Start-up-Feeling für Supermärkte

Die Walmart Labs im Silicon Valley sollen für den US-Einzelhandelsriesen Technologien entwickeln, die Walmart endgültig ins Internet-Zeitalter bringen – und den Abstand zum Online-Konkurrenten Amazon verringern.

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Von
  • Jessica Leber

Die Walmart Labs im Silicon Valley sollen für den US-Einzelhandelsriesen Technologien entwickeln, die Walmart endgültig ins Internet-Zeitalter bringen – und den Abstand zum Online-Konkurrenten Amazon verringern.

In der Lobby der Walmart Labs erinnert ein Wegweiser daran, wie weit das Hauptquartier des US-Einzelhandelsriesen entfernt ist: 1849 Meilen – 2975 Kilometer. Das ist nicht nur geografisch gemeint. In dem schlichten Bau vor den Toren San Franciscos herrscht eine Atmosphäre, die eher an die Innovationsschmieden von Google oder Facebook erinnert. Kleine Teams, von Internet-Veteranen organisiert, arbeiten hier zielstrebig an ihren Projekten, unterbrochen nur von der einen oder anderen Partie Tischtennis. Der Kontrast zu der wenig glamourösen Aura der über 10.000 Walmart-Filialen in aller Welt könnte größer kaum sein. Das passt zur Mission der Labs: Sie sollen von Grund auf neue „Kerntechnologien“ entwickeln, die Walmart endgültig im Internet-Zeitalter ankommen lassen.

Das ist auch nötig, denn die Konkurrenz durch den Online-Handelsriesen Amazon macht Walmart zu schaffen. Während dieser 50 Milliarden Dollar im Jahr umsetzt, schafft Walmart mit seinem Online-Angebot nur neun Milliarden. Auch die Kunden haben ihre Gewohnheiten geändert, mittels Apps stellen sie ihre Einkaufslisten zusammen, finden Schnäppchen, bestellen ihre Produkte. Walmart muss reagieren – und herausfinden, wie sich soziale Netzwerke und mobiles Internet in das klassische Einzelhandelsgeschäft vor Ort integrieren lässt.

Das erste Zeichen dafür, was Walmart vorhat, ist die im August gestartete Suchmaschine Polaris. Anstatt sie von einem IT-Dienstleister einzukaufen, wurde sie von den Walmart Labs selbst entwickelt. Polaris setzt Algorithmen für die semantische Suche ein. Die können anhand des Kontextes beispielsweise unterscheiden, ob mit dem Begriff „flach“ Schuhe mit flachen Absätzen oder Flachbildschirme gemeint sind. Polaris habe die Anzahl der Online-Einkäufe, denen eine Suche voranging, bereits um 10 bis 15 Prozent gesteigert, gibt Walmart an.

Den Kern der im April 2011 gestarteten Walmart Labs bilden die 50 ehemalige Mitarbeiter von Kosmix. Der Einzelhandelskonzern hatte das Start-up gekauft, um auf dessen Expertise bei natürlichsprachigen Algorithmen und personalisierter Suche aufzubauen. Die Technologie, die Vize-President und Ex-Kosmix-Manager Sri Subramaniam mit dem „Knowledge Graph“ von Google vergleicht, bildet einen wichtigen Bestandteil der neuen Suchmaschine Polaris. Inzwischen arbeiten etwa 400 Ingenieure und Entwickler für die Walmart Labs, an den Standorten San Bruno in Kalifornien und Bangalore in Indien.

Dort treiben sie Projekte voran wie ein Empfehlungssystem für personalisierte Walmart-Kundenseiten oder ein System, das aus dem Kurznachrichtendienst wichtige Einkaufstrends herausfiltert. Kundendaten aus den Filialen sollen außerdem mit der Online-Welt verknüpft werden. Die Einblicke, die dabei möglich würden, seien enorm, schwärmt der verantwortliche Projektleiter Chris Bolte.

Praktisch umgesetzt wurden die ersten Erkenntnisse kürzlich in einem Test mit einem E-Mail-Verteiler, der Millionen Kunden erreicht. Die Walmart-Forscher stimmten die täglichen Kaufempfehlungen auf die lokale Wettervorhersage für den Wohnort eines Kunden ab. Gerade bei schlechtem Wetter änderten die Menschen ihr Kaufverhalten häufig, sagt Bolte.

Walmart will aber nicht nur auf bessere Online-Technologien setzen. In einer neu eröffneten Filiale in San José kann die Belegschaft experimentieren, wie sich Online- und Offline-Einkäufe verbinden lassen. Viele Kunden recherchieren nämlich im Web oder auf Facebook ihre Besorgungen, um dann die gewünschten Dinge in einem höchst realen Geschäft zu kaufen. So ganz geheuer ist Walmart diese neue Shoppingwelt aber noch nicht: Vor einigen Monaten nahm es den Kindle, den Tablet-Rechner von Amazon, aus dem Angebot, weil die Kunden damit nach günstigeren Angeboten bei der Konkurrenz suchen könnten.

Andererseits orientiert sich Walmart auch an Amazon. Anfang Oktober kündigte der Konzern nach dem Vorbild des großen Online-Händlers an, Bestellung noch am selben Tag zu liefern. Die großen Walmart Stores könnten sich damit langfristig auch zu Auslieferungslagern wandeln. Mit der App „Endless Aisle“ (was sich mit „endlose Regalreihe“ übersetzen ließe) können Walmart-Kunden bereits den Strichcode von vergriffenen Produkten einscannen und diese sofort online bestellen.

Subramaniam lobt, dass Walmart nach der Übernahme von Kosmix dessen Start-up-Atmosphäre in den Labs bewahrt habe. Dazu gehört auch, nicht jede Eigenentwicklung als geschlossene, proprietäre Technologie einzusetzen. So konnte Subramaniam vor kurzem eine noch von Kosmix begonnene Software-Entwicklung als Open-Source-System veröffentlichen. Auf diese Weise hofft Walmart, im Silicon Valley Glaubwürdigkeit zu gewinnen und talentierte Entwickler aus der Open-Source-Gemeinde anzuwerben. Die wird der Konzern auch brauchen, um sein Ziel zu erreichen, das auf einer Werbetafel am Highway 101 prangt: „Wir verändern die Art und Weise, wie die Menschen einkaufen. 1.000.000.000 auf einmal.“ (nbo)