24C3: Aus dem Tagebuch eines Spions

Eine Ex-Agentin des britischen Inlandsgeheimdienstes MI5 plauderte auf dem Hackertreffen aus dem Nähkästchen, verriet Details über Computerprobleme der Behörde und forderte eine bessere demokratische Kontrolle der Schlapphüte.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 239 Kommentare lesen
Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Stefan Krempl

Annie Machon, eine Ex-Agentin des britischen Inlandsgeheimdienstes MI5, plauderte auf dem 24. Chaos Communication Congress (24C3) in Berlin am gestrigen Samstag aus dem Nähkästchen. Dabei verriet sie nicht nur Details über Computerprobleme der Sicherheitsbehörde. Vielmehr lieferte sie auch Einblicke in die Gedankenwelt und Methoden der Spione und forderte eindringlich eine bessere demokratische Kontrolle der Schlapphüte. Nach enttäuschenden Erfahrungen mit den Massenmedien als Kontrolleuren der Staatsmacht baut Machon dabei vor allem auf das Internet als geeignetes Medium zur Aufdeckung weitere Skandale aus der Welt der Nachrichtendienste.

Machon heuerte Anfang der 1990er Jahre beim MI5 an, aus durchaus idealistischen Gründen, wie sie heute sagt. Es sei ihr damals in der Hochzeit des Terrors der IRA darum gegangen, ihr Land zu schützen. Doch anfangs war sie zusammen mit einem jungen Kollegen, David Shayler, trotz des Falls der Berliner Mauer vor allem damit beschäftigt, Dossiers über alternde Kommunisten zu erstellen. Gemeinsam mit dem smarten Shayler, in den sie sich mit der Zeit verliebte und bis vor rund einem Jahr zusammenlebte, wurde sie dann in eine Abteilung versetzt, die tatsächlich um Aufklärung künftiger IRA-Attentate bemüht war. Allerdings mussten beide Machons Bericht nach mit ansehen, wie ein verdächtiger Fahrer eines Lastwagens voller Bomben während offensichtlicher Führungsfehler beim MI5 laufen gelassen wurde und wenige Jahre später in 1993 ein Attentat in der Londoner City mit einem Todesopfer ausführen konnte.

Weiter empörte das Paar eine drei Millionen Euro verschlingende Abhöraktion gegen eine Korrespondentin der Zeitung Guardian, deren einziges Verschulden ihre linke politische Einstellung gewesen sein soll. Laut Machon hätte zudem 1994 ein Bombenanschlag auf die israelische Botschaft in London verhindert beziehungsweise zumindest aufgeklärt werden können. So habe es damals die klare Einschätzung eines führenden Agenten des MI5 gegeben, wonach die Kollegen vom Mossad hinter dem Anschlag steckten. Trotzdem habe man bei der fälschlichen Verurteilung von zwei Palästinensern, die ein in Israel nicht gern gesehenes Unterstützungsnetzwerk für ihre Mitstreiter in der Heimat unterhielten, als vermeintliche Bombenleger tatenlos zugesehen. Zudem habe der MI5 1996 einen fehlgeschlagenen Anschlag auf den libyschen Staatschef Muammar al-Gaddafi mit 100.000 US-Dollar unterstützt, was sie und Shayler endgültig zum Gehen veranlasst habe.

Einfach unter den Teppich kehren wollte die beiden Spione ihre unguten Erfahrungen aber nicht. Da für Beschwerden innerhalb des Systems nur die Behördenspitze vorgesehen sei, Gespräche dort nichts gebracht hätten und generell kein Raum für konstruktive Kritik oder eine Lernfähigkeit aus Fehlern vorhanden seien, blieb Machon zufolge nur der Weg über die Presse zur Aufdeckung der erfahrenen Missstände übrig. Shayler wandte sich an die Mail on Sunday, die im August 1997 eine Aufmachergeschichte über die Geheimdienstskandale brachte.

Mit 40.000 Pfund, die der Whistleblower laut einem späteren Nachbericht des Blatts erhielt, setzten sich die früheren MI5-Mitarbeiter zunächst nach Holland und später nach Frankreich ab. Dort lebten sie teilweise in einem Bauernhof im Süden ohne Fernsehen und Auto, nach einem gerichtlich verweigerten Auslieferungsantrag gegen Shayler auch zwei Jahre in Paris. Nachdem Machon schwer krank wurde, beide das Exil satt und sich ihrer Ansicht allein der allgemeinen Informationsfreiheitsrechte im Interesse der Öffentlichkeit bedient hatten, gingen sie zurück in die Heimat. Shayler, den Machon nach dessen Hinwendung zu esoterischen Riten inzwischen verlassen hat, wurde rasch wegen Geheimnisverrat der Prozess gemacht. Er erhielt eine Haftstrafe von sechs Monaten, von denen er aber nur einige Wochen absitzen musste.

"Wir hätten viel stärker das Internet für unsere Zwecke nutzen sollen", blickt Machon heute auf den Fall zurück. Im MI5 sei sie zunächst aber in eine Kultur hineingewachsen, in der keiner Computer benutzte. Selbst 1993 seien Informationen über die IRA noch in einer alten Datenbank auf einem Mainframe-Computer verwaltet worden. Später habe man im Haus versucht, eigene Informationssysteme aufzubauen. Nach mehreren missglückten Versuchen sei "aus Verzweiflung" die gesamte IT-Landschaft des Dienstes auf Microsoft Windows 95 ohne Anpassungen oder zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen umgestellt worden. Shayler habe zunächst versucht, seine Erfahrungen auch im Web auf einer Domain seines Namens zu publizieren. Die Seite sei aber sofort gehackt worden und erst nach einem Wechsel zu einem kalifornischen Provider online gegangen. Inzwischen sind nur noch Rudimente davon archiviert.

Klar geworden ist Machon auch, dass Geheimdienste und Politiker aus Angst vor den Spionen an einem Strang ziehen. MI5 führe etwa über jeden Labour-Abgeordneten eine Akte, was immer als latentes Druckmittel gegen die Betroffenen diene. Die großen Medien seien zudem gänzlich "unter der Kontrolle der Regierung und der Spindoktoren der Geheimdienste". Redakteure würden sich gebauchpinselt fühlen, wenn ihnen Vertreter der Sicherheitsbehörden hin und wieder Informationsbröckchen zuwerfen, und sich diese "Quellen" nicht verbauen wollen. Auch die "vierte Gewalt" könne so nicht als Kontrollinstanz fungieren. Machon wundert es daher kaum, dass Minister inzwischen per Handstreich in Großbritannien den Ausnahmezustand erklären können. Vom Oberhaus geblockt worden sei allein ein Gesetz zur "Reform der Gesetzgebung", wonach Regierungsmitglieder auch sämtliche vom Parlament erlassenen Gesetze einfach hätten aufheben können sollen.

Zum diesjährigen Chaos Communication Congress siehe auch:

(Stefan Krempl) / (jk)