Die Wahlprognose aus dem Netz

Umfrageinstitute liegen im Wahlkampf immer wieder falsch. Was die Wähler den Wahlforschern verschweigen, verraten sie jedoch in ihren Suchanfragen bei Google.

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Von
  • David Talbot

Umfrageinstitute liegen im Wahlkampf immer wieder falsch. Was die Wähler den Wahlforschern verschweigen, verraten sie jedoch in ihren Suchanfragen bei Google.

Immer wieder werde ich in den letzten Wochen von Wahlforschern angerufen. Sie wollen wissen, wen ich im November als US-Präsidenten wählen werde. Aber warum sollte ich ihnen eine Antwort geben? Ich bleibe vage und sage, dass ich mich noch nicht entschieden habe. Also rufen sie immer wieder an. Meine Unentschlossenheit scheint sie geradezu anzuziehen. Wohl fühle ich mich dabei nicht.

Es ist eine alte Weisheit: Menschen lügen Wahlforscher und Umfrageinstitute regelmäßig an. In Google-Suchen jedoch verraten sie ihre politische Ausrichtung eher, hat Seth Stephens-Davidowitz, Ökonom an der Harvard University, herausgefunden. Und diese Information gibt wichtige Hinweise darauf, wie die Präsidentschaftswahl ausgehen könnte. Viele solcher Anfragen sind belanglos. So wollen derzeit etwa 5000 US-Bürger pro Monat wissen, welche Unterwäsche der republikanische Kandidat Mitt Romney trägt. Manche Suchen sind politisch brisanter: Am Wahltag 2008 enthielt ein Prozent der Google-Suchen nach „Obama“ zugleich auch die Begriffe „Nigger“ oder „KKK“ (was für den rassistischen Ku-Klux-Klan steht).

Vor allem aber lässt sich aus den Millionen Datensätzen, die Stephens-Davidowitz analysiert hat, eine politische Landkarte erstellen. Vor vier Jahren, im Oktober 2008, deuteten die Suchabfragen darauf hin, dass viele afroamerikanische US-Bürger zu Wahl gehen würden. Während nach Wahlinformationen in diesem Jahr insgesamt sogar etwas weniger als im Wahljahr 2004 gesucht wurde, waren Google-Anfragen in Bundesstaaten mit einem großen schwarzen Bevölkerungsanteil deutlich häufiger – so in North Carolina, Georgia und Mississippi. Das ist zwar keine große Überraschung, zeigt aber, wie Google-Suchen Trends andeuten.

Stephens-Davidowitz hat seine Ergebnisse nun kürzlich in der New York Times präsentiert. Er prognostiziert unter anderem, dass die Wahlbeteiligung in Ohio höher sein wird als 2004 oder 2008. In Gebieten mit dem größten afroamerikanischen Bevölkerungsanteil erreichen Google-Anfragen das Niveau von 2008. „Wahlforscher sollten davon ausgehen, dass der schwarze Stimmenanteil bei der Wahl so hoch ausfallen wird wie vor vier Jahren, ungefähr zwölf Prozent.“ 2004 waren es elf Prozent. Für Stephens Davidowitz ist dies „gutes Zeichen für Mr. Obama“.

Aber auch für dessen Herausforderer Mitt Romney hielten die Google-Daten gute Neuigkeiten bereit, schreibt der Volkswirt. „In Idaho Falls und Salt Lake City, den zwei Einzugsgebieten mit dem größten Mormonen-Anteil, gibt es ebenfalls sehr viel Suchanfragen.“ Zwar sind weder Idaho noch Utah so genannte Swing States, deren Abstimmung eine Wahl entscheiden kann. Sie zeigen aber, dass Romneys Kandidatur die Mormonen mobilisiert – und dies könnte ihm in zwei wichtigen Swing States, Nevada und Colorado helfen. In Nevada sind sieben Prozent der Bevölkerung Mormonen, in Colorado immerhin drei Prozent.

Zu früh freuen sollte sich Romneys Wahlkampfteam aber nicht, sagt Stephens-Davidowitz. Das hofft, nicht wenige enttäuschte Obama-Anhänger könnten diesmal der Wahl fernbleiben. „Meine erste Analyse der Google-Daten sagt mir: Verlasst euch nicht darauf“, warnt der Harvard-Ökonom.

(nbo)