Die Neuverdrahtung des Netzes

Wissenschaftler am IT-Forschungszentrum PARC arbeiten an einer verbesserten Internet-Infrastruktur, die stärker auf Multimedia ausgerichtet ist.

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Von
  • Tom Simonite

Wissenschaftler am IT-Forschungszentrum PARC arbeiten an einer verbesserten Internet-Infrastruktur, die stärker auf Multimedia ausgerichtet ist.

Eine zunehmende Anzahl an Computerwissenschaftlern glaubt, dass es an der Zeit ist, grundlegende Elemente des Netzes, mit dem wir täglich arbeiten, zu überdenken. Die Hoffnung: Ein fundamental neuer Ansatz soll sich besser dazu eigenen, mit den heute vorherrschenden Internet-Inhalten, die vor allem aus dem Bereich Multimedia kommen, umzugehen. Bandbreitenprobleme sollen so behoben werden.

Glenn Edens, Leiter der Netzwerkforschung am IT-Forschungszentrum Palo Alto Research Center (PARC), stört vor allem, dass das Internet eigentlich darauf ausgerichtet war, kleinere Datenpakete in Form eines Dialogs zwischen den teilnehmenden Rechnern hin und her zu schicken. "Heutzutage wird das Netz allerdings zumeist verwendet, um größere Inhalte wie Videos, Bilder oder E-Mails zu verteilen." Am PARC forscht Edens deshalb an alternativen Lösungen. Die Wichtigste davon nennt sich "Content-Centric Networking" (CCN) – ein Netzwerk, das sich an den Inhalten ausrichtet.

Das Internet basiert auf der Weiterleitung von Datenpaketen zwischen Internet-Protokoll-Aressen (beispielsweise "193.99.144.80" für "heise.de"), die zu bestimmten Computer gehören. Lädt ein Nutzer ein Video von YouTube, schickt der Rechner eine Nachricht an die IP-Adresse des Google-Servers und bittet darum, die Daten an die eigene Adresse zurückzuschicken. Der Google-Server reagiert – und die Router-Hardware im Internet, die zwischen beiden Maschinen vermittelt, tun nicht mehr und nicht weniger, als diesen Datenverkehr "dumm" weiterzuleiten. Eden hält das für Zeitverschwendung. "Diese ganze Infrastruktur, die auf Maschinenadressen basiert, erfüllt nicht mehr den Grundbedarf des Netzes, nämlich den Leuten die gewünschten Inhalte möglichst zu liefern."

Bei einem CCN-Ansatz würde ein Rechner, der ein Video anfordert, diesen Inhalt über einen eindeutigen Namen anfordern, was die Auslieferung beschleunigt. Router könnten dann außerdem Teile der Inhalte zwischenspeichern, was die Geschwindigkeit zusätzlich erhöht. In dem Beispiel mit dem YouTube-Video würde ein Router in der Nähe des anfragenden Computers einen populären Clip sofort ausliefern, ohne diese Anfrage überhaupt an den Google-Server irgendwo in Kalifornien senden zu müssen. "Solange man nicht die erste Person ist, die einen Inhalt haben möchte, ergibt sich eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass er gefunden werden kann."

Edens meint, dass dies die Kosten bei der Verteilung von Videos oder anderen großen Dateien an ein ebenso großes Publikum deutlich reduzieren würde. Das wiederum würde auch andere Dienste verbilligen, die dann über eine weniger belastete Infrastruktur laufen. Auch die Zuverlässigkeit eines solchen Netzes sei größer, weil Inhalte nicht mehr so weite Wege zurücklegen müssten.

Insbesondere zur Anbindung mobiler Geräte soll sich das Verfahren eignen. Wechselt ein Smartphone oder Tablet zwischen Zugangspunkten – etwa einem WLAN und einem Handynetz – wird stets eine neue IP-Adresse fällig, so dass die Datenverbindung unterbrochen werden und neu starten muss. Bei einem CCN wäre das kein Problem, weil die IP keine so große Rolle mehr spielt.

Erste Spezifikationen für die neue Netzwerktechnik hat das PARC bereits 2009 offengelegt. Eine Open-Source-Software steht mittlerweile online bereit, um Forschern intensive Tests zu erlauben. Das PARC koordiniert die Arbeit an der Technik.

Zu den Firmen, die an dem Projekt teilnehmen, gehören Cisco, Alcatel-Lucent und Toyota. "Es gibt mittlerweile einige Testnetze, die noch nicht im Produktivbetrieb sind, aber schon größer sind als reine Forschungsnetze", sagt Edens. Auch Internet-Provider könnten ein CCN aufsetzen – "und dabei viel Geld sparen".

"Die Haupthürde bei der Implementierung ist keine technische, sondern eine wirtschaftliche", meint Pablo Rodriguez, Forschungsdirektor bei Telefonica Digital, das zum spanischen Telekommunikationskonzern Telefonica gehört. Der CCN-Ansatz verspreche zwar Effizienzsteigerungen, die bereits vorgenommenen Investitionen in bestehende Lösungen seien aber zumindest mittelfristig überlegen. "Schon seit Anbeginn des Netzes kämpfen wir mit der Verteilung großer Datenmengen."

Sogenannte Content Delivery Networks (CDNs), wie sie etwa von Akamai betrieben werden, liefern populäre Inhalte schon jetzt direkt lokal in wichtigen Regionen der Erde aus. Sie werden ständig ausgebaut. Entsprechend werde es noch eine Weile dauern, bis CCNs eine Chance bekommen, meint Rodriguez. (bsc)