Deutschlands Sicherheitsarchitektur auf dem Prüfstand

Soll ein Republikschutz bei der politischen Polizei den Verfassungsschutz ersetzen? Müssen Informationen gegen Cybercrime schneller zirkulieren? Bei einer Tagung der Polizeigewerkschaft stand auch die Trennung von Polizei und Geheimdiensten in Frage.

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Von
  • Detlef Borchers

Ist ein Verfassungsschutz, der im Fall des Nationalsozialistischen Untergrunds in die falsche Richtung ermittelte, noch sinnvoll oder sollte er abgeschafft und durch einen gefahrenbezogenen Republikschutz bei der politischen Polizei ersetzt werden? Müssen Informationen im Zeitalter von Cybercrime und Cyberwar viel schneller zirkulieren? Mit diesen Frage beschäftigte sich die Deutsche Polizeigewerkschaft auf ihrer Fachtagung Sicherheitsarchitektur auf dem Prüfstand (PDF-Datei).

Zur Eröffnung der Tagung in der niedersächsischen Landesvertretung zu Berlin sprach als Hausherr der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann (CDU) deutliche Worte. Er nannte die Forderung der niedersächsischen Grünen nach der Abschaffung des Landesamtes für Verfassungsschutz "völlig widersinnig". Die dann zur Debatte stehende Alternative, das Trennungsgebot zu vergessen und einen polizeilichen Nachrichtendienst aufzubauen, sei politisch derzeit nicht durchsetzbar. Der Verfassungsschutz als Spezialist für die Nachrichtenbeschaffung müsse stärker auf das Internet ausgerichtet werden, in dem sich die Radikalisierungsprozesse von Links- und Rechtsterroristen sowie Islamisten abspielten. Jedes Bundesland müsse für all diese Spielarten Terrorabwehrzentren errichten, in denen die Informationen schneller verteilt werden. Außerdem müsse die Industrie stärker in die Zusammenarbeit eingebunden werden. "Ich war in dem IBM-Labor in Kassel und schwer beeindruckt, was dort in Sachen Analyse und Vorhersage geleistet wird. Wir müssen uns in der Zusammenarbeit diese Ressourcen sichern", erklärte Schünemann zu der Arbeit des in Kassel stationierten X-Force Team Europa.

Neben der Berliner Verfassungsschutz-Chefin Claudia Schmid sprach sich auch der CDU-Sicherheitspolitiker Clemens Binniger gegen die Abschaffung des Verfassungsschutzes aus. Binniger berichtete ausführlich von der Arbeit des NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestages und versuchte, die erkannten Defizite der Behörden zu benennen. Er sah sie vor allem darin, dass die Hypothesen der operativen Fallanalytiker immer von lokalen Tätern ausgingen und in der mangelhaften Datenspeicherung und Vernetzung: "Wir haben in Deutschland keine Datei, in der unbekannte Fälle, ungeklärte Fotos und Videos gespeichert sind und in der man nach Gemeinsamkeiten wie dem Radfahren der Täter nach einem Mord, Banküberfall oder dem Anbringen eines Sprengsatzes suchen könnte. Wir brauchen eine Verbund- oder Sammeldatei aller ungeklärten Fälle."

Weil zum Aufgabengebiet des Verfassungsschutzes Wirtschaftsspionage und Cybercrime gehört, referierte Arne Schönbohm, Präsident des frisch gegründeten Cyber-Sicherheitsrat e.V. (PDF-Datei) über die Herausforderung der Cyberkriminalität. Er machte darauf aufmerksam, dass die Bekämpfung der Cyberkriminalität Ländersache sei und bedauerte, dass die zuständigen Landes-CIOs als Staatssekretäre sich nur "nebenberuflich" mit dem Thema beschäftigen. Hier müssten IT-Profis zum Einsatz kommen. Unter Verweis auf einen Vorfall in Thüringen forderte Schönbohm ähnlich wie Schünemann eine stärkere Einbindung der Industrie in die Ermittlungen. "Der Staat ist überfordert, er muss auf das Know-How der Wirtschaft zugreifen, sonst verliert er den technologischen Wettlauf." Die Forderungen an den Staat, einen Bundestrojaner selbst zu entwickeln, entsprächen der Forderung an die Polizei, selbst ihre Streifenwagen zu bauen.

Als geladener Vertreter der Medien kam der Terrorexperte Elmar Theveßen vom ZDF zu Wort. Er ermahnte alle Beteilgten, dass die Deradikalisierung der Extremisten eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sei, bei der Polizei, Verfassungsschutz, Sozialbehörden und Wirtschaft präventiv zusammenarbeiten müssen. Deswegen müsse man sich die Frage stellen, ob das Trennungsgebot von Polizei und Geheimdiensten noch zeitgemäß sei, wenn Informationen über Radikalisierungsprozesse wie im Fall der Sauerland-Attentäter schnell zirkulieren müssen.

Die Fachtagung endete mit einer Podiumsdiskussion, auf der alle Diskutanten ihre verschiedenen Ansichten zum Verfassungsschutz, zum militärischen Abschirmdienst, zur Bundespolizei oder zur Zusammenarbeit von Zoll und Polizei vortrugen, die alle auf ein Argument hinausliefen: Die deutsche Sicherheitsarchitektur ist in Ordnung und kann durch bessere Informationstechnik sehr effizient gestaltet werden, wenn erst einmal das "Trennungsgebot in den Köpfen" überwunden ist.

Abseits der Tagung forderte Schünemann einen konsequenteren Einsatz der Videoüberwachung. Damit reagierte er auf eine neue Welle öffentlicher Gewalt. Gegenüber der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung meinte Schünemann, dass ein überbordender Datenschutz die Aufklärungsarbeit der Polizei erschwere. Es gebe die Möglichkeit, in öffentlichen Verkehrsmittel und auf Plätzen Videokameras einzusetzen. Sie müsse nur konsequent genug genutzt werden. Wenn politische Gruppen oder Datenschützer den Ausbau der Technik ablehnten, dann halte er dies für ein Sicherheitsrisiko. (jk)