Historische Kryptographie mit Hindernissen

Die Einweihung einer Rekonstruktion von Alan Turings Colossus Mark II soll zünftig mit einer minutiösen Rekonstruktion des Kryptokrieges im II. Weltkrieg gefeiert werden. Dagegen haben britische und deutsche Geheimdienste Bedenken angemeldet.

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Von
  • Detlef Borchers

Im November wird im britischen Computer- und Kryptographiemuseum Bletchley Park eine Rekonstruktion des Colossus Mark II eingeweiht. Dieser von Alan Turing konstruierte Computer spielte im II. Weltkrieg eine wichtige Rolle beim Entschlüsseln deutscher Nachrichten. Die Einweihung des Computers soll zünftig mit einer minutiösen Rekonstruktion des damaligen Kryptokrieges gefeiert werden. Dagegen haben britische und deutsche Geheimdienste Bedenken angemeldet.

Mit einem Cipher Event will Tony Sale, der Kurator der Computerausstellung in Bletchley Park, seine Rekonstruktion des Collossus Mark II standesgemäß einweihen. Der "neue" Colossus soll Nachrichten entschlüsseln, die mit dem Chiffriergerät Lorenz SZ42 im Heinz Nixdorf Museumsforum in verschiedenen Schwierigkeitsstufen verschlüsselt und nach dem damaligen Funkprotokoll mit speziellen Tongeneratoren verschickt werden. An Funktechnik und Kryptographie Interessierte sollen dabei zwischen dem 15. und 16. November die verschlüsselten Nachrichten abhören und dekodieren, wie dies mit der Hilfe von Colossus im Krieg geschah.

Während Funkamateure in Deutschland wie in Großbritannien mit Feuereifer dabei sind, mit ihrer Technik das alte System originalgetreu nachzubilden, haben die Geheimdienste hüben wie drüben ein Veto eingelegt. Probleme macht nämlich die Hardware, das Chiffriergerät Lorenz SZ42, von dem es in Deutschland kein Exemplar mehr gibt. Im Gegensatz zum tragbaren Geheimschreiber Enigma (englischer Codename Fish), der im II. Weltkrieg auf der unteren Kommandoebene eingesetzt wurde, war der Lorenzschreiber SZ42 (englischer Codename Tunny) der Kommunikation der Heeresführung mit den Armeehauptquartieren vorbehalten. Nach Kriegsende wurden darum alle Lorenzschreiber von den Alliierten einkassiert.

Nachdem eine Anfrage zur Ausleihe eines Lorenz SZ42 des Paderborner Museums bei der US-amerikanischen National Security Agency (NSA) abschlägig beantwortet wurde, soll nun ein funktionierendes Gerät aus Großbritannien zum Einsatz kommen, das im National Museum of Computing verwahrt wird. Vor dem Versand hat allerdings die britische Geheimdienst-Koordinationsstelle GCHQ ein Veto eingelegt. Sie fordert eine Garantie von der deutschen Regierung und von allen deutschen Geheimdiensten, dass der Geheimschreiber nach dem Abschluss des Cipher Event wieder auf die Insel zurückkehrt und nicht als Raubgut oder Kriegsbeute klassifiziert in Deutschland festgesetzt wird. Auf deutscher Seite ist Hans-Josef Vorbeck, der stellvertretende Nachrichtendienstkoordinator im Bundeskanzleramt, zwar zuversichtlich, dass potenzielle Interessenten wie Bundeskriminalamt (BKA), Bundesnachrichtendienst (BND) und das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) ihr O. K. geben, doch stehen die Entscheidungen dieser Behörden derzeit noch aus.

Auch wenn der Lorenzscheiber SZ42 nicht mit dem bereits zugesicherten militärischem Kurierdienst samt Sicherheitsbegleitung seinen Weg nach Paderborn findet, soll das Cipher-Event als anspruchsvoller Wettbewerb für Funkamateure und Kryptographiefreaks gleichermaßen über die Bühne gehen. Dann wird in Paderborn eine Computersimulation eingesetzt, die von englischen Informatik-Studenten entwickelt wurde. Das Heinz Nixdorf Museumsforum wurde als deutscher Gegenpart für den "Neustart" von Collossus Mark II ausgewählt, weil hier ab dem 11. Oktober eine Kryptographie-Sonderausstellung zu sehen ist. Unter dem Titel "Geheimhaltung, Täuschung und Tarnung" sind Exponate zu sehen, die nicht zum Krypto-Bestand des Museums gehören. Darunter befindet sich eine vergoldete, mit Brillanten besetzte Ringkamera, die der sowjetrussische Präsident Chruschtschow trug, aber auch Raritäten wie die Kryha Liliput. Auf einer etwas profaneren Ebene werden Werkzeuge gezeigt, mit denen BKA oder die Staatssicherheit der DDR arbeiteten. In Zusammenarbeit mit der Landesbibliothek Hannover, die eine Spezialsammlung von Tarnbüchern pflegt, werden Tarnschriften gezeigt. So publizierte die derzeit historisch beleuchtete RAF ihre Schrift "Über den bewaffneten Kampf in Westeuropa" mit dem etwas harmloseren Einband "Die neue Straßenverkehrsordnung". Zur Eröffnung der bis zum 6. Dezember gastierenden kostenlosen Sonderausstellung tritt der Kabarettist Markus Kampa – im Hauptberuf ein Rechtsanwalt, der sich mit Betrügereien und Hochstapeleien beschäftigt – mit seinem Programm "Schmutzige Tricks und saubere Lügen" auf. (Detlef Borchers) / (jk)