin schwere Vorwürfe. Mit geschönten Zahlen habe das Unternehmen Wirtschaftlichkeit vorgetäuscht. "Choren hat die Komplexität der technischen Anlagen unterschätzt", erklärte Martin Kaltschmitt, Professor am Institut für Umwelttechnik und Energiewirtschaft der TU Hamburg-Harburg, in dem Beitrag. Die Freiberger Anlage habe immer nur geringe Mengen Kraftstoff "für Marketingzwecke" erzeugt. Letzteres hat Choren allerdings auch nie bestritten. "Eine chemietechnische Großanlage lässt sich eben nur abschnittsweise in Betrieb nehmen", erklärt Sven Petersen, der kurz vor Chorens Ende als technischer Geschäftsführer eingestellt wurde. Die Beta-Anlage habe durchaus Synthesegas erzeugt, den für die Fischer-Tropsch-Synthese unabdingbaren stabilen Gasstrom jedoch nicht sicherstellen können.

Chorens bereits seit 2003 funktionsfähige "Alpha-Anlage" produzierte aber immerhin 20 Tonnen SunDiesel, den verschiedene Autohersteller erfolgreich testeten. Ein Audi-Fahrzeug gewann damit sogar einmal das 24-Stunden-Rennen von Le Mans.

Robert Rapier, international renommierter Biosprit-Experte, konnte bei Choren keine prinzipiell unlösbaren Probleme ausmachen. Der Teufel steckte seiner Ansicht nach eher in der industriellen Umsetzung: "Nehmen wir an, Sie können einen Truthahn zubereiten – das kriegt nicht jeder hin. Nun stellen Sie sich vor, Ihren Backofen so hochzuskalieren, dass er 1000 Truthähne pro Stunde verarbeitet. Da stoßen Sie auf Schwierigkeiten, die Sie vorher nie für möglich gehalten hätten."

Dem "plusminus"-Bericht zufolge könnte dem Management aber noch ein weiterer Fehler unterlaufen sein: Choren habe mit Rohstoffkosten von 40 bis 60 Euro pro Tonne Holz kalkuliert. Der Marktpreis bewege sich aber um 80 Euro pro Tonne – mit klarer Tendenz in Richtung 100 Euro, so Armin Vetter von der thüringischen Landesanstalt für Landwirtschaft gegenüber dem MDR. Bei Choren dachte man deshalb unter anderem über eine Produktion in waldreichen Gebieten Nordamerikas nach. "Früher oder später hätten steigende Ölpreise das Choren-Verfahren wirtschaftlich tragfähig gemacht", resümiert Robert Rapier.

Ähnliche Überlegungen mag auch die Linde AG angestellt haben, als sie Anfang Februar 2012 die Rechte an der Choren-Technologie erwarb. Als "Vice President Carbon and Energy Solutions" verpflichtete Linde Engineering Dresden Chorens ehemaligen Technikchef Sven Petersen. In aller Ruhe wolle man nun die Technologie zur Marktreife weiterentwickeln, so Petersen. Ob und wie schnell es klappt, ist zwar unsicher. Sicher aber ist für Petersen: Bedarf besteht. "Auf absehbare Zeit werden Flugzeuge weder mit Batterien noch mit Wasserstoff fliegen können." Er setzt daher auf Biokerosin. (bsc)