Wasserstoff marsch

Ingenieure tüfteln an neuen Verfahren, mit denen sich Wasserstoff wirtschaftlich und klimafreundlich herstellen lässt.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 26 Kommentare lesen
Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Frank Grotelüschen

Ingenieure tüfteln an neuen Verfahren, mit denen sich Wasserstoff wirtschaftlich und klimafreundlich herstellen lässt.

Wer mit René Müller über das Betriebsgelände der Linde AG geht, bekommt ein Gefühl dafür, wie sich die Kräfteverhältnisse künftig verschieben könnten. Der erste Blick fällt auf einen gigantischen Ofen, groß wie ein Bürohaus, umrankt von unzähligen Röhren und Ventilen. "Unser Dampfreformer", erklärt Müller. "Die Anlage macht 35000 Kubikmeter Wasserstoff – pro Stunde." Ihr Nachteil: Der Rohstoff für das System ist Erdgas, also ein fossiler Energieträger. Dann zeigt der Betriebsleiter auf drei unscheinbare Container neben dem Koloss. "Unsere Pilotanlage schafft zwar nur 50 Kubikmeter Wasserstoff. Aber dieser Wasserstoff ist grün." Denn als Ausgangsstoff dient pflanzliches Glycerin, das bei der Biodiesel-Produktion abfällt. Die neue Technik, von Linde in Leuna entwickelt, könnte eines Tages Hunderttausende von Brennstoffzellen-Autos mit klimafreundlichem Treibstoff versorgen.

Industriell wird Wasserstoff bislang aus Erdgas gewonnen. Er dient als Hilfsstoff für Ölraffinerien, Chemiekonzerne und Papierhersteller. Aber das Gas gilt auch als möglicher Treibstoff für künftige Autos. Nutzt man es in einer Brennstoffzelle, kommt nichts als purer Wasserdampf aus dem Auspuff. Allerdings steht das Konzept noch am Anfang: Bislang rollen zwecks Testbetrieb nur rund hundert Brennstoffzellen-Karossen durch Deutschland, die meisten davon auf Basis der Mercedes B-Klasse. Für das Jahr 2014 visiert Daimler die Serienfertigung an. Das Manko: Heute wird der Großteil des Wasserstoffs aus Erdgas gewonnen, und dabei wird CO2 frei. Klimaneutral wäre der Treibstoff nur, würde er grün erzeugt – also mithilfe von regenerativen Energien. Bisher setzt die Fachwelt dazu vor allem auf die Elektrolyse von Wasser. Das Prinzip: Ein aus feinsten Membranen bestehender Elektrolyseur spaltet das Wassermolekül in seine Bestandteile Sauerstoff und Wasserstoff. Der nötige Strom kommt aus Windrädern, Solarzellen und Wasserkraftwerken. Die Technik ist allerdings teuer, grüner Wasserstoff kostet deutlich mehr als konventioneller.

Deshalb testet Linde eine Alternative: Mit seiner Leunaer Pilotanlage erzeugt das Unternehmen seit letztem Herbst den Wasserstoff nicht elektrisch, sondern chemisch. Basis ist Glycerin, das bei der Biodiesel-Produktion anfällt – immerhin 100 Kilogramm je Tonne Biodiesel. Pro Jahr kommen in Deutschland rund 250000 Tonnen Rohglycerin zusammen. Nur ein kleiner Teil findet in der Pharmaindustrie Verwendung; der Rest landet in Biogasanlagen oder wird anderweitig entsorgt.

René Müller öffnet die Tür zum größten der drei Container – dem Herz der Pilotanlage. Zwei übermannshohe, blau lackierte Tonnen beherrschen den Raum und heizen ihn auf mollige Temperaturen. "Das sind Öfen, in denen es bis zu 840 Grad heiß ist", erklärt Müller. Durch ein Guckloch sind rot glühende Rohrschlangen sichtbar. In diese Glut pressen Pumpen ein Gemisch aus Wasserdampf und vorgereinigtem Rohglycerin. Sekundenschnell durchläuft das Gas die heißen Rohre, heraus kommt ein Cocktail zum Teil komplexer Kohlenwasserstoff-Verbindungen.

Diese Mixtur wird in den zweiten Ofen geleitet. Hier spaltet ein Katalysator die Moleküle in einfachere Verbindungen: Methan, Kohlenmonoxid, CO2 – und 66 Prozent Wasserstoff. Das Methan lässt sich nach Abtrennen des Wasserstoffs verwerten, etwa um die Öfen der Anlage zu befeuern. "Da stecken viele Entwicklungsstunden drin", sagt Müller. "Die Gase dürfen nicht zu lang in den Öfen bleiben, sonst bildet sich Ruß, der die Anlage verstopft." Am Ende wird der Wasserstoff gereinigt und zu Tankstellen in Berlin und Hamburg transportiert. "Die Erfahrungen sind gut, die technische Machbarkeit ist nachgewiesen."

Laut einer TÜV-Analyse kann das neue Verfahren im kommerziellen Großmaßstab gegenüber fossil erzeugtem Wasserstoff bis zu 80 Prozent CO2-Emissionen einsparen. Pro Stunde fließen 50 Kilogramm Glycerin durch den Prototyp. Heraus kommen vier Kilogramm Wasserstoff – eine Tankfüllung für ein Brennstoffzellen-Auto mit 400 Kilometern Reichweite. Theoretisch ließen sich mit den 250000 Tonnen Glycerin, die jährlich bei der Biodiesel-Herstellung anfallen, 200000 Brennstoffzellen-Autos antreiben. "Wir könnten auch andere Glycerin-Arten verwerten, die in der Industrie als Abfallprodukt anfallen", sagt René Müller. "So denken wir über eine Versuchsreihe mit Fischöl nach." Als nächster Schritt ist eine zehnmal größere Demonstrationsanlage geplant. In großem Maßstab einsatzreif dürfte das Verfahren jedoch erst in einigen Jahren sein. Klar ist: Je größer die Anlage wäre, desto effizienter würde sie arbeiten. "Zu welchen Kosten der Wasserstoff dann herstellbar ist, lässt sich derzeit aber noch nicht sagen", meint Müller.

Der große Nachteil des Verfahrens: Sein Potenzial ist begrenzt, es gibt schlicht nicht genug Glycerin, um Millionen von Autos damit fahren zu lassen. Daher arbeiten Ingenieure auch weiter an der Elektrolyse von Wasser. Im letzten Oktober weihte das Energieunternehmen Enertrag im brandenburgischen Prenzlau das weltweit erste Wasserstoff-Hybridkraftwerk ein: Drei Rotoren speisen überschüssigen Windstrom in einen Elektrolyseur, der Wasserstoff erzeugt und in Drucktanks speichert. Ein Teil des Gases wird bei Flaute zurück in Strom umgewandelt, der Rest zu einer Wasserstoff-Tankstelle in Berlin verfrachtet.

"Die Tests waren positiv, jetzt läuft die Anlage im kommerziellen Dauerbetrieb", sagt Enertrag-Vorstand Werner Diwald. "Seit April liefern wir alle zwei Wochen 200 Kilogramm Wasserstoff nach Berlin." Bis zur Wasserstoff-Herstellung in großem Maßstab ist allerdings noch einiges an Wegstrecke zurückzulegen. Um eine Million Brennstoffzellenautos zu versorgen, bräuchte man rund 1000 Turbinen der 2,5-Megawatt-Klasse.

Das zweite derzeitige Hindernis ist der Preis. "Wir können Wasserstoff aus Windstrom für acht bis neun Euro pro Kilogramm herstellen", sagt Diwald. Mit optimierter Technik könne die Summe zwar auf sechs bis sieben Euro sinken. Hinzu kämen dann aber immer noch Steuern und Vertriebskosten, sodass der Autofahrer an einer Wasserstoff-Tankstelle rund 15 Euro fürs Kilogramm berappen müsste, mit dem er dann 100 Kilometer weit fahren kann. Diwald ist jedoch überzeugt: "Ab 2025 dürfte das absolut wettbewerbsfähig sein, weil Diesel und Benzin dann mehr als zwei Euro pro Liter kosten dürften."

Ähnlich sieht die Kalkulation bei einer weiteren Produktionsmethode für grünen Wasserstoff aus – der Herstellung mit Sonnenenergie. Anfang März hat das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE in Freiburg eine sonnenbetriebene Wasserstoff-Tankstelle eingeweiht. Nicht nur das Tankstellendach, sondern auch zwei Nachbargebäude sind mit Solarzellen gepflastert. Zusammen leisten sie bis zu 50 Kilowatt und speisen einen Elektrolyseur, der am Tag zwölf Kilogramm Wasserstoff liefert.

Wollte man mit Sonnenkraft eine Million Brennstoffzellen-Autos antreiben, müsste man auf ebenso viele Einfamilienhäuser Solaranlagen schrauben. Deren Strom würde dann ausschließlich zur Wasserstoff-Produktion genutzt. Doch das ist gar nicht die Vision der Experten: "Es ist das erklärte Ziel, eines Tages den gesamten Strom in Deutschland regenerativ zu erzeugen", sagt ISE-Forscher Christopher Hebling. "Dann müsste man den Strom für den grünen Wasserstoff nicht durch Insellösungen erzeugen, sondern könnte ihn einfach aus dem Netz nehmen."

An den Netzknoten würden Tausende von Elektrolyseuren stehen, die immer dann Wasserstoff erzeugen, wenn Rotoren und Solarzellen mehr Strom liefern als gerade benötigt. Von diesen Elektrolyseuren wird einiges abhängen: Denn noch sind die Wasserspalter zu teuer und oft nur als Kleinanlage realisierbar. Bis die Technik marktfähig ist, wird das Glycerin-Verfahren von Linde – trotz aller Mengenbeschränkungen – möglicherweise eine tragende Rolle spielen. Gegen Ende dieses Jahrzehnts könnte es durchaus in der Lage sein, mehr als hunderttausend Brennstoffzellen-Autos mit bezahlbarem Wasserstoff zu versorgen. (bsc)