Recht auf Wahrheit und Vergessen

"Das Internet vergisst nicht", ist eine der Kernwahrheiten unseres Business. Doch ist das wirklich eine Eigenschaft des Internets, oder haben wir es nur so gebaut?

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Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Nicolai Josuttis

Dieser Tage gibt es mehrere Fälle, bei denen Googles Auto-Complete-Funktion in einen Rechtsstreit mündet. Die zwei spektakulärsten sind die Fälle von Bettina Wulff und von Max Mosley.

Bei Bettina Wulff, der Frau des ehemaligen Bundespräsidenten, geht es darum, dass bei Eingabe ihres Namens zusätzliche Begriffe wie "Prostituierte" vorgeschlagen werden. Ich habe es gerade noch mal probiert: Bereits nach Eingabe der vier Buchstaben "bett" werden folgende zwei Suchbegriffe angeboten: "bettina wulff" und gleich als zweites "bettina wulff prostituierte" (das Ergebnis muss nicht immer gleich sein, denn Google verwendet ja personifizierte Suchalgorithmen).

Andere Suchmaschinen sind da übrigens nicht besser. Mit den vier Buchstaben bietet Bing "bettina wulff rotlicht" sogar noch vor "bettina wulff" an. Das Bemerkenswerte dabei ist, dass es sich nach allen seriösen Recherchen zum Thema um eine Assoziation handelt, die schlichtweg nicht wahr ist. Eine sich selbst verstärkende Lüge.

Bei Max Mosley, dem ehemaligen Präsidenten der Formel-1-Dachorganisation FIA, gibt es ein ähnliches Phänomen. Nach Eintippen von "max mosl" wird bei mir derzeit gleich nach dem Namen angeboten: "max mosley nazi", "max mosley party" und "max mosley youtube". Die Sache liegt hier allerdings ein wenig anders, denn im Gegensatz zu den Assoziationen bei Bettina Wulff beruhen diese Vorschläge wohl auf einer wahren, wenn auch privaten Begebenheit. Es gab eine Sex-Party, die heimlich gefilmt worden war. Eine Veröffentlichung war daher eine Verletzung der Privatsphäre, was in mehreren Urteilen auch festgestellt wurde. Im Zeitalter des Internets ist diese Verletzung nur nicht mehr rückgängig zu machen.

Eines haben die beiden Fälle gemeinsam: Im Grunde handelt es sich bei den angebotenen Assoziationen um Rufmord. Würden wir nicht über das Internet sprechen, wäre der Fall klar: Man könnte veranlassen, dass derartige Dinge nicht mehr öffentlich verbreitet werden dürfen. Das bedeutete im Übrigen noch nie, dass man damit dafür sorgen kann, dass nicht trotzdem private Meinungen diskutiert und Dokumente ausgetauscht werden, die den Rufmord weiter verbreiten. Eine öffentliche Verstärkung ist damit jedoch unterbunden. Ein wesentlicher Punkt, damit die Dinge mit der Zeit in Vergessenheit geraten können.

Angesichts der Fülle stetig wachsender Informationen würde "Vergessen" im Internet eigentlich auch ganz gut funktionieren, wenn es möglich wäre, bei zentralen Seiten falsche oder private Aussagen zu löschen. Doch zum einen gibt es die Server, an die man nicht herankommt, und zum anderen – und darum geht es hier – sind da die Suchmaschinen, die sich weigern, entsprechende Assoziationen zu löschen.

Wie so oft steckt hinter dem Auto-Complete-Feature eigentlich eine Verbesserung. Der Suchende soll die wahrscheinlichste Recherche gar nicht erst eintippen müssen. Verbunden mit der Tatsache, dass das Internet wirklich nicht vergisst und die Daten irgendwo immer noch rumliegen, entsteht aber ein sich selbst verstärkendes System, denn selbst wenn man den Link löscht, auf den Google verweist, bietet Google das Thema immer wieder neu an und sorgt damit dafür, dass danach zuerst gesucht wird. Und was zuerst gesucht wird, wird zuerst vorgeschlagen. Ein Teufelskreis für die Betroffenen.

Spannend wird deshalb zunehmend die Frage, ob Google das darf oder ob man Google entsprechende Assoziationen verbieten kann. Genauer: Ob es ein Recht gibt, Rufmord abzuschalten. Google verweigert bisher ein Recht auf Nichtverbreitung von Lüge oder Privatsphäre, weshalb Mosley jetzt in Hamburg einen Prozess gegen Google führt. Aber auch die EU ist dabei, im Rahmen der neuen EU-Datenschutzrichtlinie ein "Recht auf Vergessen" (man suche nach "right to be forgotten") einzuführen.

Es geht hier also gar nicht um die Frage, ob das Internet vergisst, sondern ob sich die Key-Player des Internets an ein Grundrecht halten: das Recht, gegen Rufmord und Verleumdung vorzugehen. Eine bewusste Fokussierung auf "eine Wahrheit", die sich bei aller Fragwürdigkeit immer wieder selbst verstärkt, darf nicht mehr unterstützt werden.

Damit geht es insbesondere auch nicht darum, das ganze Problem mit der Aussage, dass hier "irgendwelche Deppen nicht verstanden haben, wie das Internet funktioniert" abzutun. Nach wie vor entscheiden wir Menschen, was wir aus einer Technologie machen und welches Wertesystem dabei im Vordergrund steht. Technisch ist ein entsprechender Filter ohnehin kein Problem, denn er wird bereits von Google in einzelnen Fällen verwendet.

Ein Abschalten der Auto-Complete-Funktion würde uns vermutlich auch in anderer Hinsicht gut tun, denn im Grunde ist diese Funktion nur eine weitere Maßnahme der Suchmaschinen zur Volksverdummung. So wie wir immer wieder die gleichen Links bekommen, reduzieren wir Begriffe nun auf wenige Assoziationen, die sich immer mehr verstärken. Bei Fakten, die von allen geteilt werden (wie zum Beispiel Spezifikationen), ist das ja ein guter Mechanismus. Doch Fakten, die von allen geteilt werden, sind in dieser komplexen Welt leider nur sehr selten. Nichts ist deshalb so wichtig wie die Vielfalt. ()